FC Sevilla vs Manchester United | Abkehr von „Football Heritage“

16. August 2020 | Champions League | BY Marius Merck

Vorschau | Im Halbfinale der Europa League treffen der FC Sevilla und Manchester United aufeinander. Beide Teams gewannen den Wettbewerb in den letzten Jahren und trafen zudem 2018 in der KO-Phase der Champions League aufeinander. Damals setzten sich die Spanier durch und leiteten damit auch das Ende von José Mourinho bei United ein.

Anpfiff der Partie ist am Sonntag, 21:00 Uhr, Live auf RTL Nitro & DAZN (Registriere dich jetzt auf DAZN und erhalte einen Gratismonat).

  • Der FC Sevilla ist Rekordsieger in dem Wettbewerb und triumphierte unter anderem drei Mal hintereinander von 2014 bis 2016
  • Manchester United gewann die Europa League 2017
  • Die Spanier setzten sich im März 2018 im Achtelfinale der Champions League gegen die Engländer durch

Wir haben uns vor dem Semi-Finale mit ManUtd-Fan Gerald Emprechtinger über die anstehende Begegnung unterhalten.

FC Sevilla: Ausnahmsweise kein EL-Bedürfnis

Nach dem Abgang von Unai Emery (48) im Sommer 2016 versuchten sich mehrere Übungsleiter bei den Andalusiern, lange blieb allerdings keiner davon im Amt. Vor der Saison 2019/20 verpflichtete der FC Sevilla den ehemaligen spanischen Nationaltrainer Julen Lopetegui (53), welcher bei dem Verein einen anspruchsvollen Umbruch durchführen musste. Der Ex-Trainer von Real Madrid nahm eine zweistellige Anzahl von neuen Spielern wie Diego Carlos (26), Jules Koundé (20) oder Youssef En-Nesyri (22) unter Vertrag. Dafür verließen langjährige Leistungsträger wie beispielsweise Wissam Ben Yedder (29) oder Pablo Sarabia (27) den Verein. Das Team bekam somit ein völlig neues Gesicht – und Lopetegui von seinem neuen Arbeitgeber durch diese Zugeständnisse (in der Gesamtsumme fast 180 Millionen Euro Ausgaben) einen großen Vertrauensvorschuss.

Und dieses Vertrauen sollte der Coach dem FC Sevilla in seinem Debütjahr eindrucksvoll zurückzahlen. Punktgleich mit Atlético liefen die Andalusier am Ende auf dem vierten Rang ein, lediglich das schlechtere Torverhältnis verhinderte den Sprung auf das Treppchen. Ein solches Endergebnis erreichte der Verein in der letzten Dekade in La Liga lediglich ein einziges Mal (2016/17). Spötter unterstellten den „Blanquirrojos“ sowieso, den Fokus auf die Europa League zu legen, weil man nur über diesen Weg die Königsklasse erreichen könne.

Emprechtinger bezeichnet deswegen Sevilla als „die EL-Mannschaft schlechthin.“ In der klubeigenen Paradedisziplin tat man sich nach einer souveränen (weil auch leichten) Gruppenphase mit APOEL, Qarabag und Düdelingen dann vor allem in Zwischenrunde gegen Cluj (0:0, 1:1) schwer. Danach zeigte Sevilla wieder das gewohnte „EL-Gesicht“, setzte sich in Einzelspielen gegen die AS Roma (2:0) sowie Wolverhampton (1:0) durch und dominierte dabei auch beide Partien spielerisch.

(Photo by WOLFGANG RATTAY/POOL/AFP via Getty Images)

Sevilla unter Lopetegui: „Ballbesitz ist Trumpf“

Unter Lopetegui verfolgt die Mannschaft einen sehr ballbesitzorientierten Ansatz. So kamen die Andalusier im Viertelfinale gegen die Wolves auf einen Fabelwert von 75% (!) Ballbesitz. Insgesamt ist in dieser Kategorie in dem ganzen Wettbewerb kein anderes Team besser als Sevilla (66,3% im Durchschnitt). In der Regel operiert man in den Spielen mit einem 4-3-3 System, mit zwei spielstarken Achtern vor einem etwas defensiveren Sechser. Auf einer der beiden vorderen Halbpositionen ist wie schon vor zweieinhalb Jahren noch immer Ever Banega (32) gesetzt, der damals gegen United in zwei Spielen unglaubliche 17 (!) Chancen kreierte.

Ähnlich schätzt Emprechtinger den Spanier ein: „Eine taktisch extrem disziplinierte und technisch starke Mannschaft.“ Auf dem linken Flügel ist unter Lopetegui Überflieger Lucas Ocampos (25) gesetzt, welcher in dem stabilen Konstrukt heraussticht. Der argentinische Nationalspieler brillierte national mit 14 Toren und wurde deshalb auch in die La-Liga-Mannschaft des Jahres gewählt. Ansonsten sind Andalusier in der Breite ziemlich gut besetzt, wie Emprechtinger feststellt, auch wenn man „vielleicht nicht mehr die prominenten Namen wie früher“ im Kader habe. Lopetegui hat mit weiteren Spielern wie Suso (26), Oliver Torres (25) oder Luuk de Jong (29) einer große Auswahl an Optionen in jedem Mannschaftsteil, wodurch das Spiel von Sevilla nur schwer auszurechnen ist.

