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Weißt du noch? 29.01.2012 – Guidetti lässt „De Kuip“ beben

27. Oktober 2018 | Spotlight | BY Manuel Behlert

Das Duell zwischen Feyenoord aus Rotterdam und Ajax aus Amsterdam wird in der niederländischen Eredivisie auch „De Klasieker“ genannt. Beide Mannschaften gehören zu den traditionsreichsten und erfolgreichsten im niederländischen Fußball, trafen bereits unzählige Male aufeinander. So auch am 19. Spieltag der Saison 2011/12. Mit 48.000 Zuschauern war „De Kuip“ in Rotterdam prallgefüllt, mit Björn Kuipers wurde ein erfahrener und begabter Spielleiter bestimmt und das Spiel sollte wieder einmal halten, was es versprach. Ein „Klasieker“ eben. 

 

Die Vorzeichen – Eigentlich ungewöhnlich 

Im Sommer 2011 hat sich Feyenoord auf dem Transfermarkt zurückgehalten, kein Geld für Neuverpflichtungen ausgegeben. Und: Topspieler wurden abgegeben, darunter die Mittelfeldspieler Fer (Twente) und Wijnaldum (PSV). Zudem wurde Sturmtalent Castaignos abgegeben und durch Leihgabe Guidetti ersetzt, der von Manchester City in die Eredivisie wechselte. Ajax griff zwar nicht tief in die Tasche, reagierte aber auf Abgänge wie den von Torhüter Stekelenburg, der zur Roma wechselte. Mit Cillessen und Sigthorsson wurden junge Spieler verpflichtet, zudem mit Boilesen und van Rhijn wieder einmal vielversprechende Talente aus der eigenen Jugend gefördert. Beide Mannschaften verfügten, auch wenn zusammen nicht einmal 15 Millionen Euro ausgegeben wurden, über gute Kader und galten erneut als Kandidaten für die Meisterschaft.

(Photo by JERRY LAMPEN/AFP/GettyImages)

Nach 18 Spieltagen stand in der Eredivisie weder Ajax Amsterdam noch Feyenoord auf Platz 1 in der Tabelle. Und: Vor dem Duell beider Mannschaften patzten beide! Ajax spielte bei Tabellenführer Alkmaar 1:1 und verpasste die Chance bis auf 2 Zähler an AZ heranzukommen, Feyenoord leistete sich sogar eine 1:2-Pleite bei Abstiegskandidat Venlo. Wiedergutmachung war also angesagt, Ronald Koeman und Frank de Boer hatten eine schwierige Woche vor sich um ihr Team wieder auf Kurs zu bringen. Bei Feyenoord wusste man: Verliert man zuhause gegen Ajax, dann sieht es nicht nur schlecht aus was die Ambitionen rund um den Meistertitel angeht, auch die Champions League ist in Gefahr. Und Ajax wollte unbedingt den zweiten Meistertitel in Folge einfahren, nachdem man vor 2011 eine Durststrecke von 6 Jahren hinnehmen musste. 

 

Aufstellungen und Torfolge

Feyenoord: Erwin Mulder – Kamohelo Mokotjo, Ron Vlaar, Bruno Martins Indi, Miquel Nelom – Kelvin Leerdam, Jordy Clasie (88. Stefan de Vrij), Otman Bakkal – Ruben Schaken, Guyon Fernandez (82. Sekou Cissé), John Guidetti (90. Jerson Cabral) 

Bank: Konstantinos Lamprou (TW) – Gill Swerts, Tonny Vilhena, Anass Achahbar

Trainer: Ronald Koeman

 

Ajax: Kenneth Vermeer – Vurnon Anita, Ricardo van Rhijn, Jan Vertonghen, Daley Blind – Theo Janssen (74. Dmitri Bulykin), Eyong Enoh (64. Davy Klaassen), Christian Eriksen – Miralem Sulejmani (64. Nicolas Lodeiro), Kyle Ebecilio, Siem de Jong

Bank: Jasper Cilessen (TW) – Joel Veltman, Ruben Ligeon, Ismail Aissati

Trainer: Frank de Boer

 

0:1 Christian Eriksen (18.) 1:1 John Guidetti (30., FE.), 2:1 John Guidetti (41.), 3:1 Otman Bakkal (50.), 3:2 Dmitri Bulykin (80.), 4:2 John Guidetti (83.)

 

Der Rahmen stimmte

Der Begriff „Hexenkessel“ wird bei Fußballstadien gemeinhin etwas zu inflationär benutzt, auf „De Kuip“ trifft diese Bezeichnung aber vollumfänglich zu, insbesondere bei den großen Begegnungen auf nationaler und internationaler Ebene. Beide Fanlager fieberten diesem Spiel entgegen, die „Hütte“ war voll, Choreografien und Pyrotechnik sorgten vor dem Spiel bereits für einen frenetischen Empfang beider Mannschaften. Das Spiel begann genauso, wie man es erwarten konnte: umkämpft. Viele Zweikämpfe bestimmten das Bild in der Anfangsphase, keiner wollte seinem Gegner die Möglichkeit geben das eigene Offensivspiel aufzuziehen.

