West Ham United | Declan Rice – Die personifizierte Wende

2. Oktober 2018 | Nachspielzeit | BY Chris McCarthy

Die Erwartungshaltung im Londoner East End ist bekanntlich hoch, meistens zu hoch. Nach Transferausgaben von über 100 Millionen Pfund war das diesen Sommer nicht anders. West Ham musste nach überaus enttäuschenden Jahren in dieser Saison also endlich mal abliefern. Wie so oft hinkte das Team den Erwartungen zunächst deutlich hinterher, legte einen satten Fehlstart hin. Erst mit Declan Rice kam die Wende…in zweierlei Hinsicht.

 

Naiver Sommer

Für West Ham United war es ein spektakulärer Sommer. Nachdem man sich mit „Feuerwehrmann“ David Moyes nicht über eine langfristige Zusammenarbeit einigen konnte, kehrte City-Meistertrainer Manuel Pellegrini in die Premier League zurück. Der Chilene wollte eigenen Aussagen zufolge „attraktiv“ gewinnen. Folglich wurden ihm einige namhafte Offensiv-Neuzugänge bereitgestellt. Andriy Yarmolenko kam für 20 Millionen Euro aus Dortmund und Königstransfer Felipe Anderson für knapp 40 Millionen Euro von Lazio Rom.

Insgesamt 100 Millionen Euro gaben die Londoner vergangenes Transfenster aus. Nur 25 Millionen davon wurden allerdings in die Defensive gesteckt. Dabei drückt genau dort der Schuh. Die Hammers hatten 2017/2018 mit stolzen 68 Gegentoren (1,8 pro Spiel) die schlechteste Defensive aller Nichtabsteiger vorzuweisen. Einzig der ablösefreie Keeper Lukasz Fabianski (Swansea), Innenverteidiger-Talent Issa Diop (20 Millionen Euro; FC Toulouse) und Nebenmann Fabián Balbuena (4 Millionen Euro; Corinthians Sao Paulo) konnten nicht die Antwort sein.

(Photo by Catherine Ivill/Getty Images)

 

Ernüchterung und ein Sündenbock

…waren sie auch nicht. Mit einem noch offensiver orientierten Trainer in Pellegrini setzte sich der katastrophale Trend der Defensive fort. Die ohnehin schon schwach besetzte Viererkette wurde durch die Wunschausrichtung des neuen Trainers noch mehr entblößt. Mark Noble und Jack Wilshere bildeten eine angriffslustige und äußerst defensivnachlässige Schaltzentrale.

Am ersten Spieltag, ausgerechnet an der Anfield Road, wurde noch ein gewisser Declan Rice an ihrer Seite ins kalte Wasser geworfen. Beim Stand von 0:1 entschied sich Pellegrini, wie sollte es auch anders sein, für einen offensiveren Ansatz. Rice wurde als Sündenbock ausgemacht, Robert Snodgrass kam in die Partie. Das aus Noble und Wilshere bestehende zentrale Mittelfeld wurde jeglicher Struktur beraubt, regelrecht überrannt und West Ham verlor mit 4:0.

Trotzdem hielt der Trainer an seinem System fest, setzte weiterhin auf sein englisches Duo im Mittelfeld. Pellegrini verzichtete auf eine Absicherung und Rice würde in den kommenden drei Spielen keine Sekunde auf dem Platz stehen. Nach vier Spieltagen hatte West Ham immer noch keinen Punkt, dafür aber zehn Gegentore vorzuweisen. Damit war das Team sogar noch gut bedient, denn die Defensive war zu diesem Zeitpunkt wohl die schlechteste der Liga und mit einem Wort desolat.

Nicht wenige sagten den Hammers eine weitere Saison voller Unruhe und einer Trainerentlassung voraus. Doch ausgerechnet mit den Spielen gegen Everton, Chelsea und Manchester United kam die Wende.

 

Personifizierte Wende?

Personifiziert wurde sie durch den Sündenbock des ersten Spieltags, Declan Rice. Am Anfang der Saison machten wir den gelernten Innenverteidiger noch als „Player to Watch“ aus. Damals sagten wir:

Am letzten Spieltag der Saison 2016/2017 händigte der damalige Hammers-Coach Slaven Bilic Youngster Declan Rice (19) sein Profi-Debüt. Damals konnte der Defensiv-Allrounder nicht erahnen, dass er in der folgenden Spielzeit zu 26 Saison- und sogar zwölf Startelf-Einsätzen kommen würde.

Eine Verletzungsmisere machte es möglich und so spielte sich der 19-Jährige mit grundsoliden und fehlerfreien Leistungen in der Verteidigung nicht nur in die Herzen der Fans, sondern sogar in die irische Nationalmannschaft.

