Nachspielzeit | WM-Aus: Deutschland und das verlorene Hungergefühl….

28. Juni 2018 | Nationalelf | BY Chris McCarthy

Vor vier Jahren noch feierten wir gemeinsam den Weltmeister Deutschland. Der herausragende Akteur? „Die Mannschaft“ – ein Kollektiv, das sich neben einer nicht von der Hand zuweisenden individuellen Qualität durch Kaderhomogenität, Spielfluss und vor allem unbändigem Willen und Hunger auszeichnete. Darüber hinaus hatte die Nationalmannschaft eine gesamte Nation im Rücken, die nach zwei „kleinen Finals“ 2006 und 2010 sehnsüchtig nach dem vierten Stern lechzte.

 

Deutschland und das verlorene Hungergefühl….

Vier Jahre später darf die DFB-Auswahl, letzter in einer Gruppe mit Mexiko, Schweden und Südkorea, erstmals in ihrer ruhmreichen Geschichte bereits nach der Vorrunde die Heimreise antreten. Nach Frankreich, Brasilien, Italien und Spanien musste auch Deutschland als amtierender Weltmeister im Folgeturnier vorzeitig die Koffer packen. Keiner wird von Kritik verschont. Individuen und Trainer werden sowohl von den Medien als auch dem mittlerweile ziemlich gespaltenen Fanlager in der Luft zerrissen. Was ist passiert?

Ehrlich gesagt lag ein schwaches Abschneiden bei der WM 2018 schon länger in der Luft. Lange vor der Schmach gegen Südkorea. Lange vor der Auftaktniederlage gegen Mexiko und auch vor dem schwachen Testspiel gegen Saudi-Arabien. Das deutsche Fan-Lager war, gerade für einen amtierenden Weltmeister, so negativ gestimmt, wie lange nicht. Schlimmer noch, Diskussionen über das Personal (bspw. die Nichtberücksichtigung eines Leroy Sané) rückten in den Vordergrund und erreichten in den sozialen Netzwerken ein ganz neues Level an Intensität. Ach ja, ganz nebenbei, ob berechtigt oder nicht, spaltete ein äußerst kontroverses Foto um Mesut Özil und Ilkay Gündogan, vielleicht sogar eher die Reaktion der Beteiligten und des DFB, eine ganze Nation.

Von der DFB-Marketing-Kampagne #ZSMMN, twitter-deutsch für „Zusammen“, war schon vor der ersten Trainingseinheit in Russland recht wenig zu spüren. „Man hatte das Gefühl, relativ viele Leute in Deutschland hätte es gefreut, wenn wir heute rausgegangen wären“, sagte Toni Kroos nach dem glanzlosen Last-Minute-Sieg gegen Schweden. Ob dem nun so war oder auch nicht, ob berechtigt oder nicht, ob er es hätte sagen sollen oder nicht: Die Aussage unterstreicht, dass diese Negativität auch bei der Mannschaft angekommen war. Das ist nicht zwingend der Grund für das Scheitern, aber ein Einfluss, der nicht zu unterschätzen ist.

(Photo by Shaun Botterill/Getty Images)

Natürlich taten auch die Spieler auf dem Platz ihr Übriges, nämlich recht wenig. Da haben wir die erschreckend statische und beinahe lustlose Offensive, die trotz der hohen individuellen Klasse, beispielsweise eines Mesut Özil, Marco Reus, Julian Draxler, aber auch Thomas Müller oder Julian Brandt, in ihrer Trägheit versank und lediglich ein Tor aus dem Spiel heraus erzielte. Und um das mal klar zu stellen, so sehr einige Individuen in der teilweise ziemlich überzogenen Kritik stehen, auch ein Leroy Sané oder Sandro Wagner hätten daran nicht viel geändert. Es ist schlichtweg verblüffend, dass diese immer noch qualitativ hochwertigen Spieler (so sehr das heute gerne vergessen wird), in Russland nicht mehr zustande brachten. Gleiches gilt für das namhafte Mittelfeld um Real-Regisseur Toni Kroos, das eklatante Probleme im defensiven Umschaltspiel offenbarte oder die stark besetzte Defensive, die erschreckend unkonzentriert und kopflos agierte. Egal wie verzweifelt Löw das zu korrigieren versuchte, sei es durch eine für ihn ungewöhnlich drastische Rotation oder Halbzeitwechsel: Der Spielrhythmus, die Leichtigkeit und Dynamik wollten nicht einkehren und die Lethargie in allen Mannschaftsteilen blieb bestehen.

(Photo by Alexander Hassenstein/Getty Images)

So sehr der Eindruck in den sozialen Netzwerken und den Medien auch entsteht, über Nacht haben diese Akteure das Fußballspielen sicherlich nicht verlernt. Viel mehr lohnt es sich, die mentalen Aspekte, dieser desolaten Weltmeisterschaft zu betrachten. Da haben wir die Selbstsicherheit, mit der das Team trotz der suboptimalen Vorbereitung zu Werke ging, das Gefühl von „das wird schon“. Sogar der Bundestrainer gestand nach dem Spiel: „Wir waren überzeugt, dass es gut wird, wenn das Turnier losgeht“. Am „Willen und am Wollen“ habe es jedenfalls nicht gelegen. Manuel Neuer widerspricht Löw (unwissentlich) und führt uns wohl eher in die richtige Richtung:

„Ich denke, dass von uns allen die Bereitschaft nicht groß genug war und der Wille zu zeigen, dass wir bei dieser Weltmeisterschaft was reißen wollen.“

Wie konnte dieser Mannschaft, die sich in Brasilien für den Titel regelrecht zerriss, dieser berühmte Wille plötzlich abhandenkommen? Über die Gründe können wir nur spekulieren und letztendlich werden wir sie in ihrer Fülle nie erfahren.

Fakt ist allerdings, dass sich eine weiterhin sehr talentierte Mannschaft ungewohnt verkrampft, gehemmt, träge und unfokussiert präsentierte. Um sich aus einem derartigen Trott zu befreien, egal wie er zustande kam, dazu braucht es in der Regel eben einen außergewöhnlichen Willen: Der Hunger nach dem großen Erfolg. Der Hunger, der die Mannschaft und die gesamte Nation 2014 vereinte. Der Hunger, der sämtliche Rückschläge und Meinungsverschiedenheiten, auf und abseits des Platzes, vergessen lassen kann. Ein Hungergefühl, das sowohl beim amtierenden Weltmeister-Team, dem Trainer aber auch bei der Fußballnation Deutschland vor vier Jahren gestillt wurde.

Der einzige Trost: Qualität ist weiterhin zur Genüge vorhanden und vor allem: Sättigung ist temporär…fragt nur mal die Franzosen, Brasilianer, Italiener oder Spanier.

 

Chris McCarthy

Gründer und der Mann für die Insel. Bei Chris dreht sich alles um die Premier League. Wengerball im Herzen, Kick and Rush in den Genen.


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