Implosion bei Manchester United, der beste Trainer der Welt…und Liverpool hat was?

5. Oktober 2020 | Premier League | BY Chris McCarthy

7 Awards – Premier League | Der vierte Spieltag hätte eigentlich mehr als nur sieben Awards verlangt, so viel Gesprächsstoff lieferten das 1:6 zwischen Manchester United und Tottenham, das 7:2 zwischen Aston Villa und Liverpool sowie die anderen acht Partien. 

„Was war das?“-Award: Aston Villa gegen Liverpool

Okay, was war das? Das dürfte wohl jeder, der nur entfernt am internationalen Fußball interessiert ist, beim Blick auf das Ergebnis der Partie Aston Villa gegen den FC Liverpool am Sonntagabend gedacht haben. Die Hausherren, die vergangene Saison dem Abstieg nur haarscharf entkamen, bezwangen den amtierenden Meister mit sage und schreibe 7:2 Toren!

Bei den Villains lief quasi alles richtig, während bei den Reds so ziemlich alles falsch lief. Gleich drei Tore des Underdogs wurden entscheidend abgefälscht, das 1:0 durch einen Fehlpass von Alisson-Vertreter Adrian gar auf dem Silbertablett serviert. Es wurden Fehler gemacht, gerade in der Defensive, die Abstände waren zu groß. All das kam phasenweise auch 2019/2020 vor. Anders als damals wurde dies nun gegen Villa vollumfänglich und eiskalt bestraft. Vor allem auch, weil der zuweilen übereffiziente Angriff ungewohnt verschwenderisch und glücklos agierte. Das oft zitierte Spielglück war dieses Mal nicht auf Seiten des Meisters, um ein solches Spiel zu retten, stattdessen war es auf Seiten des Gegners.

Das alles heißt natürlich nicht, dass die Mannschaft von Jürgen Klopp im Vorjahr nicht die beste der Liga war. Das war sie, vielleicht aber nicht mit dem Abstand, die die letztendlich 18 Punkte Vorsprung suggerierten. Das 2:7 sollte für Liverpool daher als eine Art Tritt in den Allerwertesten, bewertet werden. Es läuft nicht immer alles nach Plan, so wie 2019/2020, manchmal passiert sogar genau das Gegenteil. Um so wichtiger ist es, sowohl in der Defensive als auch in der Offensive permanent den Fokus hoch zu halten. Davon scheint man 2020/2021 trotz zuvor drei Siegen aus drei Spielen etwas entfernt zu sein. Roy Keane hatte es gesehen.

PS: Die hervorragende Leistung der Mannschaft von Dean Smith darf natürlich nicht unkommentiert bleiben. Dem Abstieg im letzten von der Schippe gesprungen, steht Aston Villa nach drei Spielen bei drei Siegen und 11:2 Toren. Neuzugang und Hattrick-Held Ollie Watkins (24) scheint die Antwort auf die Torflaute zu sein, während die Defensive deutlich gefestigter wird. Nach dem 7:2 gegen Liverpool dürfte die Mannschaft um Kapitän Jake Grealish nun regelrecht schweben.

„Implosion“-Award: Manchester United

José Mourinho gewinnt mit den Tottenham Hotspur mit 6:1 bei Manchester United. Die Schlagzeilen werden natürlich vom „Rachefeldzug“ des portugiesischen Trainers an alter Wirkungsstätte dominiert werden. Und ja, die Spurs boten eine überzeugende Mannschaftsleistung, bewiesen einen starken Charakter und wirkten wie schon in den Wochen zuvor regelrecht tödlich in der Offensive.

Und dennoch ist die eigentliche Geschichte des Spiels die große Implosion von ManUtd. Eine überfällige Implosion? Verfolger der 7 Awards zur Premier League werden wissen, dass Trainer Ole Gunnar Solslkjaer bei 90PLUS nicht den besten Stand hat (er wird’s überleben). Zu oft kaschierten individuelle Qualität im Angriff – vor allem Bruno Fernandes und Marcus Rashford – die strukturellen Probleme der Offensive. Immerhin wirkte die Defensive in der Rückrunde 2019/2020 etwas geordneter. Auch damit ist nun Schluss.