Nach ein paar Ausflügen letzte Saison, durfte Rice in der Vorbereitung sein Können nun auch im defensiven Mittelfeld unter Beweis stellen. Er überzeugte. Aufgrund seiner Spielintelligenz, starker Übersicht und seiner defensiven Intuition könnte sich Rice trotz der Neuzugänge auch unter Pellegrini fest spielen.

Damit er sich überhaupt fest spielen konnte, musste sein Trainer allerdings erst einmal umdenken…

(Photo by Stu Forster/Getty Images)

 

Personifiziertes Umdenken

Nach den ersten vier Spielen nahm der Druck auf West Ham zu. Pellegrini merkte, dass sein Konstrukt auf wackeligen Beinen stand. Er musste offensive Abstriche machen, um die Defensive zu entlasten und mehr Balance zu bezwecken. Der Chilene musste durch den verletzungsbedingten Ausfall von Jack Wilshere nicht nur umstellen, er entschied sich sogar dazu, umzudenken.

Mit Pedro Obiang und eben Declan Rice wurden Mark Noble wieder zwei statt einem Mittelfeldspieler zur Seite gestellt. Beide versprühen zwar nicht die Kreativität und Finesse eines Jack Wilshere, doch beide agieren körperbetont und wichtiger noch, verrichten wichtige Defensivarbeit, die bisher auf der Strecke blieb.

Im Fall von Rice übersteigt diese Arbeit das reine Verteidigen. Trotz seiner gerade einmal 19 Jahre übernimmt er als sehr defensiver, zentraler Sechser Verantwortung, dirigiert das Mittelfeld und bereichert das Spiel durch beachtliche Pass- und Ballsicherheit. Alles Eigenschaften, die in der bisherigen Saison quasi kaum existent waren.

 

Die Wende

Am fünften Spieltag, einem schweren Auswärtsspiel beim offensivstarken FC Everton, kehrte Rice also in die Startelf zurück. Ein plötzlich ausbalancierteres und organisiertes West Ham gewann prompt und relativ überraschend mit 3:1. Das Mittelfeldtrio wuchs zusammen, Rice wurde immer gelassener und selbstbewusster. Im darauffolgenden Heimspiel gegen ein ungeschlagenes Chelsea war erneut das defensive Mittelfeld der Grund für einen Punktgewinn und die erste weiße Weste der Saison. Dabei hatten die Hammers ohne den verletzten Marko Arnautovic sogar Pech, nicht alle drei Punkte mitzunehmen. Das änderte sich nur ein Spiel später. Gegen ein sehr passives Manchester United diktierte Rice aus der Schaltzentrale das Tempo und verhalf den Londonern zu einem beeindruckenden 3:1 Sieg.

Ähnlich wie im „Fall Torreira“ lassen sich der Umschwung durch Systemwechsel und die Hereinnahme des Talents eindrucksvoll in Toren messen:

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Rice ist natürlich nicht alleine für den Umschwung verantwortlich. Mit seiner ungewöhnlichen Reife, Spielintelligenz und seinen defensiven Instinkten hat er allerdings einen enormen Anteil daran. Dabei personifiziert der Defensiv-Allrounder nicht nur die Wende der Hammers, sondern auch das Umdenken seines Trainers…

(Photo by Stu Forster/Getty Images)

 

Wende von kurzer Dauer?

Schon vor dem Aufschwung war West Ham bemüht, den Vertrag von Declan Rice zu verlängern. Bisher lehnte der Defensiv-Allrounder sämtliche Offerten seines Ausbilders ab. Noch kein Grund zur Panik für die Hammers, die den bis 2019 datierten Vertrag per einseitiger Option um zwei weitere Jahre verlängern können.

Der Klub wird dennoch darauf aus sein, Rice möglichst lange an sich zu binden, und wenn es nur aus dem Grund ist, eine potentielle Ablösesumme zu erhöhen. Seine Leistungen sorgen in England nämlich für Aufsehen. Nicht nur bei den Top-Klubs, sondern auch bei Nationaltrainer Gareth Southgate. Der könnte Glück haben. Rice vertrat bisher zwar Irland, kam neben einigen Auftritten für die Junioren allerdings nur in Freundschaftsspielen zum Einsatz. Ex-Nationalspieler Jason McAteer behauptete kürzlich, dass die unkonventionellen Spielermanagement-Methoden von Irlands Co-Trainer Roy Keane bei Rice für ein Umdenken gesorgt hätten.

Chris McCarthy

Gründer und der Mann für die Insel. Bei Chris dreht sich alles um die Premier League. Wengerball im Herzen, Kick and Rush in den Genen.


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