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WM Porträts | Marcelo Salas – El Matador 1.0

24. Mai 2018 | Spotlight | BY Marius Merck

Kam man vor der WM 2014 auf mögliche Geheimfavoriten zu sprechen, dann wurde in der Regel fast immer Chile genannt. Mit Mauricio Pinilla und Esteban Paredes standen zwar zwei nominelle Stürmer im Kader, allerdings setzte Trainer Jorge Sampaoli an vorderster Front mit Alexis Sanchez und Eduardo Vargas zwei nicht gelernte zentrale Angreifer ein, da einerseits die Qualität der beiden vorher genannten Angreifer nicht dermaßen hoch und darüber hinaus das quirlige Duo für das laufintensive Spiel des Teams unabdingbar war.

Bei ihrer vorletzten WM Teilnahme 1998 hatten die Chilenen ein solches Problem gerade nicht. Mit Ivan Zamorano hatten die Chilenen einen absoluten Weltstar als Kapitän, welcher in der 1990er Jahren für Real Madrid und Inter Mailand auf Tore-Jagd ging. Es war jedoch nicht sein Stern, der bei diesem Turnier aufging. Das Gesicht der chilenischen Nationalmannschaft im französischen Sommer 1998 war das seines Sturmpartners: Marcelo Salas.

 

 

Optische Mischung aus Gerd Müller und Diego Maradona

José Marcelo Salas Melinao wurde an Heiligabend im Jahr 1974 in Temuco geboren. Salas, dessen Vorfahren Spanier und Indianer waren, wies mit seinen 1,73m, ähnlich wie seine Thronfolger Sanchez (1,69m) und Vargas (1,76m), kein klassisches Mittelstürmer-Gardemaß auf. Der Angreifer, der optisch ein wenig wie eine Mischung aus Gerd Müller und Diego Maradona wirkte, bestach vor allem durch enorme Schnelligkeit, überdurchschnittliche Sprungkraft und einen äußerst präzisen Schuss. Sein wichtigstes Attribut war jedoch sein Instinkt für die Winkel und unbewachten Zonen innerhalb des Strafraums.

Salas hatte die Erkenntnis verinnerlicht, dass es keine Extrapunkte gibt, wenn nach einem traumhaften Volleyschuss schier das Netz zerreißt. Der Linksfuss schob und streichelte den Ball oft auch unspektakulär über die Linie – ganz im Stile des oben genannten „Bombers“. „Ich habe meistens eine Ahnung wohin der Ball fliegen könnte und erreiche ihn daher häufig etwas vor dem Abwehrspieler“, gab Salas zu seinem Erfolgsgeheimnis befragt zu Protokoll. Auch durch dieses rationale Denken bekam der eher als schüchtern geltende Salas den ehrfürchtigen Spitznamen „El Matador“ – „der Töter“.

 

Südamerikas Spieler des Jahres

Sein Profidebüt feierte Salas 1993 mit 18 Jahren bei CF Universidad de Chile. Für den Verein aus der Hauptstadt Santiago de Chile erzielte er in 110 Spielen 74 Tore. Bereits in Jahr später folgte das Debüt in der chilenischen Nationalmannschaft. Dies weckte logischerweise auch Begehrlichkeiten bei anderen Vereinen. Nach dem Gewinn der chilenischen Meisterschaften in den Jahren 1994 und 1995 entschloss sich Salas den Verein zu verlassen. Den Schritt nach Europa machte Salas im Sommer 1996 allerdings noch nicht, River Plate sicherte sich die Dienste des jungen Chilenen für ca. 2,7 Millionen Euro.

