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Macht ein taktischer Kniff Manchester City unbesiegbar?

18. Februar 2021 | Trending | BY Lukas Heigl

Spotlight | Manchester City dominiert aktuell England. Wettbewerbsübergreifend gewannen die Skyblues ihre letzten 17 Spiele bei einem Torverhältnis von 47:6. Hauptverantwortlich hierfür ist eine taktische Änderung, die Trainer Pep Guardiola sich hat einfallen lassen. 

Manchester City stellt einen neuen Siegerekord auf

Die bisher 17 Siege andauernde Siegesserie der Mannschaft von Pep Guardiola (50) bedeutet einen neuen Rekord für die meisten aufeinanderfolgenden Siege eines Tabellenführers in der englischen Fußballgeschichte. Vor allem die defensive Stabilität ist beeindruckend. Vier der sechs Gegentore kassierte man zu Zeitpunkten, als die jeweiligen Spiele bereits entschieden waren, ein Tor war ein Elfmeter im Spiel gegen Liverpool. Grund für den guten Lauf ist – wie sich gegen die Tottenham Hotspur eindrucksvoll zeigte – nicht in erster Linie der neue Abwehrchef Ruben Dias (23), da der Portugiese gegen die Spurs nicht zum Einsatz kam. Der Grund für die aktuelle Unbesiegbarkeit liegt stattdessen vor allem an einer taktischen Änderung.

Taktische Neuausrichtung der Außenverteidiger

Anstelle des klassischen 4-3-3 spielen die Cityzens in der Vorwärtsbewegung in einem 3-1-2-1-3. Dabei rückt einer der Außenverteidiger ins zentrale Mittelfeld, der andere bildet mit den beiden Innenverteidigern eine Dreierkette. Je nach Personal sieht dabei die Aufteilung anders aus. Wenn er spielt, übernimmt den Part des ins Mittelfeld vorrückenden Außenverteidigers Joao Cancelo (26). Der Portugiese kann dabei auf beiden Seiten eingesetzt werden. Spielt er auf der rechten Verteidigerposition, mimt Linksverteidiger Oleksandr Zinchenko (24) den dritten Innenverteidiger. Spielt Cancelo links, übernimmt Rechtsverteidiger Kyle Walker (30) die Rolle des dritten Mannes in der letzten Linie. Bilden Zinchenko und Walker das Außenverteidiger-Duo und Cancelo bekommt eine Pause, rückt der Ukrainer Zinchenko ins Mittelfeld vor.

Je nachdem, welche Variante Guardiola wählt, ändert sich auch die Zusammenstellung der Innenverteidiger. Rückt der Rechtsverteidiger nach vorne, spielt John Stones (26), mimt der Linksverteidiger einen Mittelfeldspieler, bekommt Aymeric Laporte (26) den Zuschlag. Die Begründung hierfür ist einfach: Dias soll immer das Zentrum der Dreierkette bilden, Stones ist Rechtsfuß und Laporte Linksfuß. Gegen Tottenham übernahm Laporte den zentralen Part der Dreierkette und lieferte eine fehlerfreie Partie ab. Durch dieses System mit drei absichernden Spielern können die Gegner die sich normalerweise hinter den offensiven Außenverteidigern öffnenden Räume nicht nutzen. Offensiv hat man mit dann vier Spielern im zentralen Mittelfeld nahezu gegen jeden Gegner eine Überzahl und kann sich deutlich leichter durch die gegnerischen Reihen kombinieren als mit drei Mittelfeldspielern.

Ederson als zusätzliche Anspielstation

Falls doch einmal ein Gegner versucht, die Skyblues hoch anzulaufen, bildet sich im Spielaufbau eine ungewöhnliche Viererkette. Nicht etwa ein Feldspieler, sondern Keeper Ederson (27) rückt in diese Kette und bildet eine zusätzliche Anspielstation. Der Brasilianer ist derart stark mit dem Ball am Fuß, dass dies keine Gefahr für die Mannschaft darstellt. Cancelo rückt in diesem Szenario nicht ganz so weit nach vorne, sondern bildet gemeinsam mit Rodri (24) die Doppelsechs, um eine zusätzliche Anspielstation zu schaffen. Sobald sich der Gegner dann zurückzieht, bildet sich das genannte 3-1-2-1-3.

