Weißt du noch? 9.7.2006 – Finale der WM 2006 – Ein Kopfstoß zum Abschied

28. Mai 2018 | Nationalelf | BY Julius Eid

Nach 1998 sollte der mittlerweile gealterte, aber immer noch geniale Zinedine Zidane Frankreich zum erneuten Titelgewinn führen. Diesmal nicht in der Heimat sondern bei den Nachbarn aus Deutschland. Auch wenn zu Beginn des Spiels diese Möglichkeit realistisch erschien, endete das Finale mit einer Niederlage im Elfmeterschießen gegen die Italiener. Gegen Ende der Verlängerung kam es zudem zum dramatischen Ende einer Weltkarriere.

So endete nicht nur Zidanes Karriere in diesem Finale unwürdig, auch die Titelträume der Franzosen gingen zu Bruch. Und während auf der einen Seite mit dem Abgang der Nummer 10 eine erfolgreiche Ära de facto endete, wurden auf der anderen Helden geboren.

Das Märchen vom Sommermärchen

Die WM 2006 in Deutschland stand nicht nur unter dem Motto „Zu Gast bei Freunden“, auch die Einheimischen wurden im Zuge des Großereignisses wahrlich mitgerissen. Deutschland als WM-Gastgeber hatte natürlich von Anfang an eine passende Infrastruktur zu bieten, Stadien die den Zweck eines Großereignisses dieser Dimension erfüllten waren mehr als genug vorhanden. So war es eine der Weltmeisterschaften, die einem Gastgeberland keine übermenschlichen Anstrengungen im Vorfeld abverlangten. Ansatzweise euphorisch war also auch die Stimmung der Einheimischen. Diese Euphorie wurde nicht nur aufgefangen sondern noch durch starke Leistungen der deutschen Nationalelf weiter entfacht. Das Team von Jürgen Klinsmann begeisterte die Nation und stürmte bis auf Platz 3 des Turniers. Dieser Sommer voller Euphorie und das Gefühl ein toller Gastgeber gewesen zu sein, formten den Begriff des Sommermärchens. Längere Zeit war die WM 2006 im deutschen Kollektivbewusstsein als eben jenes Sommermärchen fest verwurzelt. Doch im Nachhinein wurde dieses Ereignis dann getrübt.

Im Herbst des Jahres 2015 veröffentlichte der Spiegel eine Story, in der behauptet wurde, die WM-Ausrichtung in Deutschland sei durch Bestechung ermöglicht worden. Der damalige DFB-Chef Wolfgang Niersbach sowie Frank Beckenbauer wurden namentlich als Mitwisser dieser Affäre benannt. So soll es ein Schwarzgeldkonto mit mehreren Millionen Euro gegeben haben. Dieses Geld wurde dafür genutzt um Stimmen für Deutschland als Ausrichtungsland zu kaufen. Die bis heute andauernde Aufarbeitung des „Sommermärchen-Skandals“ legte einen Schatten auf die bis dato durchweg positiv wahrgenommene WM. Das Bild von Deutschland als sauberer, fairer und hochgeeigneter Gastgeber  erhielt einen nachhaltigen Knacks.

Turnierverlauf

Die WM 2006 zeichnete sich nicht durch wahnsinnig überraschende Sieger oder Spielstile aus. Am ehesten könnte hier noch der attraktive und offensive Fußball der deutschen Nationalmannschaft unter Klinsmann genannt werden. Mit diesem Stil übertraf die deutsche Mannschaft die meisten Erwartungen aus dem Vorfeld. Enttäuscht haben vor Allem der amtierende Weltmeister Brasilien, der im Viertelfinale am späteren Finalisten Frankreich scheiterte. Lichtblicke in der größtenteils behäbigen Leistung der Selecao waren der 3:0-Erfolg im Achtelfinale gegen Ghana sowie, dass sich der mittlerweile übergewichtige Ronaldo zum Toptorschützen der WM-Geschichte krönen konnte. Bis Miroslav Klose ihn 2014 überholte. Auch die Niederlande schieden schon im Achtelfinale gegen Portugal aus. Auch der spätere WM-Sieger Italien konnte bei einem knappen 1:0 gegen Australien nicht wirklich überzeugen. Dennoch konnte im Viertelfinale die Ukraine (3:0) und im Halbfinale Deutschland (2:0) ausgeschaltet werden. Die Equipe Tricolore sicherte sich ihre Finalteilnahme nach dem Sieg gegen Brasilien mit einem 1:0 gegen Portugal.