 

Salas trat als Nachfolger des abgewanderten Hernan Crespo in große Fußstapfen und sollte sich dort endgültig einen Namen als einer der besten Stürmer in Südamerika machen. Mit River Plate konnte er 1996 und 1997 die argentinische Meisterschaft feiern. Salas traf in insgesamt 51 Ligaspielen 26 Mal für die „Los Millionarios“. Darüber hinaus konnte der Chilene mit River Plate 1997 die Supercopa Sudamericana gewinnen. Das Finalhinspiel gegen den FC Sao Paolo endete 0:0, das Rückspiel gewann der Verein aus Buenos Aires dank einem Doppelpack von Salas mit 2:1. Der Spieler aus Tembuco wurde daraufhin zu Argentiniens Fußballer des Jahres 1997 gewählt. Zum Ende des Traumjahres 1997 kam dann allerdings das ultimative Highlight: Salas gewann ebenfalls die Auszeichung „Südamerikas Fußballer des Jahres“!

 

Wembley-Show 1.0

Mit dem Sturmduo Salas/Zamorano verfügte Chile in der Qualifikation zur WM 1998 über eine echte Waffe und durfte sich realistische Chancen ausrechnen, die Qualifikation erstmals seit der WM 1982 in Spanien zu schaffen. Am vorletzten Spieltag empfing man zu Hause Peru, die mit einem deutlich schlechteren Torverhältnis drei Punkte vor Chile auf dem vierten und letzten direkten Qualifikationsplatz lagen. Angetrieben von einem überragenden Salas wurde Peru mit 4:0 abserviert, „El Matador“ erzielte in jenem Schicksalspiel einen Dreierpack und manifestierte damit seinen Legendenstatus. Am letzten Spieltag genügte ein 3:0 gegen Bolivien, bei dem Salas ebenfalls traf, um sich schlussendlich dank der besseren Tordifferenz gegenüber Peru für das Turnier in Frankreich zu qualifizieren. Salas schoss in der Qualifikation insgesamt herausragende elf Tore.

Vor der WM 1998 testete die chilenische Auswahl am 11.02.1998 gegen die englische Nationalmannschaft im „alten“ Wembleystadion. Die englische Nationalmannschaft hatte unter anderem Italien in der Qualifikation hinter sich gelassen und blickte dank der guten Mischung aus erfahrenen Spielern (z. B. Tony Adams, Paul Ince, Alan Shearer) und jungen Talenten wie der „Class of 92“ (David Beckham, Paul Scholes, Gary Neville) sowie den Liverpooler „Spice Boys“ (Steve McManaman, Michael Owen) sehr optimistisch dem Sommer entgegen. Chile sollte unter diesen Umständen ein willkommener Gegner zum Einspielen sein.

(Photo by MARTIN HAYHOW/AFP/Getty Images)

Es kam jedoch völlig anders: Vor dem Spiel wurden noch Zweifel geäußert, ob Salas überhaupt europäischen Standards genügen würde. Spätestens in der 44. Minute räumte der Stürmer solche Zweifel bei Seite. Einen Zuckerpass über 40 Meter von Jose Luis Sierra, nahm Salas gekonnt in vollem Lauf an und schloss per Volley unhaltbar für David Seaman ab. In der 79. Minute wurde er im Strafraum zu Fall gebracht und verwandelte den fälligen Elfmeter selbst. Die chilenische Elf triumphierte sensationell mit 2:0.

Das gleiche Ergebnis sollte ca. 15 Jahre später auch die Elf um Zamoranos und Salas´ Nachfolger im Vorfeld der WM 2014 im „neuen“ Wembley erzielen, der Doppelpacker an diesem Abend war Alexis Sanchez. Der bezahlte Experte Roy Hodgson im Fernsehstudio – vor vier Jahren dann selbst an der Seitenlinie bei den „Three Lions“ – war im besagten Februar 1998 ebenfalls begeistert: „Salas hat zu Beginn des Spiels einen harten Tritt von Tony Adams einstecken müssen. Er hat einen großartigen Charakter bewiesen und mit diesem Traumtor geantwortet.“ Nach diesem Spiel stand Salas in jedem Notizbuch der europäischen Spitzenvereine, sodass ein Wechsel auf den alten Kontinent nach der WM 1998 quasi in Stein gemeißelt war.

 

WM 1998: Die Remiskönige überraschen!

