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Ligue 1 | Meister Lille: Luís Campos‘ geplante Underdog-Story

25. Mai 2021 | Spotlight | BY Victor Catalina

Spotlight | Am Sonntagabend machte der OSC Lille den vierten Meistertitel der Vereinsgeschichte perfekt. Wie schon vier Jahre zuvor bei der AS Monaco ist dieser Erfolg besonders eng mit einem Namen verbunden: Luís Campos. Denn hinter beiden Underdogstories steckt viel mehr als Zufall.

Luís Campos: Erst Mourinho düpiert, dann assistiert

Es ist eine große Herausforderung, im Fußball Titel zu gewinnen, besonders, wenn man es in der eigenen Liga mit einer oder mehreren Übermächten zu tun hat. Es ist eine noch größere Herausforderung, zu gewinnen und schön zu spielen. Und die allergrößte Herausforderung ist es, zu gewinnen, schön zu spielen, mit den eigenen Spielern Profit zu generieren und sie durch ähnlich große Talente zu ersetzen.

Ein Meister dieses Fachs: Luís Filipe Hipólito Reis Pedrosa Campos, kurz Luís Campos (56). Schon Mitte der Neunziger startete er im Alter von 27 Jahren als Trainer in der dritten portugiesischen Liga durch. Erstmals erlangte er Bekanntheit, als er 2004 mit Gil Vicente die 27 Spiele andauernde Ungeschlagenserie des späteren Champions-League-Siegers FC Porto um José Mourinho (58) beendete.

 



 

2005 jedoch kehrte er dem Traineramt den Rücken und gründete die Plattform „Training to Play“, die Mourinho während seiner Zeit bei Real Madrid benutzte und davon so begeistert war, dass er Campos als Scout engagierte und ihn mit der Gegneranalyse sowie dem Entdecken von vielversprechenden Talenten beauftragte.

Zwar gründete Campos in Madrid mit „Scouting System Pro“ eine zweite Plattform, doch der Hauptteil seiner Arbeit besteht noch immer darin, Spieler persönlich zu beobachten. „Live-Beobachtung ist elementar. Ein kleines Detail. wie das Aufwärmprogramm eines Spielers kann viel über seinen Charakter verraten. Und Charakter ist ein wichtiger Maßstab beim Entdecken von Toptalenten“, sagte er 2017 in einem Interview. Die Charaktereigenschaften eines Spielers sind Campos sogar so wichtig, dass er sie als separaten Punkt in seine Programme hat einfließen lassen und sie danach ausgewählt werden können.

Das erste Toptalent, das Luís Campos bei Real Madrid ausgrub, war Fabinho (27), heute in Diensten des FC Liverpool. Im Alter von 18 Jahren schloss er sich dem Klub leihweise an, kam für die Profimannschaft aber auf lediglich einen Auftritt.

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AS Monaco: Campos‘ erster Geniestreich

Trotzdem war Luís Campos von Fabinho so überzeugt, dass er ihn 2013 per Leihe mit nach Monaco nahm. Der Klub war gerade frisch aus der Ligue 2 aufgestiegen und Campos‘ enge Beziehung zu Jorge Mendes (55) verhalf ihm nicht nur zu dem Posten im Fürstentum, sondern erleichterte auch Verhandlungen für Spieler wie James Rodríguez, João Moutinho (34) oder Radamel Falcao (35).

Das Auge für Talente wusste Campos natürlich auch hier einzusetzen. So holte Monaco 2013 einen 17-Jährigen, der bei Lyon nicht über drei Jokereinsätze hinauskam für fünf Millionen Euro. Sein Name: Anthony Martial. Nur ein Jahr später kamen Tiemoue Bakayoko und Bernardo Silva. Letzteren lieh man anfangs von Benfica aus und verpflichtete ihn später für weniger als 16 Millionen Euro fest. Dasselbe Spiel auch 2015, als Thomas Lemar aus Caen und Allain Saint-Maximin aus Saint-Étienne kamen. Dazu wurde die Leihe von Fabinho in einen Transfer umgewandelt. All das kostete Monaco in diesem Transfersommer lediglich 15 Millionen Euro. Auf der Gegenseite nahmen sie für Martial, Geoffrey Kondogbia, Layvin Kurzawa, Aymen Abdennour, Yannick Carrasco und Lucas Ocampos satte 165,5 Millionen Euro an Ablöse ein. Und ganz nebenbei drückte Campos das Durchschnittsalter des Kaders von 24,3 Jahren auf 22,3 Jahre.