(Photo by MARCO DE SWART/AFP/Getty Images)

Schon früh versuchte der junge Christian Eriksen das Spiel an sich zu reißen. Der Däne war der kreative Kopf der Ajax-Offensive und setzte nach etwas mehr als einer Viertelstunde ein Zeichen, als er den Ball in halbrechter Position bekam, seinen Gegenspieler mit einer simplen aber effektiven Körpertäuschung ins Leere schickte und den Ball mit einem formidablen Linksschuss in das lange Eck schoss. All das geschah, nachdem Feyenoord einen Eckball zugesprochen bekam. Das Umschaltverhalten der Gastgeber war absolut mangelhaft. Keeper Mulder war chancenlos, konnte dem Ball trotz einer Flugeinlage nur hinterherschauen. Ajax setzte also den ersten Akzent und ging in Führung! Zur Beruhigung des Spiels trug dies allerdings nicht bei.

Der Guidetti-Hype nimmt Fahrt auf

Wer dachte, dass dieses Gegentor Feyenoord aus der Bahn wirft, der lag falsch. Schon gut 90 Sekunden nach dem schönen Treffer von Eriksen dribbelte Schaken über die rechte Seite, zog mehrere Verteidiger auf sich und spielte eine hervorragende Flanke in den Strafraum. Die direkte Abnahme von Fernandez landete aber am Pfosten, der Nachschuss wurde geblockt. „De Kuip“ war sofort wieder da, feuerte die Mannschaft an und peitschte die Spieler nach vorn. In der 26. Minute hätte diese Euphorie aber einen weiteren Dämpfer kassieren können, denn nach einem deutlich zu kurzen Rückpass von Nelom lief Ajax-Angreifer Ebecilio alleine in Richtung Mulder. Doch der Torhüter von Feyenoord behielt die Ruhe und konnte dem Stürmer den Ball abnehmen, die Chance zum 0:2 blieb also ungenutzt, ebenso wie 3 Minuten später, als Mulder gegen Sulejmani klärte.

Photo by MARCO DE SWART/AFP/GettyImages)

Nach einer halben Stunde entschied der Schiedsrichter nach einem vermeintlichen Foul von Vertonghen an Guidetti auf Elfmeter, doch der Innenverteidiger der Gäste spielte zumindest auch den Ball. Dem jungen Guidetti, der zu diesem Zeitpunkt als eines der vielversprechendsten Talente im europäischen Fußball galt, war das aber egal: Er verwandelte eiskalt in die linke obere Ecke, das Spiel war wieder ausgeglichen. In der Folge beruhigte sich das Spiel etwas, das Tempo zu Beginn war extrem hoch und konnte so nicht durchgehalten werden. Ajax hatte größere Ballbesitzmomente, ohne aber entscheidend in die Spitze zu spielen. Erst in der 41. Minute wurde es wieder gefährlich. Einen Freistoß von Clasie köpfte Bakkal auf das Tor, Cillessen konnte abwehren, aber im Getümmel des Strafraums positionierte sich John Guidetti richtig und erzielte aus kurzer Distanz das 2:1. Der 19-jährige hatte den „Klasieker“ gedreht! Kurz vor der Halbzeit hatte der Gastgeber sogar noch die Chance auf das 3:1. Erneut war es Schaken, der nicht kontrolliert werden konnte, mit einer Hereingabe – und Fernandez scheiterte aus kurzer Distanz an Cillessen.

 

Schaken, Schaken, Schaken

Zu Beginn der 2. Halbzeit blieb das Bild unverändert. Feyenoord griff über die rechte Seite und den fantastischen Ruben Schaken an, der erneut seine immensen Geschwindigkeitsvorteile ausnutzte, Daley Blind alt aussehen ließ und punktgenau auf Fernandez flankte, der vorbeiköpfte. Schaken (mittlerweile 30 und in der 4. Liga zuhause) war der überragende Mann auf der rechten Seite, initiierte Angriff um Angriff und hätte zu diesem Zeitpunkt schon 2 oder 3 Torvorlagen haben können. In der 50. Minute trieb Fernandez den Ball durch das Mittelfeld, ließ Anita stehen und sprintete in Richtung Strafraum. Zunächst sah es so aus als hätte er den richtigen Moment für das Abspiel verpasst, doch die passive Ajax-Defensive ermöglichte es Bakkal wieder aus dem Abseits herauszukommen. Bakkal wurde bedient, nahm den Ball seelenruhig an und schoss diesen in die lange Ecke. Cillessen war chancenlos und es stand 3:1!

