Juventus Turin lechzt nach dem Henkelpott – letzte Chance für Olympique Lyon

26. Februar 2020 | Champions League | BY Nico Scheck

Vorschau | Jetzt oder nie: Cristiano Ronaldo greift mit Juventus Turin erneut nach der Krone in der Champions League. Im Achtelfinale wartet mit Olympique Lyon die erste Hürde. Gemeinsam mit Serie A-Experte Marius Soyke (transfermarkt.de) blicken wir auf das Duell voraus.

Olympique Lyon

Knapper hätte es Olympique Lyon in der Gruppenphase der Champions League wohl kaum machen können. Die Franzosen setzten sich hauchzart mit acht Zählern vor SL Benfica und Zenit St. Petersburg (je sieben) als Gruppenzweiter durch. Am sechsten und damit letzten Gruppenspieltag zitterte sich Lyon mit einem 2:2 gegen RB Leipzig in die K.o.-Phase.

Olympique Lyon: Unwort Umbruch

Mit den Umbrüchen im Fußball ist es so eine Sache. Selten geschehen sie auf eigenes Verlangen hin, vielmehr als Reaktion auf eine unerwünschte Lage. Olympique Lyon kann nach dem Sommer 2019 ein Klagelied davon singen. Was gemeint ist? Mit Tanguy Ndombélé (Tottenham Hotspur), Nabil Fekir (Betis Sevilla) und Ferland Mendy (Real Madrid) verließen gleich drei absolute Leistungsträger die Lyonnais. Abgänge, die bisher nicht aufgefangen werden konnten.

Und so kam es, wie es kommen musste: Lyon setzte den Saisonstart komplett in den Sand und fand sich am 11. Spieltag in der Ligue 1 auf dem 17. Rang wieder – eine mittelschwere Katastrophe. Wenige Tage zuvor hatte Rudi Garcia Sylvinho an der Seitenlinie ersetzt. Doch der Trainerwechsel zeigte im Anschluss Wirkung. Jetzt, Monate später, findet sich Lyon auf Rang sieben wieder. Mit sechs Punkten Rückstand auf die Top drei PSG, Olympique Marseille und OSC Lille.

(Photo by ROMAIN LAFABREGUE/AFP via Getty Images)

Dennoch hängt der Haussegen bei Lyon derzeit auf Halbmast. Von den vergangenen fünf Ligaspielen konnten die Mannen von Garcia nur eine Partie gewinnen – ein 2:0 beim FC Metz am vergangenen Wochenende. Angesichts der kommenden Aufgabe gegen Juventus Turin keine sonderlich gute Basis.

Olympique Lyon: Erst kein Glück, dann auch noch Pech

Als hätte es Lyon in dieser Saison nicht ohnehin schon schwer genug, muss Garcia in der Rückrunde auch noch auf seinen Kapitän Memphis Depay verzichten. Der Offensivstar der Lyonnais fällt mit einem Kreuzbandriss für den Rest der Saison aus. Hinzu kommt die Verletzung von Jeff Reine-Adélaïde. Der zentrale Mittelfeldspieler kam im Sommer und sollte eigentlich den Abgang von Ndombélé abfangen. Jetzt fällt auch er mit einem Kreuzbandriss für die restliche Saison aus.

Kein Wunder also, dass die sportliche Leitung im Januar reagierte und mit Bruno Guimarães (Club Athletico Paranaense), Camilo (AA Ponte Preta) und Karl Toko Ekambi (FC Villarreal) drei Spieler verpflichtete. Letzterer traf gleich in seinen ersten beiden Ligaeinsätzen für Lyon, seither wartet er auf einen weiteren Treffer. Und während Camilo bisher noch keine Rolle spielte, feierte Guimarães gegen den FC Metz sein Startelfdebüt.

Dennoch steht das erklärte Ziel, die Champions League noch zu erreichen, unter einem schlechten Stern. Die aktuelle Form stimmt nicht, Leistungsträger sind verletzt, die neuen Hoffnungsträger haben kaum Zeit, sich einzugewöhnen. Umso wichtiger also, dass wenigstens auf einen Schlüsselspieler Verlass ist.

Olympique Lyon: Schlüsselspieler Houssem Aouar

Gemeint ist natürlich Houssem Aouar. Der französische U21-Nationalspieler ist der Dreh- und Angelpunkt im Spiel von Garcia, seine Zahlen untermauern seine Wichtigkeit für Lyon (Neun Treffer und sechs Assists in 33 Pflichtspielen). Am Wochenende erzielte er den 2:0-Entstand gegen Metz, gegen Leipzig traf er am letzten Gruppenspieltag zum zwischenzeitlichen 1:2.

