FC Liverpool | Warum der Hunger nicht gestillt ist

26. Juni 2020 | Nachspielzeit | BY Chris McCarthy

Nach 30 Jahren feierte der FC Liverpool am Donnerstagabend erstmals wieder den Gewinn der Meisterschaft. Der Hunger von Mannschaft und Fans dürfte damit allerdings nicht gestillt sein. Ein Kommentar.

Liverpool: Ende der Leidenszeit

Baseballcap, Liverpool-Trikot, verheultes Gesicht und ein Kloß im Hals. Als der frisch-gebackene Meistertrainer Jürgen Klopp (53) am Donnerstagabend in die Webcam blickte, um über den nun amtlichen Titelgewinn zu reden, sah er aus, wie Millionen von Liverpool-Fans weltweit: Erleichtert und erschöpft. Das Warten hatte ein Ende.

Revitalisiert von der mitreißenden Aura des selbsternannten „Normal One“, schwappte der FC Liverpool 2019/2020 wie eine rote Welle der Konstanz und Effizienz über das Land. Durch die Niederlage von Manchester City am Donnerstag wurde die Meisterschaft sieben Spieltage vor Schluss nun besiegelt. Die frühste in der Geschichte der Premier League, die 19. der Vereinsgeschichte, die erste für Liverpool seit 1990.

Seitdem konnten die Reds einige Triumphe feiern. Drei Pokalsiege, der UEFA-Cup und zwei Mal die Champions League. Der Hunger nach der Meisterschaft wurde dennoch mit jedem Jahr größer. Die Fans der Reds mussten in dieser Zeit viel mit machen.

Sie sahen mit an, wie ausgerechnet der verhasste Rivale Manchester United in dieser Zeit zum Rekordmeister wurde. Wie ihre Mannschaft fünf Mal auf Platz zwei landete, wie Vereinsikone Steven Gerrard auf dem Weg zum Titel sinnbildlich ausrutschte und wie selbst die Rekordpunktezahl 97 vergangene Saison nicht zur Meisterschaft langte. Für viele Meckern auf hohem Niveau. Für einen Verein, der zwischen 1972 und 1991 nur einmal nicht unter den ersten Zwei stand, aber ist das eine Leidenszeit.

Dementsprechend groß sollte das Meisterstück gefeiert werden. Doch daraus wird nichts. Das Coronavirus tauchte uneingeladen auf und crashte die Party.

(Photo by PAUL ELLIS/POOL/AFP via Getty Images)

Meisterschaftsfeier in Liverpool vertagt

Etwa 2.000 Fans erschienen trotz Corona-Restriktionen an der Anfield Road und feierten. An eine Trophäenübergabe im Stadion vor knapp 60.000 Menschen oder gar eine Parade vor 750.000 wie beim Champions-League-Sieg ist aufgrund der aktuellen Lage allerdings vorerst nicht zu denken.

„Es ist nicht ideal, allein in einem Stadion zu feiern und dann einfach heim zu fahren. So hat man es sich nicht vorgestellt“ sagte Klopp kürzlich und betonte: „Es wird ein Tag kommen, wenn wieder Normalität einkehrt. Und wenn das erst am zwölften oder 13. Spieltag ist. Dann werden wir immer noch die Trophäe haben, wir können durch die Stadt fahren und auf einem Bus stehen. Wenn andere Leute das für verrückt halten, ist mir das ehrlich gesagt egal.“

Der FC Liverpool wird feiern. Der FC Liverpool sollte feiern, gerade mit den Fans, die diesen Verein zu dem machen, was er ist. Das ist kein Klischee. Fragen sie nur mal den FC Barcelona, ob man sich 2019 im Halbfinale der Champions League eine 4:0-Führung auch vor leeren Rängen der an diesem Tag so elektrisierenden Anfield Road hätte nehmen lassen.

(Photo OLI SCARFF/AFP/Getty Images)

Doch Partys zu verschieben ist so eine Sache. Ob wegen einer Krankheit oder wegen schlechtem Wetter, wie viele von uns haben schon eine Geburtstagsparty verschoben? Wie viele haben die Feier tatsächlich nachgeholt? Und wenn doch, war es nicht dasselbe. Jetzt stellen Sie sich vor, Sie hätten in dieser Zeit noch einige Freunde und Verwandte verloren, die nicht mit feiern können. Und einige Leute tauchen auf, die sie kaum kennen.

Auch beim FC Liverpool wird das so sein. Einige Spieler, Trainer und Verantwortliche werden den Verein bis zur Party verlassen. Selbst wenn sie mitfeiern, wird es etwas befremdlich sein. Gleiches gilt für den ein oder anderen Neuzugang, der natürlich mit dabei sein muss, aber nicht das Gefühl haben wird, etwas dazu beigetragen zu haben. Darüber hinaus ist die Freude, die Erleichterung, die der gesamte Verein an diesen Tagen spürt nicht auf ein x-beliebiges Datum in der Zukunft zu übertragen. Schon gar nicht, wenn der Klub sich dann aus irgend einem Grund in einer sportlichen Krise befinden sollte.

Der FC Liverpool wird hungrig sein

Die große, gemeinschaftliche Erlösung des Klubs wird es 2020 nicht in der Form geben, nach der man sich 30 lange Jahre sehnte. Dazu ist der Verein zu eng verbunden. „Dieser Klub bedeutet alles für die Menschen. Also ist es unser Job, zu zeigen, dass es er auch uns wirklich alles bedeutet. Es geht viel um Emotionen, die Intensität, wie die Fans leben“, sagt Klopp im eigens produzierten Meistervideo.

Doch egal wie viele herzerfüllte Videobotschaften und Artikel sich die Fans auf ihren Rechnern und Smartphones zu Gemüte führen, satt dürften sie davon nicht werden. Egal wie viel Bier am Donnerstagabend von der Mannschaft im kleinen Kreis konsumiert wurde, wie viele ungeahnte Dance-Moves Klopp aus dem Köcher zog und wie glücklich sie alle waren: Etwas wird gefehlt haben.

Für den FC Liverpool wird aber genau das eine treibende Kraft sein, um die Meisterschaft 2020/2021 zu verteidigen. Das Sättigungsgefühl, das bei so vielen Klubs in sämtlichen Sportarten nach einem Titelgewinn eintritt, ist nicht da. Es ist noch Platz.

Die Fans auf der einen – Verantwortliche, Trainer und Spieler auf der anderen Seite. Getreu dem Motto „You’ll never walk alone“ sind sie in den Herzen weltweit verbunden. Nichtsdestotrotz werden beide Seiten noch immer hungrig danach sein, ihre Emotionen endlich zu teilen und jeden Tropfen davon aufzusaugen. Live, an der frischen Luft. Wo jedes Lächeln, jede Träne noch viel echter ist. Wo sich fremde Menschen in den Armen liegen und gemeinsam feiern. Die Leidenszeit wäre endgültig vorbei…

Chris McCarthy

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(Photo by Shaun Botterill/Getty Images)

Chris McCarthy

Gründer und der Mann für die Insel. Bei Chris dreht sich alles um die Premier League. Wengerball im Herzen, Kick and Rush in den Genen.


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