(Photo by CRISTINA QUICLER/AFP via Getty Images)

Manchester United: Mourinho leitet 2018 nach Sevilla-Aus seinen Untergang ein

Dass Manchester United gute Chancen hat, zum zweiten Mal nach 2017 innerhalb weniger Jahre die Europa League zu gewinnen, ist auf der einen Seite beeindruckend, auf der anderen Seite jedoch auch ein gewisser „Reality Check“, wo man sportlich aktuell wirklich hingehört. Emprechtinger würde diesen Errungenschaft „im Vergleich zur Zeit unter David Moyes (57) bzw. Louis van Gaal (69)“ dennoch „schon als Schritt nach vorne“ einordnen. Den Triumph vor drei Jahren feierten die „Red Devils“ unter José Mourinho (57), ein Jahr später schien die Mannschaft zunächst große Fortschritte gemacht zu haben. Im Achtelfinale gegen Sevilla schied man jedoch völlig sang- und klanglos mit einem 1:2 im Rückspiel im Old Trafford aus. Besonders die Art und Weise hat Emprechtinger in schlechter Erinnerung: „Das Rückspiel im Old Trafford war eines der schrecklichsten Spiele unter José Mourinho.“

„Lethargisch, ideenlos, mutlos und ohne jegliche Kreativität,“ lautet das Fazit Emprechtingers über die beiden Spiele, in welchem sich Sevilla das Weiterkommen „absolut verdient“ verdient hatte. Mourinho dagegen begründete das Ausscheiden schlichtweg mit dem mäßigen sportlichen Abschneiden Uniteds national wie auch international in den Vorjahren und schuf mit dem dazugehörigen Ausdruck „Football Heritage“ eine neue Wortschöpfung. Rückblickend kann man durchaus sagen, dass dieses Aus ein entscheidender Punkt in seiner Amtszeit war. Seine negative Haltung und das Wegschieben von Verantwortung übertrug sich auch auf Mannschaft und Klub, nur neun Monate später verlor Mourinho im Dezember 2018 seinen Job. Ole Gunnar Solskjaer (47) übernahm zunächst interimsweise, dann dauerhaft – und auch unter dem Norweger lief nach einem furiosen Start erstmal viel verkehrt.

(Photo by Srdjan Stevanovic/Getty Images)

Manchester United 2020: Fernandes macht den Unterschied

Die Vorrunde der Saison 2019/20 der „Red Devils“ gehörte zu den schlechtesten der Klubgeschichte und war auch für Emprechtinger schlichtweg „ziemlich zum Vergessen.“ Nach peinlichen „Heimniederlagen gegen Teams wie Crystal Palace oder Burnley“ betrug der Rückstand auf die Top Vier zur Jahresbeginn zeitweise mehr als zehn Punkte. Doch im Januar verpflichtete United einen Spieler, welcher maßgeblich für die sportliche Wende verantwortlich sein sollte: Bruno Fernandes (25). Der Portugiese nimmt in dem von Solskjaer präferierten 4-2-3-1 System die Rolle des Spielmachers ein und ist damit in dem Spiel des englischen Rekordmeisters „der Schlüssel.“ Mit Fernandes habe sich das Spiel Uniteds „exorbitant verbessert“, was sich auch statistisch ausdrückt. Mit dem 25-Jährigen (elf Tore und acht Vorlagen in 21 Pflichtspielen) hat die Mannschaft noch nie (!) ein Spiel in der Premier League verloren.

Vor allem in dem schnellen Umschaltspiel bringt Fernandes (mit sieben Treffern Toptorjäger der Europa League) das Team um den formstarken Dreiersturm bestehend aus Anthony Martial (24), Marcus Rashford (22) und Mason Greenwood (18) extrem weiter. Gerade der Stern des Letztgenannten ging in den letzten Wochen so richtig auf, der Shootingstar wird laut Emprechtinger „den Gegnern in den kommenden Jahren noch richtig weh tun.“ Durch diese Neuerungen gelang United durch eine beeindruckende Aufholjagd 2020 noch der Sprung auf den dritten Platz in der Endabrechnung.

Allerdings bleibt festzuhalten, dass man nach wie vor Probleme gegen tiefstehende Gegner hat, welche den Engländern das Spielgerät überlassen. Dies zeigte sich erneut im Viertelfinale gegen den FC Kopenhagen, als erst ein Fernandes-Elfmeter in der Verlängerung die Erlösung brachte. Dennoch: Für Emprechtinger stimmt „der Weg“ sowie „die Transferpolitik“ unter Solskjaer, die Errungenschaften in dieser Saison bezeichnet er als „akzeptabel.“ Mit dem Gewinn der Europa League könnte aus dieser Bewertung sogar noch ein „Gelungen“ werden, dann würden nur „punktuell richtige Transfers“ fehlen, um in absehbarer Zeit wieder „zur Weltspitze“ zu gehören.

Prognose von Gerald Emprechtinger

„Ich glaube, dass diese Partie (für United erneut) in die Verlängerung oder gar ins Elfmeterschießen gehen wird. Am Ende wird sich die glücklichere Mannschaft durchsetzen, einen Ergebnistipp will ich (aus abergläubischen Gründen) keinen abgeben.“

Mögliche Aufstellungen:

FC Sevilla: Bono – Jesus Navas, Diego Carlos, Koundé, Reguilon – Jordan, Fernando, Banega – Suso, En-Nesyri, Ocampos

Manchester United: Romero – Wan-Bissaka, Lindelöf, Maguire, Williams – Pogba, Matic – Greenwood, Bruno Fernandes, Rashford – Martial

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(Photo by Aitor Alcalde/Getty Images)

Marius Merck

Eine Autogrammstunde von Fritz Walter weckte die Leidenschaft für diese Sportart, die über eine (“herausragende”) Amateurkarriere bis zur Gründung von 90PLUS führte. Bei seinem erklärten Ziel, endlich ein “Erfolgsfan” zu werden, weiter erfolglos.


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