Die Überzahl im Mittelfeld kann aktuell vor allem Ilkay Gündogan (30) nutzen. Der deutsche Nationalspieler sticht immer wieder aus dem Mittelfeld in die Sturmspitze nach vorne. Durch diese Läufe kreiert Gündogan für sich und seine Mitspieler Räume, die vorher oftmals nicht vorhanden waren. Seit der Systemumstellung erzielte der Mittelfeldspieler in elf Spielen zehn Treffer, bereitete zwei weitere vor und ist somit der Toptorschütze der Cityzens in der Premier League. Das ist besonders bemerkenswert, wenn man sich vor Augen führt, dass Gündogan in seinen ersten vier Jahren bei Manchester City nicht gerade als Torjäger galt und in dieser Zeit lediglich 15 Treffer erzielen konnte. Durch seine offensive Gefahr konnten es die Skyblues sogar verkraften, dass mit Kevin de Bruyne (29) und Sergio Agüero (32) zwei der in den vergangenen Jahren wichtigsten Offensivkräfte über weite Strecken der Siegesserie verletzt nicht zur Verfügung standen. In Phasen spielt Gündogan so offensiv, dass man systematisch fast von einem 3-3-4 sprechen könnte.

Cancelo endlich angekommen

Essentiell für dieses System ist natürlich die Qualität der Außenverteidiger. Walker spielte bereits in der englischen Nationalmannschaft regelmäßig als Innenverteidiger in einer Dreierkette, beispielsweise bei der Weltmeisterschaft 2018. Cancelo ist in seinem zweiten Jahr auf der Insel endgültig angekommen. Der ehemalige Spieler von Juventus Turin kam in seiner ersten Saison in Manchester lediglich auf 17 Einsätze. Nach einer Verbesserung der Situation sah es zu Beginn der aktuellen Saison nicht aus, der Portugiese stand in den ersten drei Saisonspielen nicht einmal im Kader. Am vierten Spieltag testete Guardiola ihn erstmals im zentralen Mittelfeld, damals noch in einem 3-5-2. Je länger die Saison lief, desto mehr wurde dem spanischen Trainer klar, dass die Stärken Cancelos nicht auf der Außenbahn, sondern im Zentrum liegen. Und dass er hier nicht auf die rechte Seite beschränkt ist, sondern auch links agieren kann.

Ebenfalls äußerst wichtig für Manchester City ist Zinchenkos Vielseitigkeit. Der Ukrainer ist gelernter zentraler Mittelfeldspieler, diese Position bekleidet er auch in der Nationalmannschaft. Von Guardiola wurde Zinchenko aus der Not heraus vor zwei Jahren zum Linksverteidiger umgeschult, da alle Linksverteidiger verletzt waren. Die Stärke des Ukrainers ist ganz klar das Spiel mit dem Ball, doch im Laufe der Zeit hat der Linksfuß auch das verteidigen immer mehr verinnerlicht. Somit gibt er Guardiola die Möglichkeit, auch ohne Cancelo sein neues System zu spielen, indem – wie beschrieben – Zinchenko dann auf seine gelernte Position ins Mittelfeld rutscht.

Manchester City macht die falsche Neun zur Waffe

Auch in der Angriffsreihe musste durch den zwischenzeitlichen Ausfall beider Stürmer, Agüero und Gabriel Jesus (23), eine innovative Lösung gefunden werden. Diese Lösung besteht darin, dass vor allem Raheem Sterling (26), aber auch de Bruyne oder Riyad Mahrez (29) die „falsche Neun“ spielen. Das heißt, dass sie als nicht gelernte Stürmer im Zentrum unterwegs sind. Auch die Entwicklung von Phil Foden (20) ist phänomenal. Der junge Engländer, der seit Jahren als Versprechen für die Zukunft gilt und von Guardiola einst als „der beste 19-Jährige, den ich jemals trainiert habe“ geadelt wurde, ist in dieser Saison endgültig zu einem wichtigen Teil des Kaders aufgestiegen. Die meiste Zeit verbringt der gelernte offensive Mittelfeldspieler hierbei auf der linken Außenbahn, wo er durch seine Dribblings und klugen Pässe immer wieder für Räume sorgt.