(Photo by JERRY LAMPEN/AFP/GettyImages)

Ajax wirkte in der Folge geschockt. Die Tore kurz vor und kurz nach der Halbzeit waren nur schwer zu verarbeiten und Feyenoord wirkte in nahezu jeder Situation gefährlich. Die Gäste hatten häufig den Ball, konnten aber keine Lücken finden. Das Team von Trainer Ronald Koeman spielte in diesen Momenten sehr geschickt, zog sich zurück, presste situativ und bot fast überhaupt nichts an. Ajax kreierte fast überhaupt keine Torgefahr, wurde lediglich durch Distanzschüsse überhaupt einmal ansatzweise gefährlich, aber Torhüter Mulder musste keine Glanzparade zeigen, das Spiel schien entschieden. Frank de Boer versuchte viel, wechselte offensiv, brachte Klaassen, den Dribbler Lodeiro und den wuchtigen Stürmer Bulykin, der für seine Jokerqualitäten bekannt war.

 

Hektik in der Schlussphase – und Guidetti

In der Schlussphase sollte das Spiel aber doch noch einmal hektisch werden! Eine verrückte Szene spielte sich rund 10 Minuten vor dem Ende ab, als Fernandez mangels Anspielmöglichkeiten einen flachen Ball über 60 Meter zurück zum eigenen Torhüter spielte. Mulder, die Ruhe selbst in dieser Situation, nahm den Ball an und schaute sich nach Optionen um. Bulykin lief Mulder an, der sich den Ball dann vorlegte um ihn anschließend wegzuschlagen. Doch Mulder unterlief ein grober technischer Fehler, er legte sich die Kugel zu weit vor, schoss danach Bulykin an das Bein und der Ball flog ins Tor. Der kuriose Anschlusstreffer und die zahlreichen offensiven Akteure auf Seiten der Gäste versprachen eine spannende Schlussphase.

Sofort nach dem Anstoß versuchte Ajax erneut Druck auszuüben, spielte einige Bälle in den Strafraum, aber natürlich sorgen die Offensivbemühungen dafür, dass Feyenoord Raum zum Kontern bekommt. Und den nutzten die Gastgeber schon kurze Zeit später. Natürlich wurde der Ball zunächst auf Schaken gespielt, der den mitlaufenden Mokotjo bediente. Dieser spielte eine Hereingabe in die Mitte und wer lauerte dort? Natürlich John Guidetti. Der junge Schwede nahm den Ball an schloss sofort ab, Cilessen hatte erneut keine Abwehrchance und nun drehte „De Kuip“ endgültig durch. Das 4:2 war auch der Schlusspunkt, Ajax konnte sich von diesem Treffer nicht mehr erholen. Beeindruckend waren auch die Szenen nach Schlusspfiff, das ganze Stadion (abgesehen von den Gästefans) feierte in Ekstase, angeheizt von Innenverteidiger Ron Vlaar, der mit Feyenoord-Schal und einem Mikrofon ausgerüstet durch den Innenraum stolzierte und die Menge anheizte. Feyenoord feierte also vor allem dank überragender Leistungen von Schaken und Guidetti und Treffern in den entscheidenden Phasen einen ungemein wichtigen Sieg.

 

Was geschah danach? 

Durch den Sieg im „Klasieker“ hatte sich Feyenoord also wieder im Rennen um die Meisterschaft zurückgemeldet und einen direkten Konkurrenten überzeugend geschlagen. Zwischen Tabellenführer PSV (41) und Feyenoord (34) auf Platz 6 lagen nun also 7 Punkte, einige Spieltage waren noch zu absolvieren. Sowohl Ajax als auch Feyenoord konnten nicht sofort eine Serie starten, blieben auch in den kommenden Spieltagen eher auf den Plätzen 5 und 6. Doch beide profitierten von einer Schwächeperiode der PSV, sodass nach 26 Spielen nur noch 5 Zähler zwischen Platz 1 (Alkmaar) und Platz 6 (Feyenoord) lagen. Nach einem Alkmaar-Patzer bei Vitesse übernahm Ajax am 28. Spieltag schließlich die Tabellenführung und behauptete diese auch bis zum Saisonende.

Auch Feyenoord spielte am Saisonende noch eine gute Rolle, sicherte sich die Vizemeisterschaft und fuhr am Ende starke 70 Punkte ein. Interessanterweise wurden die entscheidenden Siege zur Verbesserung der Platzierung erst am Ende eingefahren, nicht schon nach dem Sieg gegen Ajax, der durchaus als Initialzündung hätte dienen können. Die Mannschaft von Frank de Boer erholte sich schnell, sammelte am Ende 76 Punkte und wurde entsprechend auch verdient Meister in der Eredivisie.

Manuel Behlert

Vom Spitzenfußball bis zum 17-jährigen Nachwuchstalent aus Dänemark: Manu interessiert sich für alle Facetten im Weltfußball. Seit 2017 im 90PLUS-Team. Lässt sich vor allem von sehenswertem Offensivfußball begeistern.


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