Serie A: Lazio greift nach dem Scudetto – das Ende der schwarzweißen Hegemonie?

18. Juni 2020 | Global News | BY Victor Catalina

Spotlight | In den europäischen Topligen liefern sich Juventus Turin und der FC Bayern ein Kopf-an-Kopf-Rennen, wer in seinem Land die dominantere Mannschaft ist. Während die Münchener am Dienstag mit einem 1:0 in Bremen den achten Titel in Serie klarmachten, kann Juventus mit einem erneuten Titelgewinn auf neun vorlegen. Allerdings könnte das schwerer werden, als anfangs vermutet. Die Gründe: Inter und Lazio.

Serie A 2019/20: Keine Saison, wie jede andere

Schon von Beginn der Saison an zeigte sich, dass diese nicht zwingend so werden würde, wie die acht vorhergehenden. Am 2. Spieltag traf Maurizio Sarris neues Juventus – er selbst fehlte aufgrund einer Lungenentzündung – auf seinen Ex-Klub Napoli um den ehemaligen Juventus-Trainer Carlo Ancelotti. Dabei heraus kam ein äußerst unitalienisches 4:3. Juventus führte bereits 3:0, bevor Napoli zur Aufholjagd ansetzte. Schließlich war es ein unglückliches Last-Minute-Eigentor von Kalidou Koulibaly, das die Partie zugunsten Juventus entschied.

(Photo by ISABELLA BONOTTO/AFP via Getty Images)

Allein das zeigte, dass Juventus es nicht leicht gemacht werden sollte, den Titel erneut zu verteidigen. Schon einen Spieltag später gab es den ersten Punktverlust – ein 0:0 in Florenz. Parallel taten sich Inter, mit Antonio Conte ebenfalls unter neuer Leitung, und Simone Inzaghis Lazio als ernsthafte Konkurrenten hervor. Während die Nerazzurri im Verlauf der Saison Federn lassen mussten, blieb Lazio an Juventus dran, besiegte sie in Liga und Supercoppa jeweils 3:1 und übernahm zwischenzeitlich sogar die Tabellenführung. Im Moment stehen sie einen Punkt hinter Juventus auf Platz 2. Die erste Meisterschaft seit dem Double unter Sven-Göran Eriksson im Jahr 2000 ist somit durchaus realistisch.

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Damals war Simone Inzaghi wettbewerbsübergreifend ihr Toptorschütze, heute steht er – inzwischen seit vier Jahren – an der Seitenlinie.

In dieser Zeit hat sich Luis Alberto als Gehirn der Mannschaft herauskristallisiert. Er ist in der Lage, Lazios Spiel aus jeder Position aus anzukurbeln. Er lässt sich – in Lazios bevorzugtem 5-3-2-System – lieber tiefer zurückfallen.

Sein kongenialer Partner im Mittelfeld ist Sergej Milinkovic-Savic. Der serbische Nationalspieler bewegt sich am liebsten zwischen Achter- und Zehnerposition, macht aber auch gerne die Läufe in den Strafraum und strahlt durchaus auch Torgefahr aus. Vier Tore erzielte er in der bisherigen Saison.

(Photo by Marco Rosi/Getty Images)

Ansonsten benutzt Inzaghi ein ähnliches Stilmittel wie Sheffield United in der Premier League: Einlaufende Außenverteidiger. In Ballbesitz überlaufen die beiden Außen der Dreierkette die nominellen Außenverteidiger, um die Bälle in den Strafraum zu bringen. Dort werden sie dann von jemandem verarbeitet, dem Inzaghi bei Lazio neues Leben eingehaucht hat: Ciro Immobile. Mit 27 Toren nach 26 Spielen ist er die Lebensversicherung der Laziali.

Die Mannschaft von Simone Inzaghi stellt mit 60 Toren die zweitbeste Offensive der Liga, nur Atalanta Bergamo (70 Tore) ist noch offensivstärker. Dazu ist die Mannschaft dadurch, dass sie bei gegnerischem Ballbesitz mit einer Fünferkette verteidigen können, auch defensiv sehr stark. Um genau zu sein, stellen sie mit 23 Gegentoren nach 26 Spielen die beste Verteidigung der Serie A.

Die allerdings muss sich nach der Coronapause noch einigen Härtetests unterziehen. Gleich zu Wiederbeginn geht es nach Bergamo, dazu haben sie Anfang Juli noch das Duell mit Milan vor der Brust, sowie am 20. Juli das vielleicht meisterschaftsentscheidende Spiel in Turin. Am letzten Spieltag wartet dann Pokalsieger Napoli.

Die Mannschaft hat alles, was es braucht, um Juventus‘ Meisterserie zu durchbrechen. Jetzt gilt es, genau das in den letzten Spielen auch unter Beweis zu stellen.

Juventus Turin: Die Verjüngungskur der alten Dame

Für Juventus ist es eine unbefriedigende Saison. Zwar führen sie die Tabelle an und haben noch alle Chancen auf den neunten Titel in Folge. Andererseits aber verloren sie am Mittwochabend das Pokalfinale gegen Napoli 2:4 im Elfmeterschießen. In den vorhergehenden 90 Minuten sind keine Tore gefallen. Auch in der Champions League mussten sie sich überraschend Olympique Lyon 0:1 geschlagen geben und sind im Rückspiel Anfang August unter Zugzwang.

