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Nachspielzeit | Der Trainerwechsel des HSV – Eine Stellungnahme

24. Oktober 2018 | Spotlight | BY Steffen Gronwald

Der Hamburger Sport Verein ist wieder da, wo man ihn kennt. Mit der Entlassung von Christian Titz und der Verpflichtung von Hannes Wolf sind die Alltagsthemen der (Boulevard-)Presse vergessen. Der HSV bestimmt mal wieder die Schlagzeilen, diesmal jedoch gewiss nicht ganz unschuldig. 90PLUS-Redakteur Steffen Gronwald nimmt sich der Szenerie an und versucht die Situation der Rothosen zu beschreiben. 

 

Heimkrise und maues Offensivspiel als Ursache des Trainerwechsels

Der HSV steht nach zehn Spieltagen auf dem fünften Tabellenplatz, hat dabei 18 Punkte und ein Torverhältnis von 12:11 vorzuweisen. In den vergangenen vier Wochen war man ungeschlagen, hatte dabei aber auch nur einen Sieg und drei torlose Remis zu Stande gebracht. Zuletzt gab es zu Hause gegen Bochum ein 0:0. Wie schon gegen Regensburg (0:5) und St. Pauli (0:0) erzielte man vor den knapp 50.000 Zuschauern keinen eigenen Treffer. Bereits die gesamte Saison über zeigte sich, dass der HSV Probleme dabei hat, gegnerische Defensivreihen zu überspielen, zudem lud man den Gegner stets zu Großchancen ein. Auch wenn sich Letzteres zuletzt wesentlich verbesserte, offensiv blieb das Verhalten des HSV meist mau. Nach diesen ernüchternden Auftritten scheint die Geduld des Vorstands aufgebraucht zu sein. Ohne jegliche Vorwarnung vermeldeten die Hanseaten im Laufe des gestrigen Nachmittags den Trainerwechsel. Hannes Wolf erhält einen Vertrag bis 2020 und löst damit Christian Titz ab.

(Photo by Stuart Franklin/Bongarts/Getty Images)

Das Märchen vom „neuen“ HSV?

Vor knapp sieben Monaten wurde Christian Titz zum Cheftrainer des Hamburger SV ernannt und hatte die mächtige Aufgabe des kaum realisierbaren Klassenerhalts vor sich. Der 47-jährige nahm sich dieser Aufgabe an und versuchte seine Art des Fußballs, nachdem dieser in der vereinseigenen U21 sehr erfolgreich war, auch in der Profimannschaft der Hanseaten zu etablieren. Die Fans honorierten dies auf Anhieb und sahen von dem Zeitpunkt an eine 180-Grad-Drehung des Tabellenvorletzten. Doch bekanntermaßen wurde die Aufholjagd des HSV nicht belohnt und man stieg zum ersten Mal in der Vereinshistorie ab. Doch neben einem Großteil des Kaders konnte auch Christian Titz als Trainer gehalten werden. Eine Meldung, die bei der Anhängerschaft großen Anklang fand. Selten wurde ein Trainer derart hochgejubelt, wie damals Christian Titz.

Von diesem Zeitpunkt an hieß es, dass beim HSV ein neuer, ein konstanter Weg eingeschlagen werde. Mit einer jungen, hungrigen Mannschaft, einem vielversprechenden System und einem vollen Volksparkstadion sollte der direkte Wiederaufstieg gelingen. Doch seit der Entlassung des Trainers ist klar, konstant bleibt beim HSV vorerst nur die Inkonstanz auf dem Trainerstuhl.

Es scheint so, als habe der HSV aus der eigenen Vergangenheit nichts gelernt. Ohne die nötige Ruhe und Rückendeckung entlässt man einen absoluten Sympathisanten mit viel Sachverstand. Dem stets so ruhigen Titz wurde nicht die Zeit gegeben, die er mit seiner Mannschaft gebraucht hätte, um endgültig in Liga 2 anzukommen. Der HSV zeigt sich wieder einmal mit dem Gesicht, was im Sommer eigentlich endgültig abgelegt werden sollte. Die Fans sind hinsichtlich des Trainerwechsels geteilter Meinung. Während die einen sich auf den neuen Trainer freuen, will es das andere Lager schlicht nicht wahrhaben.

 

Konsequent und dennoch unverständlich

Auch in dieser Szenerie gibt es aber zwei Seiten der Medaille, welche beide auch erläutert werden sollen. Die Entlassung Titz‘ scheint, hinsichtlich der Aussagen und dem Handeln von Ralf Becker und Bernd Hoffmann, nur konsequent. Ein großes Vertrauen hat Titz seit Wochen nicht bekommen. Intern scheint der Wechsel schon länger angedacht gewesen zu sein. Nach der herben Schlappe gegen Regensburg hagelte es von allen Seiten Kritik, für den HSV-Vorstand scheinbar zu viel. Mit diesem Spiel schien die Rückendeckung endgültig verflogen zu sein. Die letzten Wochen schienen mehr als Versuch, Titz eine letzte Chance zu geben. Diese konnte er mit seiner Mannschaft allerdings nicht nutzen.