Flanken vor das Tor werden seit der Umstellung auf ein System ohne Stürmer noch weniger eingesetzt als zuvor. Wenn überhaupt geflankt wird, dann auf den langen Pfosten über die gegnerischen Innenverteidiger hinweg. Von dort soll der Ball zurück ins Zentrum auf die nachrückenden Spieler gelegt werden. Der bevorzugte Weg vor das gegnerische Tor besteht jedoch darin, dass der „Stürmer“ als Fixpunkt agiert, der die Außenbahnspieler und auch die Mittelfeldspieler regelmäßig mit Pässen in die Tiefe schickt. Entweder nutzen die Spieler den Raum dann selbst oder legen den Ball zurück, wo die Mitspieler schon warten.

Mendy und Jesus die großen Verlierer bei den Skyblues

Natürlich gibt es bei all den positiven Aspekten auch Verlierer. Hier ist vor allem Benjamin Mendy (26) zu nennen. Der Linksverteidiger, dessen Stärken in der Dynamik und beim Flankenspiel liegen, ist spielerisch nicht stark genug für die Position des ins Mittelfeld rückenden Außenverteidigers und defensiv nicht stabil genug, um als dritter Innenverteidiger fungieren zu können. Aus diesem Grund spielt der Franzose quasi keine Rolle mehr. Seit der Systemumstellung kam er lediglich dreimal im FA-Cup gegen unterklassige Vereine zum Einsatz. Ein zweiter Verlierer ist Jesus. Der Mittelstürmer ist seit dem 13. Januar wieder fit, durch den vermehrten Einsatz der falschen Neun bekommt der Brasilianer jedoch nicht die Einsatzzeiten, wie man es von dem einzigen fitten Mittelstürmer erwarten sollte. In nur fünf der neun Ligaspiele seit seiner Rückkehr stand Jesus in der Startelf, oftmals musste er dabei sogar auf den linken Flügel ausweichen. Ob sich an dem System ohne echte Spitze mit der Rückkehr von Agüero etwas ändert, wird man sehen müssen.

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Bleibt das System auch mit de Bruyne so?

Dass dieses System eine echte Schwäche hat, konnte bisher noch nicht bewiesen werden. Liverpool spielte bis zum 1:2 auf Augenhöhe, doch zu wirklichen Chancen kamen auch die Reds mit Ausnahme des Elfmetertors nicht. Insgesamt lag der xG-Wert der gegnerischen Mannschaften in den letzten 13 Ligaspielen insgesamt bei unfassbaren 6,2. Dabei ist es auch egal, mit welchem System der Gegner spielt. Gegen Mannschaften, die mit zwei zentralen Stürmern spielen und damit in der Theorie im Sturmzentrum eine Überzahl bei schnellen Gegenangriffen hätten, rückt Rodri nach Ballverlusten schnell in die letzte Linie. Dadurch wird aus der Dreierkette wieder eine Viererkette. Sobald der vorgezogene Außenverteidiger dann wieder seine angestammte Position eingenommen hat, kann der Spanier wieder ins defensive Mittelfeld gehen und das sehr kompakte 4-3-3 komplettieren.

(Photo by CATHERINE IVILL/POOL/AFP via Getty Images)

Die Frage wird nun sein, ob und wenn ja, wie sich das System mit der Rückkehr de Bruynes ändern wird. Der Belgier ist seit dieser Woche wieder im Mannschaftstraining und könnte bereits gegen den Arsenal FC am Wochenende auf dem Feld stehen. Wie bereits angesprochen, fungierte der offensive Mittelfeldspieler in diesem System bereits als falsche Neun. Auch möglich wäre, dass er die Rolle Bernardo Silvas (26) im zentralen Mittelfeld einnehmen wird. Unwahrscheinlich, aber auch denkbar ist, dass Guardiola nach der Rückkehr von Agüero und de Bruyne zurück zum alten, eher starren 4-3-3 übergeht.

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(Photo by Catherine Ivill/Getty Images)

Lukas Heigl

Liebhaber des britischen Fußballs: Von Brighton über Reading und Wimbledon bis nach Inverness. Ist mehr für Spiele der dritten englischen Liga als für den Classico zu begeistern. Durch das Kommentatoren-Duo Galler/Menuge auch am französischen Fußball interessiert


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