Weißt du noch? | Die neun magischen Minuten von Robert Lewandowski gegen Wolfsburg

22. September 2020 | Weißt du noch...? | BY Victor Catalina

Am 22. September 2015 traf der FC Bayern auf den VfL Wolfsburg. Es war ein Spiel, das gewöhnlich begann – und in den Rekordbüchern endete. Gleichzeitig war es auch der Beginn der Ära Lewandowski beim FC Bayern.

  • 2014/15: Verletzungsgeplagte Bayern und das „Pep-Problem“
  • FC Bayern ohne Lewandowski wenig überzeugend – und im Glück
  • Robert Lewandowski: Ein Abend für die Rekordbücher – und der Beginn einer Ära

FC Bayern 2014/2015: Lewandowski und das „Pep-Problem“

Die Saison 2014/2015 war beileibe keine einfache für den FC Bayern. Mit insgesamt 14 Spielern stellte der Verein das Gros aller eingesetzten Akteure bei der Weltmeisterschaft in Brasilien, nicht wenige kamen auch bis in die letzten Runden oder gewannen sogar den Titel. Wurde die Mannschaft mit einem Torverhältnis von 41:4 noch von der weltmeisterlichen Euphorie durch die Hinrunde getragen, so machten sich spätestens in der zweiten Saisonhälfte Verschleißerscheinungen bemerkbar.

(Photo by CHRISTOF STACHE/AFP via Getty Images)

Schlüsselspieler wie Bastian Schweinsteiger, Franck Ribéry, Arjen Robben oder David Alaba wurden von Verletzungen heimgesucht. Auch der eigentlich unkaputtbare Robert Lewandowski zog sich beim Pokalhalbfinale gegen Borussia Dortmund im Duell mit Ex-Kollege Mitch Langerak mehrere Frakturen im Gesicht zu und musste in der Folge mit Maske spielen. Für den Polen war es in seinen bislang sechs Jahren in München die von der Ausbeute her schwächste Saison. Gerade einmal 17 Tore erzielte er, halb so viele wie in der vergangenen Spielzeit. Eine bekannte deutsche Zeitung dichtete ihm ein „Pep-Problem“ an, der Spielstil von Jürgen Klopp sei mehr auf ihn zugeschnitten gewesen und klassische Mittelstürmer wie Zlatan Ibrahimovic, Samuel Eto’o oder Lewandowskis Vorgänger Mario Mandzukic hätten sowieso einen schweren Stand beim Katalanen.

FC Bayern im Topspiel ohne Lewandowski im Glück

Demzufolge fand Robert Lewandowski sich in seiner ersten Spielzeit in München manchmal nur unter den Reservisten wieder. Auch 2015/16 schien sich das Bild – vorerst – nicht zu bessern. Thomas Müller machte mit sechs Toren an den ersten vier Spieltagen als Knipser auf sich aufmerksam, auch der damals neu aus Donezk verpflichtete Douglas Costa fiel mit Tempo und Vorlagen positiv auf.

Am 6. Spieltag, dem 22. September 2015, stand für den FC Bayern der erste richtige Härtetest der Saison an. Es ging gegen Vizemeister und Pokalsieger VfL Wolfsburg. Lewandowski fand sich nur auf der Bank wieder, Pep Guardiola setzte auf eine fluide Offensive aus Douglas Costa, Thomas Müller und Mario Götze. Der VfL versuchte, den Abgang von Kevin De Bruyne mit Spielern wie Max Kruse oder Julian Draxler im Kollektiv zu kompensieren.

FC Bayern: Neuer – Lahm, Boateng, Alaba, Bernat – Vidal, Xabi Alonso, Thiago – Douglas Costa, Götze, Müller
Trainer: Pep Guardiola

VfL Wolfsburg: Benaglio – R. Rodríguez, Naldo, Dante, Träsch – Draxler, Luiz Gustavo, Guilavogui, D. Caligiuri – M. Kruse, Dost
Trainer: Dieter Hecking

Die erste Hälfte ist schnell erzählt, der FC Bayern klopfte den VfL zwar auf Lücken ab, fand sie aber kaum. Die Wölfe selbst lieferten einen cleveren wie couragierten Auftritt ab – und belohnten sich in Minute 26 dafür. Über Bas Dost und Julian Draxler kam der Ball zu Daniel Caligiuri – und der machte kurzen Prozess und hängte ihn vom rechten Fünfmetereck hoch in den Winkel – 0:1.

(Photo by Lennart Preiss/Bongarts/Getty Images)

Um ein Haar hätten die Wolfsburger sogar nachgelegt. Nachdem sich Manuel Neuer bei einem seiner zahlreichen Ausflüge massiv verschätzte, traf Joshua Guilavogui aus rund 50 Metern nur den Außenpfosten des verwaisten Münchener Tores. Zur Pause war der VfL Wolfsburg also auf dem besten Weg, sämtliche Punkte aus der Allianz Arena zu entführen.

Als „Batsch-Batsch“ einen Namen bekam

Kurz vor Wiederbeginn entschloss sich Pep Guardiola zweimal zu wechseln: Javi Martínez kam für Juan Bernat und Robert Lewandowski für Thiago. Was der Katalane nicht ahnte: Eine dieser Einwechslungen sollte Fußballgeschichte schreiben. Mit David Alaba als Linksverteidiger und Javi Martínez im Zentrum machte das Bayern-Spiel einen wesentlich stabileren Eindruck – und der in der Vorsaison bisweilen gehemmt wirkende Robert Lewandowski sorgte für eine Tor-Eruption epischen Ausmaßes.