Vor Beginn des Turniers in Frankreich buhlten viele europäische Spitzenvereine um die Dienste von „El Matador“. Zu den Interessenten zählten unter anderem Juventus Turin, Manchester United und (ja, wir sind nun mal in die Spätneunzigern) die Glasgow Rangers. Das Rennen um den Chilenen gewann das damals spendierfreudige Lazio Rom, welches zu jener Zeit eine die ähnliche Rolle auf dem Transfermarkt inne hatte, wie Paris St. Germain oder Manchester City heutzutage. Die Zukunft war damit geklärt, der Fokus nun auf Frankreich gerichtet. In der Gruppe B traf „La Roja“ auf Italien, Österreich und Kamerun.

(Photo by Alexander Hassenstein/Bongarts/Getty Images)

Gruppe B: Italien – Chile 2:2 … oder Roberto Baggio verdirbt die Party

Am 11. Juni traf Chile im ersten Spiel gleich auf den amtierenden Vizeweltmeister Italien. Die Azzurri gingen natürlich favorisiert in dieses Spiel. Christian Vieri schoss die Europäer in der zehnten Minute standesgemäß in Führung. In der Nachspielzeit der ersten Halbzeit kam Zamorano zum Kopfball, welcher abgeblockt wurde, aus dem Getümmel im Strafraum traf Salas zum Ausgleich. In der 50. Minute sollte es noch besser kommen: Eine hohe Flanke segelte in den Strafraum, Salas übersprang den jungen Paolo Cannavaro und nickte herrlich zur 2:1 Führung ein! Chile kratzte an dem Wunder. Allerdings hatte Roberto Baggio das letzte Wort: Der tragische Held von 1994 verwandelte in der 85. Minute einen mehr als fragwürdigen Handelfmeter. Über den Punkt konnten sich das Team daher nicht wirklich freuen.

Gruppe B: Chile – Österreich 1:1 … oder Schock in der Nachspielzeit

Auch im zweiten Gruppenspiel holte Chile ein Remis, auch wenn man sich über diesen Punkt noch weniger freuen konnte. In Saint-Etienne gingen die Südamerikaner in der 70. Minute in Führung. Nach einem Freistoß war die österreichische Abwehr unsortiert – der „Matador“ bedankte sich artig und erzielte bereits seinen dritten Turniertreffer. Doch in der Nachspielzeit kam abermals die Ernüchterung: Ivica Vastic drehte einen Schlenzer von der Strafraumkante in der 92. Minute herrlich ins Kreuzeck.

Gruppe B: Chile – Kamerun 1:1 … oder wüster Kick in Nantes

In einem an Höhepunkten armen Spiel brachte Spielmacher Sierra die Chilenen in Führung. Patrick Mboma glich nach der der Halbzeit für die Afrikaner aus. Zuvor hatte auch damals schon ein Mitglied aus der Familie Song die rote Karte gesehen – Onkel Rigobert durfte ebenso wie sein Neffe Alex 16 Jahre später wegen einer Tätlichkeit abdanken. Der eingewechselte Lauren Etame brachte es fertig innerhalb fünf Minuten wegen groben Foulspiels Song vorzeitig in die Kabine zu folgen. Der Punkt gegen neun Afrikaner sollte für das Achtelfinale reichen. Chile qualifizierte sich mit drei Punkten und 4:4 Toren, da alle Spiele ohne italienische Beteiligung Unentschieden ausgingen und Chile als einziges Team gegen Italien ein Remis erzielen konnte. Daneben muss man auch festhalten, dass „La Roja“ jedes er drei Gruppenspiele eigentlich hätte gewinnen müssen. Durch den verpassten Gruppensieg traf man in der KO-Phase nun direkt auf den allergrößten Favoriten…