Längst sind seine Qualitäten am Ball über die französischen Grenzen hinaus bekannt. Schießen, passen, dribbeln, verteidigen – Aouar kann eigentlich alles richtig gut. Umso mehr wird Garcia auf seine Qualitäten gegen Juve angewiesen sein. Nicht umsonst schonte er seinen zweiten Kapitän gegen Metz bis kurz vor Schluss. Dass ausgerechnet Aouar nach seiner Einwechslung die Entscheidung brachte, spricht Bände.

Olympique Lyon: Tousart sorgt für Unruhe, Aulas stichelt

Das Chaos beherrscht Olympique Lyon auch im Fußballjahr 2020. Der Wechsel von Lucas Tousart zu Hertha BSC im Sommer sorgte für reichlich Unverständnis. Anfang Februar sagte er im Interview mit „L’Équipe“: „Ein Transfer birgt immer ein gewisses Risiko, aber ich habe das Vertrauen der Manager und des Trainers Jürgen Klinsmann gespürt.“ Blöd nur, dass Klinsmann mittlerweile nicht mehr der Trainer der Hertha ist.

Auf der anderen Seite sorgt Lyon-Präsident Jean-Michel Aulas kurz vor dem CL-Duell mit Juventus Turin für ordentlich Schlagzeilen. Gegenüber der italienischen Zeitung „Tuttosport“ betonte er, dass Lyon im vergangenen Sommer gerne Juve-Star Blaise Matuidi verpflichtet hätte. Der Deal kam zwar nicht zustande, doch: „Wir werden im Juni noch einmal darüber reden, Matuidi wäre perfekt für uns: Er ist ein gefestigter Mittelfeldspieler mit taktischem Know-how und ein Weltmeister.“ In Turin wird man das nicht so gerne hören.

Juventus Turin

Um die Gruppenphase von Juventus Turin in der Champions League zu beschreiben, bedarf es nur einem Wort: souverän. Nach einem 2:2 zum Auftakt bei Atlético Madrid marschierte Juve mit fünf Siegen durch die Gruppe – sehr zum Leidwesen von Bayer 04 Leverkusen, Lokomotiv Moskau und eben Atlético.

Juventus Turin: Die Gier nach der Champions League

An dem Vorsatz, endlich den Henkelpott wieder in die Luft zu stemmen, hat sich bei der „Alten Dame“ nichts geändert. Nach dem knappen K.o. im Vorjahr im Viertelfinale gegen die Überflieger von Ajax Amsterdam soll es in dieser Saison endlich so weit sein. In der Serie A liegt Juve mit einem Zähler Vorsprung auf den Tabellenzweiten Lazio Rom auf Titelkurs, in der Königsklasse untermauerte das Team von Trainer Maurizio Sarri bereits, wo die Reise hingehen soll.

Schaut man sich den Kader der Turiner an, lässt sich geballte Weltklasse finden. Über allem schwebt natürlich Superstar Cristiano Ronaldo, aber auch mit den Sommer-Neuzugängen Adrien Rabiot, Aaron Ramsey, Matthijs de Ligt oder auch Rückkehrer Gonzalo Higuaín hat Sarri viel Power dazubekommen.

(Photo by JONATHAN NACKSTRAND/AFP/Getty Images)

Bei näherer Betrachtung des bisherigen Saisonverlaufs fällt allerdings auch auf, dass Juventus nur selten wirklich spielerisch überzeugt. Die meisten Siege sind knapp, Spiele mit mehr als zwei eigenen Treffern haben Seltenheitscharakter. Nun ist es an sich nichts Neues, dass Juve die Spiele meist souverän, aber unspektakulär über die Bühne bringt. Und doch bleibt ein Fragezeichen, ob das auch für den ganz großen Wurf in der Champions League reicht.

Juventus Turin: Klopp adelt Sarri

Geht es nach Jürgen Klopp, ist Juventus Turin der Favorit auf Europas Krone. Und das, obwohl seine Liverpooler den Henkelpott vor nicht einem einem Jahr in den Madrider Nachthimmel recken durften. Und Sarri? Der nimmt’s gelassen und entgegnete mit einem breiten Grinsen: „Jürgen hat selbst gesagt, dass er nicht viel italienischen Fußball anschaut. Das erklärt schon einmal seine ‚Verwirrung‘.“

Doch auch Sarri weiß natürlich um die Erwartungshaltung im eigenen Lager. Umso positiver für ihn, dass er es geschafft hat, Paulo Dybala ins Ronaldo-System einzubinden. Insbesondere zu Beginn der Saison kam der argentinische Nationalspieler häufig nur von der Bank. Mittlerweile befindet sich Dybala jedoch in bestechender Form und bildet zusammen mit Ronaldo ein brandgefährliches Duo.