Nach drei Gegentoren gegen Crystal Palace (1:3) und zwei gegen Brighton (sowie fünf Aluminiumtreffern) beim schmeichelhaften 3:2-Sieg, erreichte die Abwehr am Sonntagabend den endgültigen Tiefpunkt. Dabei war ManUtd nach zwei Minuten durch einen Elfmeter in Führung gegangen. Keine fünf Minuten später stand es jedoch bereits 1:2, ehe die schonungslosen Spurs auf 6:1 erhöhten.

Alle Gegentore resultierten aus amateurhaften Fehlern und Unachtsamkeiten, die in dieser Form wohl auch ohne den Platzverweis für Anthony Martial (Tätlichkeit, 28.) gefallen wären. Es war eine schockierende Vorstellung der gesamten Mannschaft, der es an Antrieb, Konzentration, Organisation und vielen anderen Eigenschaften mangelte. Kurzum: Eine regelrechte Implosion und für Solskjaer vielleicht der Anfang vom Ende.

„Bester Trainer der Welt“-Award: Marcelo Bielsa

Für viele ist Pep Guardiola der beste Trainer der Welt. Der Spanier selbst adelt jedoch Marcelo Bielsa mit diesem Titel. „Er versteht vom Fußball viel mehr als ich“, sagte der Spanier vor dem direkten Trainerduell am Samstagabend. „Meine Mannschaften haben zwar mehr Titel gewonnen als seine, aber in Sachen Fachwissen bin ich ihm klar unterlegen.“

Am Samstag, als Guardiola mit Manchester City auf Bielsa und Leeds United traf, konnte man erkennen, wieso er so große Stücke auf den Argentinier hält. Der unterhaltsame Aufsteiger (zwei Siege und eine unglückliche Niederlage gegen Liverpool) bot auch der millionenschweren Starauswahl aus Manchester Paroli. Nachdem der frühe und verdiente Rückstand durch Raheem Sterling (17) abgeschüttelt wurde, begann Leeds den Fußball zu zeigen, den eine Bielsa-Mannschaft auszeichnet.

Pure Intensität, hervorragendes Positionsspiel und teilweise Kombinationsfußball aus der obersten Schublade: Spätestens in Durchgang zwei dominierten die „Whites“ den Vizemeister regelrecht, erzielten den hoch verdienten Ausgleich durch Rodrigo (59) und hätten womöglich sogar einen Dreier verdient gehabt. Nach 90 Minuten stand es zwar 1:1. Doch die Tatsache, dass Leeds mehr Ballbesitz (52 Prozent), mehr Schüsse aufs Tor (7:2), mehr Großchancen (5:0) und mehr Pässe (365:319) als Manchester City hatte, spricht eine deutliche Sprache.

„Wie entfesselt“ – Award: James Rodriguez

Nach vier Spieltagen ist der FC Everton Tabellenführer. An dieser Stelle könnten wir darüber reden, wie Carlo Ancelotti die Toffees seit einer gefühlten Ewigkeit wieder zu einem wahren Anwärter auf die Top-Four geformt hat. Wir könnten darüber reden, wie sicher sein Team steht, wie gut das Mittelfeld ausbalanciert ist und wie zuverlässig Calvert Lewin trifft.

Wenn es um den hervorragenden Start des FC Everton geht, führt allerdings kein Weg an James Rodriguez vorbei. Der Kolumbianer, der vor der Saison ablösefrei (!) von Real Madrid zu Everton wechselte, wirkt nach dem Tapetenwechsel wie entfesselt. Das einst so statische Offensivspiel der Toffees strotzt plötzlich vor Spielfreude und Kreativität. Rodriguez ist der Auslöser. Beim 4:2-Erfolg über Brighton war der ehemalige Bayern-Leihspieler abermals der beste Mann auf dem Platz, erzielte zwei Treffer und legte eins vor.