Photo ANTONIO SCORZA

Erste Halbzeit

Die ersten Minuten des Endspiels sollten, ganz finaluntypisch, direkt stürmisch und Torreif werden. Schon in der 6. Minute schlug Barthez, der Torhüter der Franzosen, einen langen Ball in die gegnerische Hälfte und fand Malouda. Nach einer guten Annahme wurde dieser dann im 16er ungestüm zu Fall gebracht. Die Nummer 23 der Squadra Azzura, Marco Materazzi, hatte sich mit seiner ersten, aber bei Weitem nicht letzten, auffälligen Aktion, den ersten Eintrag auf dem Spielberichtsbogen verdient. Er erwischte, von rechts heranstürmend, nur den französischen Angreifer und es gab zurecht Elfmeter. Diesen sollte nun Zidane ausführen. Damit war in Minute Sieben des Endspiels schon vorgezeichnet welche beiden Spieler dieses Finale am meisten prägen sollten. Materazzi und Zidane. Der Altmeister trat also an gegen den damals noch nicht so alten Meister Buffon im Tor der Squadra Azzura. Und eiskalt und mit dem nötigen Schuss Eleganz verwandelte Zizou. Ein Panenka-Elfmeter, an die Unterkante der Latte gechippt, brachte den Franzosen die Führung. Die nächsten Minuten ließen wenig Gutes für die Italiener erhoffen. Wie schon im Viertelfinale gegen Brasilien war der 34-jährige Zidane Dreh- und Angelpunkt des Spiels, immer in der Zentrale anspielbar und in der Lage den richtigen Anspielpartner zu finden. Nach einer schönen Eröffnung auf Sagnol schlug dieser eine scharfe Flanke und Materazzi hätte fast noch ein Eigentor nachgelegt. Doch noch in der frühen Phase des Spiels sollte sich zeigen, dass auch Italien einen Maestro in ihren Reihen hatte. Andrea Pirlo, mit der 21, sorgte erst mit einem Freistoß aus dem Halbfeld für Gefahr. Dann hast er in der 19. Minute eine Ecke. Und diese Ecke fand den Weg punktgenau auf den Kopf von, es war fast zu erahnen, Marco Materazzi. Dieser setzte also den Weg fort, seinen Namen für immer mit diesem Finalspiel zu verweben und köpfte ein. Nach 19 Minuten stand es also schon 1:1. In der Folge hatte Frankreich am Ball leicht die Oberhand und kontrollierte weitestgehend das Mittelfeld ohne wirklich zwingend zum Abschluss zu kommen. Die größte Chance der ersten Halbzeit gehörte dann den Italienern, die vor Allem durch Standards von Pirlo gefährlich wurden. Nach einer Ecke, ähnlich der vor dem 1:1, traf Luca Toni allerdings nur die Latte.

Zweite Halbzeit

Die zweite Halbzeit zeichnete erstmal ein ähnliches Bild. Bei den Franzosen rückte mehr und mehr die Nummer 12 in den Vordergrund. Denn Thierry Henry konnte ein ums andere Mal mit seiner Agilität und dem hohen Tempo die Italiener überrumpeln. Wirklich gefährliche Abschlüsse wusste er allerdings zunächst nicht zu produzieren. Die größtenteils gut gestaffelten Italiener wirkten defensiv aber größtenteils auch so stabil, wie es sich für eine italienische Mannschaft geziemt. Weiter wurde hier auf die Gefahr nach Standards gesetzt. Ein weiterer Freistoß würde von Luca Toni stark eingeköpft. Dieses Tor wurde allerdings aufgrund einer Abseitsstellung nicht gegeben. Im Anschluss konnte Henry dann endlich mal Buffon wirklich prüfen. Dieser hielt allerdings stand. Nun wurde das Spiel langsam immer zerfahrener. Gefährliche Situationen entstanden hauptsächlich durch Standards von Zidane und Pirlo. Folgerichtig ging die reguläre Spielzeit also 1:1 zu Ende. Es sollte in die Verlängerung gehen. Eine Verlängerung, in der erneut Zidane und Materazzi prägend sein sollten.

