Darf man gegen Deutschland sein?

10. Oktober 2018 | Nationalelf | BY Julius Eid

Es steht mal wieder eine Länderspielpause an. Das bedeutet auch, dass die deutsche Nationalmannschaft weiter auf ihrem Weg der Wiedergutmachung unterwegs ist. Für unseren Redakteur Julius Eid ist es dafür allerdings schon zu Spät. Eine Kolumne.

Die DFB-Elf. Die MANNSCHAFT. Ein klarer Fixpunkt für uns deutsche Fußballzuschauer in den Länderspielpausen. Und wenn eines in Deutschland noch Common Sense ist, dann das man für die eigene Nationalmannschaft zu sein hat. Keine Rivalitäten des Vereinsfußballs schränken hier die Loyalität ein, Jogi Löws Mannschaft sollte man unterstützen. Doch warum eigentlich? Meiner Meinung nach gibt es gute Gründe von diesem Mantra abzurücken und einmal zu hinterfragen: Kann ich gegen Deutschland sein? Meine Antwort darauf habe ich gefunden.

1.Kommerzialisierung

Ein guter Grund die Nationalmannschaft zu unterstützen ist bestimmt, dass es sich hierbei nicht um einen normalen Fußballclub handelt. Spieler aus verschiedenen Vereinen treten für die eigene Nation an. Ohne Aktiengesellschaften oder investierende Scheichs im Rücken. Es geht für viele Nationalspieler um die „Ehre“ wenn sie für ihr eigenes Land auflaufen dürfen. Doch diese romantische Vorstellung ist mittlerweile so offensichtlich falsch, wie die Behauptung der Hashtag #BestneverRest sei nur von einem Sponsor benutzt oder instrumentalisiert worden. Die DFB-Elf unter Bierhoff und Grindel hat sich spätestens nach dem WM-Sieg 2014 zu einer Marketing- und Wirtschaftsmaschinerie entwickelt. War Die MANNSCHAFT noch der Anfang auf diesem Weg, fand sich in Russland mit #zsmm, #BestNeverRest etc. der vorläufige, traurige Höhepunkt dieser Entwicklung. Dieses Team ist nicht näher verbunden mit der normalen Bevölkerung als #MiasanMia oder #EchteLiebe. Die Entfremdung des Profifußballs von der Basis wird in dem, von vielen noch immer für besonders erachtetem, Nationalmannschaftsumfeld genau so deutlich wie überall sonst. Die emotionale Verbindung ist weg.

2.Mangelndes Leistungsprinzip unter Löw

Zugegeben, diese Entwicklung ist für die Nationalmannschaft nicht neu und in Teilen auch begründbar. Schon Martin Max war zur Hochzeit seiner Karriere immer wieder mit der Frage konfrontiert worden, warum er denn nicht nominiert werde. Auch unter Löw setzt sich diese „Tradition“ fort. Könnte man hier noch entgegenhalten, dass ein Trainer eben auf eine funktionierende Einheit setzen muss um erfolgreich zu sein, und auch deshalb individuelle Klasse manchmal außen vorbleibt, hat der Bundestrainer bei der letzten WM diese Argumentation selber widerlegt. Denn das viel kritisierte, statische Spiel des ehemaligen Weltmeisters hätte definitiv nicht unter der Nominierung eines Leroy Sané gelitten. Zu diesem Zeitpunkt übrigens der beste Jungspieler der besten Liga der Welt. Wenn nun also das Ignorieren des Leistungsprinzip nicht mehr zur Verbesserung der Mannschaftsleistung beiträgt (Vorrundenaus bei der WM) ist es schlicht fahrlässig und unbegründbar. Der Kreis schließt sich dann beim Sohn des eben genannten Martin Max. Philip Max vom FC Augsburg zeigt seit mehr als einer Saison seine Klasse auf einer der am schlechtesten besetzten Positionen im Nationalmannschaftskader und stellt sich immer häufiger den selben Fragen wie sein Vater.