Sein Arbeitsnachweis nach vier Spielen in der Premier League: Vier Siege, drei Tore, zwei Vorlagen. Das sind schon jetzt mehr Torbeteiligungen als in 14 Spielen für Real Madrid in der Vorsaison. Darüber hinaus hat James Rodriguez nach Kevin De Bruyne die zweitmeisten Chancen der Liga herausgespielt.

 

„Selbst die defensiven Transfers sind offensiv“-Award: FC Chelsea

Vergangene Woche verliehen wir dem FC Chelsea den “Vorne hui, hinten pfui”-Award. Der Grund lag auf der Hand. Nachdem die Blues die meisten Gegentore der oberen Tabellenhälfte kassierten, investierten sie knapp 180 Millionen Euro in Offensivpersonal. Die Folge: Nach nur drei Spieltagen und einem 3:3 gegen Aufsteiger West Bromwich stehen bereits sechs Gegentore zu Buche.

Eine der wenigen Neuverpflichtungen für die Defensive ist Ben Chilwell. Dass der Linksverteidiger, der für 50 Millionen Euro aus Leicester kam, ebenfalls nicht nur für defensive Aufgaben geholt wurde, zeigte sein Debüt am Samstag. Gegen Crystal Palace traf der 23-Jährige zum 1:0 und bereitete sogar noch das 2:0 durch Kurt Zouma vor. Die offensiven Impulse des Defensivspielers ebneten am Ende den Weg für den 4:0-Sieg.

„Arteta-Ball“-Award: FC Arsenal

Beim 2:1-Erfolg über Sheffield United wirkte der FC Arsenal platt und behäbig. Darüber hinaus demonstrierten die blassen Gunners 61 Minuten lang, warum der Klub einen Tag vor Transferschluss unbedingt noch einen kreativen Mittelfeldspieler verpflichten sollte. Zu oft verlaufen die Offensivbemühungen im letzten Drittel im Sande.

Doch dann blitzte der Fußball auf, den Mikel Arteta seiner Mannschaft einimpfen möchte. Präzises und kurzes Kombinationsspiel, Bewegung ohne den Ball. Über 19 Stationen kombinierte sich der FC Arsenal durch das Mittelfeld und erzielte durch Bukayo Saka das 1:0. Es war die längste Passstafette, die 2020/2021 in der Premier League in einem Tor resultierte. Ein Muster ist zu erkennen: Seitdem Arteta im Dezember 2019 das Amt bei den Gunners übernahm, gab es in Englands oberste Spielklasse insgesamt neun Treffern, denen mindestens 19 Pässe vorausgingen. Ganze vier davon gehen auf das Konto der Londoner.

 

„Home Office“-Award: David Moyes

Für viele Buchmacher war David Moyes der Favorit auf die erste Trainerentlassung der Saison 2020/2021. So unterwältigend war der Fußball, den West Ham trotz des Klassenerhalts in der Rückrunde 2019/2020 bot. In der neuen Saison drohte es genau so weiter zu gehen, die ersten beiden Saisonspiele gingen verloren.

Doch dann folgte plötzlich die Wende, und das obwohl Moyes momentan limitiert ist. Der Schotte infizierte sich vor knapp zwei Wochen mit Covid-19, hat leichte Symptome und instruiert seine Mannschaft virtuell. Seine Bilanz aus dem Home Office: 4:0 gegen die Wolverhampton Wanderers und nun ein 3:0 Auswärtssieg gegen Leicester City. West Ham hat somit erstmals seit 17 Monaten zwei aufeinanderfolgende Spiele zu Null gewonnen und das gegen zwei Mannschaften aus dem oberen Tabellendrittel! Nach der Länderspielpause wird Moyes wieder zur Mannschaft stoßen und hoffen, dass seine Anweisungen auch real so gut ankommen.

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(Photo by Catherine Ivill/Getty Images)

Chris McCarthy

Gründer und der Mann für die Insel. Bei Chris dreht sich alles um die Premier League. Wengerball im Herzen, Kick and Rush in den Genen.


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