Photo Alex Livesey

 

Die Nachspielzeit / Au Revoir Zizou

Die Franzosen begannen für eine Verlängerung erstaunlich druckvoll. Ähnlich der Situation zu Beginn des Spiels fand Zidane Sagnol auf dem Flügel. Dieses Mal schritt der französische Kapitän danach allerdings selber in den italienischen Strafraum und wurde von Sagnol gefunden. Ein wuchtiger Kopfball des Franzosen war das Resultat. Langsam wurde nun deutlich, dass auch die Italiener einen ganz großen Fußballer hatten. Gianluigi Buffon parierte glänzend und hielt die Meisterträume der Italiener am Leben. Nun war die Zeit der fußballerischen Highlights zu Ende, beiden Teams merkte man die Erschöpfung an. Doch bevor es zum Elfmeterschießen kommen sollte, war noch einer der ikonischsten Fußballmomente aller Zeiten vorgesehen. Es brach die 110. Minute an. Außerhalb der Fernsehbilder, außerhalb des Blicks der Linien- sowie des Schiedsrichters geht Materazzi zu Boden. Der Schiedsrichter unterbricht das Spiel als er den Italiener am Boden sieht. Wiederholungen werden nun aufzeigen, wie sich einer der größten Fußballer aller Zeiten von der Weltbühne verabschiedete. Nach einem kleinen Gerangel mit Materazzi geht Zidane wieder in Richtung der eigenen Hälfte. Der Italiener redet auf ihn ein. Schlagartig dreht sich der 10er, der wie kein anderer diese Position verkörperte, um und rammt dem Verteidiger seinen Kopf auf Brusthöhe in den Körper. Eine klare Tätlichkeit. Allerdings ungesehen von den Offiziellen. Bis der Vierte dieser Art sich meldet und vom Spielfeldrand den Schiedsrichter aufklärt. Zizou erhält berechtigt die rote Karte und echt ein letztes Mal als aktiver Spieler von einem Fußballfeld. Später soll sich herausstellen, das Materazzi die Schwester Zidanes beleidigt haben soll. Keine Rechtfertigung und vor Allem kein Trost für einen solch unwürdigen Abgang eines ganz, ganz Großen. Das Spiel sollte sich von diesem Moment nicht mehr erholen und trudelte ins Elfmeterschießen. Dank Materazzi und Zidane würde hier trotzdem nicht nur WM- sondern Fußballgeschichte geschrieben.

Das Elfmeterschießen ging letztendlich 5:3 für die Italiener aus. Der zweite Elfmeterschütze der Equipe Tricolore, David Trezeguet, verschoss. Der Ball prallte von der Latte zurück ins Feld. Alle Italiener blieben hingegen treffsicher und besiegelten mit dem finalen Elfmeter von Grosso den WM-Titel.

Photo JOHN MACDOUGALL

 

Rein spielerisch konnte das Finale nicht hinlänglich überzeugen, die beiden frühen Tore garantierten allerdings eine bis zum Schluss spürbare Spannung. Auch blieb, gerade in der Qualität der Einzelaktionen, nicht unbemerkt welche Kaliber sich auf dem Platz befanden. Sei es ein Zidane, ein Henry oder ein junger Ribery auf der französischen, ein Buffon und ein herausragender Pirlo auf italienischer Seite. Alle diese Spieler zeigten immer mal wieder welch unfassbare Klasse sie an den Tag legen konnten und sorgten so für die spielerischen Akzente in dieser spannungsgeladenen Partie. Zidanes Abgang bleibt einer der dramatischsten der jüngeren Fußballgeschichte und wird wohl als Teil der Pop- und Sportkultur ewig erhalten bleiben. Ob es wirklich eine Freude ist, das aus einem WM-Finale vor Allem eine dumme Tätlichkeit hängen bleibt sei dahingestellt.

 

Aufstellung: Italien: Gianluigi Buffon – Gianluca Zambrotta, Fabio Cannavaro, Marco Materazzi, Grosso – Gennaro Gattuso, Mauro Camoranesi (86. Alessandro Del Piero), Simone Perrotta (61. Vincenzo Iaquinta), Andrea Pirlo – Luca Toni, Francesco Totti (61. Daniele De Rossi). Trainer: Marcello Lippi

Frankreich: Fabien Barthez – Willy Sagnol, William Gallas, Lilian Thuram, Éric Abidal – Patrick Vieira (56. Alou Diarra), Claude Makélélé – Franck Ribéry (100. David Trezeguet), Zinédine Zidane, Florent Malouda – Thierry Henry (107. Sylvain Wiltord). Trainer: Raymond Domenech

Julius Eid

Seit 2018 bei 90PLUS, seit Riquelme Fußballfan. Gerade die emotionale Seite des Sports und Fan-Themen sind Julius‘ Steckenpferd. Alleine deshalb gilt: Klopp vor Guardiola.


Ähnliche Artikel