(Photo by Marco Rosi/Getty Images)

Genau das ist das Problem. Es klingt wie ein Paradoxon, dass sich die Mannschaft um Cristiano Ronaldo ausgerechnet mit dem Toreschießen schwer tut. In der Liga kommen sie bislang auf 50 Treffer. Das ist hinter der Roma (51), Lazio (60) und Atalanta (70) nur der viertbeste Wert.

Zur ganzen Wahrheit gehört aber auch dazu, dass Juventus mitten im Umbruch steckt. Massimiliano Allegri, der fünf dieser acht Meisterschaften gewann, wurde bisweilen vorgeworfen, dass sein Spiel zu eintönig sei. Maurizio Sarri hingegen fiel schon bei Napoli durch sein außergewöhnliches Offensivspiel auf, dem sogenannten „Sarrismo“. Er lässt aus einem klaren 4-3-3-System heraus seine Mannschaft sehr hoch anlaufen, um mit kurzen, schnellen, Pässen in den Angriff umzuschalten. Bei Napoli kam ihm dabei vor allem seine variable Offensivreihe aus Dries Mertens, Lorenzo Insigne und José Callejon zugute. Seit 2013 sind die drei schon zusammen im Verein und dementsprechend eingespielt.

Juventus‘ Probleme mit dem „Sarrismo“

Nur ist das mit Copy and Paste im Fußball immer so eine Sache. Die Theorie ist übertragbar, das bedeutet aber nicht, dass sie praktisch auch sofort umsetzbar ist. Juventus tut sich mit dem neuen System noch schwer. Nicht zuletzt, weil sich die Abnehmer für die wichtigsten Positionen noch nicht herauskristallisiert haben.

Zu Sarris Zeit in Neapel hießen die noch Kalidou Koulibaly, der aus der Verteidigung heraus das Spiel angekurbelt hat, und Jorginho, der Dreh- und Angelpunkt des Sarri-Spiels. Letzterer folgte ihm zu Chelsea, Koulibalys Part übernahm David Luiz. Es verwundert wenig, dass Jorginho auch diesmal wieder auf Sarris Wunschzettel steht. Die Zeit von Miralem Pjanic bei Juventus scheint sich derweil dem Ende entgegen zu neigen. Zum einen, weil er von Sarri als zu leichtgewichtig für die Stammelf bewertet wurde, zum anderen, weil unter anderem der FC Barcelona Interesse äußert.

(Photo by FILIPPO MONTEFORTE/AFP via Getty Images)

Wäre da noch die Planstelle Verteidigung. Jürgen Wegmann prägte einst den Spruch „Da hat man schon kein Glück und dann kommt auch noch Pech dazu“. So gewann Juventus zwar sein Auftaktspiel der Serie A 1:0 in Parma, jedoch zog sich Siegtorschütze Giorgio Chiellini einige Tage später im Training einen Kreuzbandriss zu – und Sarris Defensivpläne waren früh in der Saison torpediert. Er selbst fehlte zu diesem Zeitpunkt übrigens aufgrund einer Lungenentzündung. Und auch Chiellinis Ersatz Matthijs De Ligt fremdelte sichtlich mit der neuen Rolle und Liga. Gegen Napoli gaben sie in der Folge ein 3:0 noch aus der Hand.

Es sind besonders diese beiden Probleme, die Sarris Spiel bei Juventus Schlagseite ins Negative geben. Zwar hat sich De Ligt in der Zwischenzeit etwas gefangen, jedoch wirkt das Mittelfeld des Öfteren unausgeglichen und ideenlos. In der Folge ist auch die fraglos hochtalentierte Offensive um Gonzalo Higuain, Paulo Dybala und Cristiano Ronaldo bisweilen am Verhungern. Dazu kommt noch ein Problem, das Sarri schon in Neapel und bei Chelsea begleitete: Dadurch, dass seine Mannschaften sehr hoch stehen, sind sie anfällig für Konter. Seit jeher eine der Kernkompetenzen Lazios.

Das Restprogramm des Rekordmeisters liest sich auf dem Papier ähnlich wie das ihres Meisterschaftskonkurrenten. Neben dem direkten Duell muss Juventus noch gegen Stadtrivale Torino, Milan, Atalanta und die Roma antreten.

Fazit

In der Serie A herrscht im Moment eine ähnliche Situation, wie wir sie über weite Strecken der letzten beiden Bundesligaspielzeiten erlebt haben. Borussia Dortmund fehlte in den entscheidenden Momenten allerdings die Kaltschnäuzigkeit, um den FC Bayern zu Fall zu bringen. Lazio hingegen hat besonders in den beiden direkten Duellen bewiesen, dass sie mit Juventus mehr als nur mithalten können. Das Restprogramm ist für beide vergleichbar. Viel könnte auf eine (Vor-)Entscheidung im dritten und letzten Duell dieser beiden hinauslaufen. Sollte Lazio auch das gewinnen, dann ist der erste Titel seit 2000 zum Greifen nah – und die schwarzweiße Hegemonie beendet.

(Photo by MARCO BERTORELLO/AFP via Getty Images)

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Victor Catalina

Victor Catalina

Mit Hitzfelds Bayern aufgewachsen, in Dortmund studiert und Sheffield das eigene Handwerk perfektioniert. Für 90PLUS immer bestens über die Vergangenheit und Gegenwart des europäischen Fußballs sowie seine Statistiken informiert.


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