Hoffmann und Becker haben den Verlauf der weiteren Saison mit diesem Entschluss nun alleine zu verantworten. Inwiefern diese Entscheidung von Erfolg gekrönt sein wird, bleibt abzuwarten. Als positives Beispiel dient jedoch Hannover 96. Die Niedersachsen trennten sich vor zwei Jahren ebenfalls von Fan-Liebling Daniel Stendel, obwohl sein Team in der zweiten Liga keine schlechte Rolle spielte. Mit dem aufstiegserfahrenen Nachfolger André Breitenreiter gelang dennoch die direkte Rückkehr ins Oberhaus. Etwas, was sich der HSV nun auch erhofft. Positiv bleibt aber in jedem Fall zu erwähnen, dass der HSV direkt einen Nachfolger präsentieren konnte und so direkt weiterarbeiten kann.

Die andere Seite der Medaille zeigt aber auch, dass Hoffmann und Becker scheinbar etwas naiv in diese Saison gestartet sind. Mit dem klaren Ziel des Wiederaufstiegs begann man die Punktrunde, doch rückblickend war man sich der Herausforderung wohl nicht ganz bewusst. Die zweite Bundesliga ist mitnichten ein Kindergeburtstag. In dieser Liga kann jeder jeden schlagen und jeder dem anderen das Leben schwer machen. Ein Umstand, den der HSV mehrmals spüren musste. Wohl auch, weil man die jüngste Mannschaft der Liga ins Rennen schickte. Dass sich diese Truppe natürlich erstmal festigen musste, scheint kaum beachtet worden zu sein. Dass ein Großteil dieser Truppe von ihrem Trainer sehr angetan war, ebenso. Die zwei Punkte Rückstand auf Platz 1 waren den Verantwortlichen trotz dieser Umstände zu viel.

 

Ein steiniger Weg für Hannes Wolf

Für Hannes Wolf heißt es nun, die Mannschaft in die Gewässer zu bringen, die sich der Vorstand vorstellt. Der neue Trainer kündigte auf der gestrigen PK an, mit jedem Spieler ein Einzelgespräch führen zu wollen, um herauszufinden, was in der Mannschaft vorgeht. Ein durchaus sinnvoller Schritt, immerhin muss er sich den Respekt einer Mannschaft erarbeiten, die bis zuletzt komplett hinter ihrem ehemaligen Übungsleiter stand. Darüber hinaus muss er mit der Unruhe umgehen, die aus dem Trainerwechsel erstand. Es wird spannend zu beobachten sein, wie der junge Wolf das Spiel mit der Presse meistert.

(Photo by Cathrin Mueller/Bongarts/Getty Images)

Mit dem VfB Stuttgart gelang Wolf als neuer Trainer direkt den Aufstieg mit der Meisterschaft zu krönen. Mit Hilfe dieser Erfahrung geht er nun das Kapitel beim HSV an. Gelingt ihm damit der zweite Aufstieg? Ich, als HSV-Fan, würde es ihm und dem Verein wünschen.

Doch selbst wenn dieser Aufstieg gelingen sollte, es bleibt bei mir neben einem lachenden auch ein weinendes Auge. Ich hätte mir gewünscht, dieses Erlebnis mit Christian Titz feiern zu können. Einem kompetenten Trainer und einem tollen Menschen. Danke, für sieben mitreißende Monate, Herr Titz!

 

Es geht direkt in die Vollen

Das kommende Programm für Neu-Trainer Wolf wird kein Spaziergang. Am Freitag müssen die Hanseaten zum Aufsteiger aus Magdeburg. Nur vier Tage später wird man in Wiesbaden zum Pokalspiel erwartet. Weitere sechs Tage später empfängt man den Spitzenreiter aus Köln im Volkspark. Es gibt angenehmere Zeitpläne, um ein neues System einzustudieren. Der Druck in diesen Spielen wird zweifelsohne enorm hoch sein. Hält die Mannschaft diesem stand?

(Photo by Oliver Hardt/Bongarts/Getty Images)

Steffen Gronwald

Steffen verfolgt primär den Vereinsfußball, fühlt sich im deutschen Ober- und Unterhaus zu Hause - verfolgt zugleich aber auch La Liga und die Premier League intensiv. Ob Offensivspektakel oder "park the Bus", fesseln tut ihn beides, zudem steht bei ihm auch der Schiedsrichter im Fokus. Seit 2016 bei 90PLUS.


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