3.Fehlender Zsmmhalt / Die Führungsspieler

Die größte Sinnkrise dürfte die Nationalmannschaft wohl in diesem Jahr rund um die Causa Özil erfahren haben. Ein Thema zu dem oft genug geschrieben wurde, dennoch lohnt es sich auch als gutes Beispiel dafür, dass diese Mannschaft eben nicht #zsmm für etwas Bewundernswertes steht und eklatante Mangel bei den sogenannten „Führungsspielern“ hat. Rund um die „Foto-Affäre“ kam es nämlich nicht nur zu, vielleicht berechtigten, Buh-Rufen in Richtung der Spieler Özil und Gündogan. Es kam nachgewiesenermaßen zu rassistischen Beleidigungen, die jede Grenze überschritten. So auch von Mesut Özil in seinem viel beachteten Statement ausgeführt. Der perfekte Zeitpunkt also für eine klare Botschaft an all die, die die Situation nutzten um Fremdenhass weiter zu etablieren, ein Zeitpunkt der ein klares „Wir sind eine Mannschaft“, „You’ll never walk alone“, verdient gehabt hätte. Denn das ist genau der Punkt, für den eine Mannschaft, die für ein ganzes Land aufläuft, stehen sollte. Der Zusammenhalt der Fußball zu soviel mehr macht als Sport. Im Gegensatz zum schwedischen Nationalteam, in dem in einer großen Geste „Fuck Rascism“ kommuniziert wurde, kam hier allerdings, ihr ahnt es, gar nichts. Die deutsche Nationalmannschaft hat in ihrer Funktion als Mannschaft hier schlichtweg versagt. Im Nachgang wurde das Ganze dann fast noch schlimmer. Führungsspieler der Nationalelf schwiegen erst ganz zu dem Thema um dann nach und nach mit, vorsichtig formuliert, fadenscheinigen Aussagen an die Öffentlichkeit zu treten. Neuer und Müller ignorierten die konkreten Vorwürfe Özils er sei rassistisch beleidigt worden, Kross sprach gar von Quatsch. Ist das der Zusammenhalt, sind das die Führungsspieler für die man jubeln möchte? Andere Beispiele für berechtigte Kritik an den „Gesichtern des Teams“ bot zum Beispiel Thomas Müller in der Vergangenheit schon des Öfteren. Sei es das rüde Benehmen bei einem Interview nach dem Titelgewinn in Brasilien (Hier konnte immerhin ein Bastian Schweinsteiger charmant auflösen) oder seine Spitzen gegen kleinere Nationalmannschaften. Toni Kroos und Mats Hummels hingegen kritisieren nach DFB-Spielen in schöner Regelmäßigkeit und mit selbstherrlicher Art junge Spieler. Alles in allem bleibt es für mich bei folgender Einschätzung: Es gab schon einmal sympathischere Gesichter einer Mannschaft.

4. Die Führungsebene rund um Grindel

Vieles, was sich an der Ausrichtung des DFBs und damit an der Linie unter Grindel kritisieren lässt, findet sich schon unter Punkt 1 dieser Ausführung. Dennoch ist es wichtig, noch einmal herauszustellen, zu was diese Nationalmannschaft in den letzten Jahren geworden ist: Ein Prestigeobjekt des Verbandes. Das hier ist keine Mannschaft, die für Deutschland antritt, sie tritt an um den DFB zu bereichern und zu Glanz zu verhelfen. Reinhard Grindel als Oberhaupt steht stellvertretend für einen fehlenden Dialog mit den Fanszenen Deutschlands, für die Verlegung von Spielen aus Frankfurt nach Hoffenheim um eine EM-Bewerbung nicht zu gefährden, nur um über diese Tatsache dann öffentlich Lügen zu verbreiten. Für eine rigoros versaute Weltmeisterschaft in deren Konsequenz nicht ein einziger wichtiger Funktionär seinen Hut nehmen musste. All diese Punkte sollten nicht vergessen werden.

Fazit

Es gibt mehr als genug Gründe um die deutsche Nationalmannschaft in ihrer jetzigen Form zu kritisieren. Ja, sogar sie nicht zu mögen. Die Frage die man sich jetzt also stellen muss ist Folgende: Darf ich gegen eine Mannschaft sein die „Deutschland“ heißt? Meine Antwort ist ein klares Ja. Denn bis auf den Namen verbindet diese DFB-Mannschaft nicht mehr viel mit dem Land für das sie auflaufen. Wenn man sich gegen die Unterstützung der MANNSCHAFT entscheidet begeht man kein Politikum gegen sein Land, sondern reagiert auf die Entwicklung einer Fußballmannschaft.

Photo by Alexander Hassenstein / Bongarts

Julius Eid

Seit 2018 bei 90PLUS, seit Riquelme Fußballfan. Gerade die emotionale Seite des Sports und Fan-Themen sind Julius‘ Steckenpferd. Alleine deshalb gilt: Klopp vor Guardiola.


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