Ähnlich verhält es sich mit Rabiot. Der französische Neuzugang kommt immer besser in Form und war zuletzt unter Sarri erste Wahl. Ohnehin kann der 61-jährige Coach nahezu aus den Vollen schöpfen. Kapitän Giorgio Chiellini ist nach seinem Kreuzbandriss rechtzeitig für die Prime Time der Saison wieder zurück und auch Miralem Pjanic dürfte, trotz kleiner Verletzungspause gegen SPAL am Wochenende, in die Startelf zurückkehren.

Juventus Turin: Schlüsselspieler Cristiano Ronaldo

Über Cristiano Ronaldo ist eigentlich schon alles geschrieben, gesagt und wieder geschrieben worden. Und doch ist und bleibt er der Schlüsselspieler bei Juventus Turin. Mit nunmehr 35 Jahren ist die Torquote des Portugiesen nach wie vor bockstark: 25 Tore in 30 Pflichtspielen. Hinzu kommt, dass CR7 in der Serie A gegen SPAL das zwischenzeitliche 1:0 erzielte. Es war sein elfter Treffer in Folge in der Serie A. Es ist also alles wie immer. Rechtzeitig zum Frühjahr läuft Ronaldo zur Hochform auf.

Und diese Hochform wird bei Juve für die Königsklasse auch dringend benötigt. Dafür haben sie ihn geholt, dafür haben sie im Sommer 2018 117 Millionen Euro auf den Tisch gelegt. Bisher steht Ronaldo in der Champions League erst bei zwei Treffern. Das dürfte sich im Normalfall gegen Lyon jedoch ändern. Und dann wird doch wieder über ihn geschrieben.

Juventus Turin: Reicht Souveränität, Routine und Ronaldo?

Allerdings bleibt die Frage, ob Klopp tatsächlich recht hat. Reicht es bei Juventus Turin für den großen Coup? Angesichts des fortschreitenden Alters vieler Leistungsträger läuft der „Alten Dame“ langsam die Zeit davon.

Serie A-Experte Marius Soyke (transfermarkt.de) stimmt Klopp nicht ganz zu: „Wie in jedem Jahr gehört Juventus mindestens zum erweiterten Favoriten-Kreis und wird, wenn nichts Außergewöhnliches passiert, keine größeren Probleme mit Lyon haben. Auch unter Maurizio Sarri hat die „Alte Dame“ von ihrer berühmten Kompaktheit nichts verloren und nun ist auch Capitano Chiellini von seinem Kreuzbandriss zurückgekehrt.

Den vielbeschworenen Sarri-Ball spielt diese Mannschaft zwar nicht, ist aber dennoch immer brandgefährlich – und hat mit Ronaldo oder Dybala, die mittlerweile zusammen funktionieren, die Spieler, um große Spiele zu entscheiden. Dennoch: Mit starkem Pressing und großer Dynamik hat Juventus auch unter Sarri so seine Probleme. Ob Souveränität, Routine und Ronaldo gegen Teams wie Liverpool ausreichen, muss sich zeigen.“

Prognose

Die Rollenverteilung im Achtelfinale der Champions League ist klar. Juventus Turin ist der Favorit. Olympique Lyon ist nicht nur individuell schlechter besetzt, sondern hat auch mit der eigenen Form, Unruhe im Verein und Verletzungspech zu kämpfen. Für Juve hingegen dürften die ganz großen Herausforderungen dann im Viertelfinale warten.

Olympique Lyon – Juventus Turin: Mögliche Aufstellungen

Olympique Lyon: Lopes – Rafael, Marcelo, Denayer, Marçal – Aouar, Mendes, Tousart – Terrier, Dembélé, Cornet

Es fehlen: Oumar Solet (Kreuzbandriss), Youssouf Koné (Knöchelverletzung), Jeff Reine-Adélaïde (Kreuzbandriss), Memphis Depay (Kreuzbandriss)

Fraglich: —

Juventus Turin: Buffon – Danilo, Bonucci, Chiellini, Alex Sandro – Rabiot, Pjanic, Matuidi – Cuadrado, Dybala, Ronaldo

Es fehlen: Merih Demiral (Kreuzbandriss), Sami Khedira (Knie-OP), Douglas Costa (Verletzung am Beinbeugermuskel)

Fraglich: Gonzalo Higuaín (Hexenschuss)

Nico Scheck

(Photo by MARCO BERTORELLO/AFP via Getty Images)

Nico Scheck

Aufgewachsen mit Elber, verzaubert von Ronaldinho. Talent reichte nur für die Kreisliga, also ging es in den Journalismus. Seit 2017: 90PLUS. Manchmal: SEO. Immer: Fußball. Joga Bonito statt Catenaccio.


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