„50 Minuten lang macht Wolfsburg hier alles richtig und ein gutes Spiel und dann macht es “Batsch, Batsch.“
– Wolff Fuss

Los ging es in Minute 51 per Abstauber, Arturo Vidal hatte die Szene mit einem Hackentrick eingeleitet, bevor die Klärungsaktion des Ex-Müncheners Dante fehlzündete. Nur 59 Sekunden später feuerte Lewandowski einen Schuss aus 22 Metern mit über 100 km/h zum 2:1 ab. Den Kommentar von Wolff Fuss erwiderte Experte Lothar Matthäus mit: „Aber “Batsch, Batsch” hat auch einen Namen. Lewandowski. Und diesen Spieler haben wir von Anfang an eigentlich vermisst.“

(Photo by CHRISTOF STACHE/AFP via Getty Images)

Auf die Wolfsburger dürfte das weniger zutreffen. Im Anschluss hatten sie zwar etwas Ruhe – also, für gut drei Minuten. Dann fegte der Ein-Mann-Tornado erneut durch die Autostadt. Die Münchener konterten über Thomas Müller und Mario Götze. Lewandowski setzte den ersten Versuch noch an den Pfosten, mit dem zweiten scheiterte er an Benaglio und den dritten versenkte der Pole. Ein lupenreiner Hattrick in 3:19 Minuten und der erste für Lewandowski im Trikot des FC Bayern.

„Was heißt goldenes Händchen auf catalan?“

Am Mikrofon gingen Fuss und Matthäus langsam aber sicher die Superlative aus.

Fuss: „Was heißt goldenes Händchen auf spanisch oder auf catalan?“
Matthäus: „Ambracho d’oro“
Fuss: „Oder so ähnlich.“

Die „goldene Umarmung“ – oder zumindest den entfernten Verwandten davon, den Lothar Matthäus hervorbrachte – hätten Lewandowski sicherlich viele gegeben. Allerdings war das Spektakel noch immer nicht zu Ende. Minute 57, Douglas Costa zündet auf der linken Seite den Turbolader, seine perfekte Flanke landet natürlich bei Robert Lewandowski und von dort aus natürlich volley im linken Winkel. Viererpack in 5:19 Minuten! Scherzhaft meinte Wolff Fuss: „Und in Wolfsburg legen sie jetzt den Lewy Quattro auf… Nicht.“

Was jetzt noch fehlte, war das große Finale. Nach etwas ruhigeren drei Minuten verpasste Robert Lewandowski zur Stundenmarke seinem Kunstwerk den letzten Pinselstrich. Mario Götze flankte den Ball vom rechten Flügel an die Strafraumkante, dort lag Lewandowski waagerecht in der Luft und erzielte per schulbuchmäßigem Seitfallzieher sein fünftes Tor in 8:59 Minuten. Es wurde am Ende sogar zum „Tor des Monats“ gewählt.

Spätestens jetzt gab es in der Allianz Arena kein Halten mehr. Kai Dittmann, der das Spiel in der Konferenz kommentierte, platzte mit einem „LEWANDOWSKI IN MÜNCHEN!“ dazwischen, Wolff Fuss fand es „unvorstellbar“ und Phil Bonney, der für den internationalen Feed zuständig war meinte nur: „You just cannot be that good! That is an amazing goal!“

Pep Guardiola stand derweil mit dem Rücken zum Spielfeld, die Hände gefaltet und die Augen so groß, wie zwei Meisterschalen. Selbst er konnte nicht glauben, was er 15 Minuten zuvor über den inzwischen bemitleidenswerten VfL losgelassen hat.

90. Minute, Nachspielzeit gab es keine. Das Spiel war beendet und es war eines für die Rekordbücher. Schnellster Hattrick, Viererpack und Fünferpack der Bundesligageschichte, zudem war es das erste Mal, das ein Einwechselspieler fünf Tore erzielte.

Lewandowskis Rekordwoche: Der Beginn einer Ära

Mit diesem Spiel war Robert Lewandowski endgültig in München angekommen. Innerhalb von etwas mehr als einer Woche erzielte er noch einen Doppelpack in Mainz (3:0), einen Hattrick gegen Dinamo Zagreb (5:0), sowie zwei weitere Treffer im Topspiel gegen Borussia Dortmund (5:1). Die Saison schloss Lewandowski erstmals mit 30 Bundesligatoren ab. Inzwischen hat er Jupp Heynckes abgelöst und ist drittbester Torschütze der Bundesligageschichte sowie zweitbester des FC Bayern nach Gerd Müller. Und diesen Sommer hat er sich sogar das Triple gesichert. Der 22. September 2015, es war nicht nur ein Spiel, sondern der Beginn einer Ära.

(Photo by Lennart Preiss/Bongarts/Getty Images)

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Victor Catalina

Victor Catalina

Mit Hitzfelds Bayern aufgewachsen, in Dortmund studiert und Sheffield das eigene Handwerk perfektioniert. Für 90PLUS immer bestens über die Vergangenheit und Gegenwart des europäischen Fußballs sowie seine Statistiken informiert.


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