Achtelfinale: Chile – Brasilien 1:4 … oder Cesar Sampaios großer Tag

Gegen die „Selecao“ konnten die Chilenen vor allem in der ersten Halbzeit gut mithalten, letztendlich war man trotzdem chancenlos. Cesar Sampiao, sonst eher als Mann für das Grobe verschrien, hatte seinen großen Tag und sorgte bereits in der ersten Halbzeit mit zwei Treffern für eine Art Vorentscheidung. Kurz nach dem Seitenwechsel machte Ronaldo mit einem Elfmeter alles klar. Eine kurze Unordnung des knochenharten Verteidiger-Duos Aldair und Junior Baiano nutzte Salas zum 1:3. Allerdings schloss abermals Megastar Ronaldo nur eine Minute später einen Konter zum 1:4 ab. Die Chilenen und allen voran Marcelo Salas konnten den Platz trotzdem erhobenen Hauptes verlassen. Bei günstigerer Auslosung (oder einfach dem Gruppensieg) wäre für die damalige chilenische Truppe durchaus das Viertelfinale drin gewesen. Salas konnte sich durch seine vier Treffer hinter Davor Suker (6), Christian Vieri (5) und Gabriel Batistuta (5) den bronzenen Schuh zusammen mit Ronaldo (4) sowie Luis Hernandez (4) sichern. Der Stürmer kommentierte das Ausscheiden ernüchtert.

„Ich wollte schon immer bei einer WM Tore schießen. Leider sind wir ausgeschieden, Gott wollte es so.“

 

Der weitere Weg bis zum Karriereende

Bei Lazio schlug Salas voll ein und konnte in drei Jahren im Klub in 74 Ligaspielen stolze 41 Treffer erzielen. Mit dem Team gewann er 1999 den Europapokal der Pokalsieger. Im europäischen Supercupfinale schlug Lazio daraufhin Manchester United mit 1:0 – der „Matador“ erzielte standesgemäß das entscheidende Tor. Ein Jahr später konnte Lazio dann sogar den Gewinn des Doubles feiern. Doch das Ende kam zeitnah: Nachdem die Italiener im Sommer 2001 unter anderem Gaizka Mendieta für ca. 50 Millionen Euro (zu jener Zeit ein astronomischer Betrag) verpflichtet hatten, mussten Leistungsträger wie Pavel Nedved oder eben Salas den Verein verlassen.

(Mandatory Credit: Claudio Villa /Allsport)

„El Matador“ wechselte zu Juventus Turin und spülte 25 Millionen Euro in die Kassen. Mit Juventus gewann er 2002 und 2003 noch weitere Meistertitel, allerdings konnte er sich wegen vieler Verletzungen bei der „Alten Dame“ nicht nachhaltig durchsetzen. Auch die WM-Qualifikation für die Endrunde 2002 endete in einer Enttäuschung, der Achtelfinalist von 1998 konnte sich nicht qualifizieren. Nach fünf Jahren in Italien kehrte der mittlerweile 28-jährige Salas 2003 zu River Plate zurück. Auch hier konnte er aufgrund von Verletzungen und Formschwäche in 43 Spielen nur 7 Tore erzielen. Immerhin durfte Salas 2004 erneut den Gewinn der argentinischen Meisterschaft feiern.

2005 ging es für Salas dann noch stärker „back to the roots“ – Universidad holte den verlorenen Sohn zurück nach Hause! Und Salas dankte es seinem Jugendverein mit starken 35 Toren in 72 Spielen. In der chilenischen Nationalelf war Salas mittlerweile Kapitän, allerdings glückte auch die Qualifikation zur WM 2006 nicht. Am 28.11.2008 beendete „El Matador“ im Alter von 33 Jahren seine Karriere. Für die chilenische Auswahl war er in 70 Spielen 37 Mal erfolgreich und damit auch über viele Jahre der Rekordtorschütze der Landesauswahl, bevor er in der Kategorie jüngst von Sanchez überholt wurde (39).

(Photo by PABLO PORCIUNCULA/AFP/Getty Images)

 

 

Marius Merck

Eine Autogrammstunde von Fritz Walter weckte die Leidenschaft für diese Sportart, die über eine (“herausragende”) Amateurkarriere bis zur Gründung von 90PLUS führte. Bei seinem erklärten Ziel, endlich ein “Erfolgsfan” zu werden, weiter erfolglos.


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