Photo: Inside photo/imago

Aber die Talente allein zu finden und zu verpflichten, reicht Luís Campos nicht. Er will auch den sportlichen Erfolg. 2015 und 2016 wurde Monaco jeweils Dritter. Unter anderem auch, weil Campos in Leonardo Jardim (46) den perfekten Trainer für diese Mannschaft fand. Besonders seine Arbeit mit jungen Spielern bei Sporting Lissabon beeindruckte Campos. Ein Ass hatte Campos jedoch noch im Ärmel, bevor er Monaco in Richtung Lille verließ: Kylian Mbappé. Seine Entwicklung im Jugendbereich trieb der Portugiese persönlich an. Mit 16 Jahren holte ihn Jardim zu den Profis und machte ihn zum jüngsten Debütanten der Vereinsgeschichte. Ein Rekord, den zuvor kein Geringerer, als Thierry Henry innehatte. Campos mag am Ende der Saison 2016/17 zwar nicht mehr in Monaco gewesen sein, doch die einzelnen Rädchen passten so gut ineinander, dass die Meisterschaft nicht mehr zu verhindern und PSGs Dominanz erstmals gebrochen war. Strike 1.

OSC Lille: Campos erobert Frankreich erneut

Doch während Luís Campos in Monaco mit Dmitry Rybolovlev (54) einen finanzstarken Präsidenten hatte, sah die Lage bei den Doggen aus Lille etwas anders aus. 2016 übernahm Gérard Lopez (49) den Verein, mit dem Ziel, ihn gründlich umzustrukturieren. Allein in seinem ersten Jahr gingen 22 Spieler, 17 andere kamen. Darunter auch Nicolas Pépé (25) oder Thiago Mendes (29). Verpflichtet hat Campos die beiden für 19 Millionen, verkauft für 102 Millionen. Das Schema sollte spätestens hier ersichtlich werden.

Doch anfangs lief es für Campos in Lille nicht wirklich rund. Der Gedanke, Marcelo Bielsa (65) als Trainer einzustellen, mag zwar schlüssig gewesen sein. Aber die beiden Genien ihres Fachs kamen überhaupt nicht miteinander aus, Lille kämpfte zwischenzeitlich gegen den Abstieg und Bielsa wurde noch während der Saison 2017/18 freigestellt. Der nächste Griff von Campos saß dann wieder: Christophe Galtier (54) machte über insgesamt acht Jahre bei Saint-Étienne auf sich aufmerksam und hielt mit einem Punkt Vorsprung die Klasse.

Lille und Monaco: Kein Zufall, sondern Planung

Nachdem Lille auch noch eine Transfersperre abgesessen hat, musste Campos im Transferfenster zur Saison 2018/19 mit einem äußerst kleinen Budget auskommen – und lieferte ein Meisterwerk ab. Jonathan Bamba (25), Rafael Leão (21) und José Fonte (37) kamen ablösefrei, für Jonathan Ikoné (23) gingen fünf Millionen Euro in die Haupstadt und weitere 2,5 Millionen für Zeki Celik (24) in die zweite türkische Liga, zu Istanbulspor. Lille verbesserte sich im Vergleich zur Vorsaison um 15 Plätze, wurde Vizemeister und schickte PSG am 32. Spieltag mit einem 5:1 wieder nach Hause.

FEP/Panoramic/imago

Klar, dass das Begehrlichkeiten weckt. Rafael Leão zog es für 30 Millionen zu Milan.  Sein Ersatz wurde Victor Osimhen (22) für den der VfL Wolfsburg keine Verwendung mehr hatte und ihn an Sporting Charleroi verkaufte. Nach einem Jahr  machte Napoli im September 2020 sagenhafte 70 Millionen für ihn locker. Und schon war Lille wieder liquide und Luís Campos konnte Spieler wie Renato Sanches (23), Tiago Djaló (21), Benjamin André (30) Yusuf Yazici (24), Sven Botman (21) oder Jonathan David (21) verpflichten. Das Ganze wurde mit einem ablösefreien Burak Yilmaz (35) garniert. Und wie schon 2017 war Campos‘ Meisterwerk nun vollendet und auf dem Weg zum Titel nicht mehr aufzuhalten. Strike 2.

Wo er den dritten setzen will, ist noch nicht bekannt. Fakt ist aber, dass seine Fähigkeiten gerade in der Pandemie gefragter denn je sein dürften. Seinen kommenden Arbeitgeber kann Luís Campos sich praktisch selbst aussuchen. Gerade die Beispiele Monaco und Lille haben gezeigt, dass die vermeintlichen Underdogstories der Ligue 1 in Wirklichkeit nichts anderes sind, als das Ergebnis einer über Jahre gewachsenen und sorgfältigst ausgeführten Philosophie – und mitnichten Zufall.

 

 

JBAutissier/Panoramic/imago

Victor Catalina

Victor Catalina

Mit Hitzfelds Bayern aufgewachsen, in Dortmund studiert und Sheffield das eigene Handwerk perfektioniert. Für 90PLUS immer bestens über die Vergangenheit und Gegenwart des europäischen Fußballs sowie seine Statistiken informiert.


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