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Werder Bremen im Abstiegskampf – eng vertraut und doch ganz weit weg

17. Januar 2020 | Spotlight | BY Piet Bosse

Als Tabellenvorletzter startet der SV Werder Bremen auf einem direkten Abstiegsplatz in die Bundesliga-Rückrunde. Das Gefühl des Abstiegskampfes unter Florian Kohfeldt ist neu. Werder wähnte sich den düsteren Vorjahren im Abstiegskampf entwachsen und steckt doch wieder mittendrin.

Düsterer und mutloser Herbst

Die Kölner Kälte ließ Florian Kohfeldt in seiner Jacke verschwinden. Seine Mannschaft hatte das direkte Duell im Abstiegskampf beim 1. FC Köln gerade mit 0:1 verloren und mit 14 Punkten in 17 Spielen die schlechteste Hinrunde der Vereinsgeschichte hingelegt. Mit vier Niederlagen in Folge ging es in die, in Werders Fall nicht ganz so verdiente, Winterpause. In diesen letzten vier Auftritten gelang Werder nur ein einziges Tor – in der Allianz Arena beim FC Bayern. Gegen Paderborn, Mainz und Köln, allesamt in der unteren Tabellenhälfte zu verorten, traf Werder nicht einmal.

Gerade gegen Mainz beim 0:5 Debakel im eigenen Stadion spielte Bremen mutlos, ergab sich bereits nach 20 Minuten. Die Mannschaft, die im Frühjahr 2019 noch mit schnellem, schnörkellosen Angriffsfußball begeistert hatte und drei Monate lang kein Pflichtspiel verlor schien auf dem Platz ideen- und orientierungslos. Ein Gefühl, das es in Bremen seit dem Amtsantritt von Florian Kohfeldt im Spätherbst 2017 nicht mehr gegeben hatte.

Als der heute 37-Jährige die Grün-Weißen im November 2017 übernahm stand Werder – mal wieder – im Abstiegskampf. Weder Robin Dutt, noch Viktor Skripnik oder Alexander Nouri war es nach der Demission des ewigen Thomas Schaaf 2013 gelungen, Werder dauerhaft zu stabilisieren. Kohfeldt aber, und es ist abgedroschen aber auch treffend, hauchte dem Club mit seiner Idee vom flotten, kompromisslosen Fußball neues Leben ein. Die Jahre, in denen Werder auf eine defensive Spielweise setzte und an der Marschroute Tore zu verhindern verkrampfte, waren plötzlich ganz weit weg.

Das Kruse-Vakuum

Im Folgejahr setzte sich bei Werder die positive Entwicklung, auch dank unaufgeregter Arbeit im Management um Sportdirektor Frank Baumann, fort. Durch kluge Transfer wie Davy Klaassen und Nuri Sahin im Mittelfeld oder Yuya Osako im Angriff entwickelte sich das Team weiter. Die beiden herausragenden Stützen des Bremer Spiels waren in der Spielzeit 2018/2019 Milot Rashica und Max Kruse. Während Rashica durch seine Schnelligkeit, Torgefahr überzeugte und sein taktisches Gespür zu nutzen wusste, gab Max Kruse maßgeblich den Takt an.

(Photo by Patrik Stollarz/AFP via Getty Images)

Kruse bestimmte das Tempo, verteilte die Bälle, ließ sich vor die Abwehr fallen um zu organisieren, und mischte in forderster Reihe mit, um den entscheidenden Pass zu spielen und Tore zu schießen. Die organisatorischen und leitenden Fähigkeiten Kruses gingen dem Verein im Sommer verloren, als der Ex-Nationalspieler nicht in Bremen verlängern wollte.

Die tragende Säule des Werder-Spiels wurde nicht Eins zu Eins ersetzt. Einzig Leonardo Bittencourt der aus Hoffenheim kam, kann im offensiven Mittelfeld spielen wurde aber hauptsächlich auf den Außenbahnen eingesetzt. Die bereits im Kader stehenden Mittelfeldspieler um Sahin und Klaassen sollten Kruse ersetzen, wurden dieser Rolle aber nicht gerecht.

Der Wegfall eines Leistungsträgers ist aber im Großen und Ganzen verkraftbar, verschiedene Spieler haben Zeit um ihn zu ersetzen und um sich untereinander einzuspielen. Ein echtes Problem bekommt eine Mannschaft allerdings, wenn nicht nur ein Spieler wegbricht, sondern gleich die halbe Mannschaft und keine reelle Chance besteht, dass sich ein Team finden kann.

Verheerender Spätsommer voller Verletzungen

Das Einstudieren von Automatismen und Abläufen war zu Saisonbeginn in Bremen nicht möglich, denn Werder wurde von einer Verletzungsmisere geplagt, die ihres Gleichen sucht: Insgesamt verletzten sich in dieser Saison bereits 18 Feldspieler, im September fehlten zehn Profis gleichzeitig.

Der Verein rätselte über die Ursachen und setzte alle möglichen Hebel in Bewegung: externe Ärzte, Bodenüberprüfung der Trainingsplätze, ein Physiotherapeut, der das Training beobachtete. Geholfen haben die Maßnahmen wenig, die vielen Ausfälle konnte der restliche Kader nicht kompensieren. Werder war nicht eingespielt und der Mannschaft fehlte die Qualität um über mehrere Wochen in der Bundesliga mitzuhalten.

(Photo by Jörg Schüler/Bongarts/Getty Images)

Die Ursachenforschung der Verletztenserie führte Sportdirektor Frank Baumann zum Charakter der Mannschaft: „Wir hatten in dieser Beziehung vielleicht eine zu brave Mannschaft. Es ist keiner zum richtigen Zeitpunkt mal zum Trainer gegangen und hat gesagt, wir müssen jetzt vielleicht mal ein bisschen weniger machen oder einen halben Tag Regeneration einbauen. Das gehört zur Verantwortung eines Profis dazu“, erklärte Baumann dem NDR.

Der Sportdirektor hat zugegeben, dass die Trainingsintensität zu hoch war, seine Analyse wirft aber eine entscheidende Frage auf: Ist es nicht die Aufgabe des Trainers, das Training gemäß der Wettkampfbedingungen zu gestalten und gegebenenfalls etwas herunterzufahren, wenn mehrere Profis muskuläre Probleme bekommen?

Kohfeldt kennt keine Krise – und ist doch der Schlüssel

Florian Kohfeldt hat zuletzt unter erschwerten Bedingungen arbeiten müssen, noch immer fehlen fünf Profis verletzt. Der 37-Jährige muss allerdings seine eigenen Trainingsmethoden hinterfragen. Für den Trainer ist die negative Gesamtsituation in Bremen derzeit komplett neu: Seitdem er die Werderprofis trainiert ging es stets bergauf, wenn auch mit leichten Schwankungen aufgrund inkonstanter Leistungen.

Kohfeldt selbst wirkt stets sehr engagiert an der Seitenlinie und hat durch seine angenehme und begeisterungsfähige Art viel Kredit bei Spielern, Fans und Verantwortlichen. Aber auch der bisherige Erfolgscoach hat seine Probleme mit der schwierigen Bremer Lage: Zuletzt wirkten seine vielen Gesten und Zwischenrufe am Spielfeldrand zunehmend verzweifelt. Der blutleere Auftritt seiner Mannen gegen Mainz zeigte zudem, dass er das Team in diesem Spiel nicht erreichte.

(Photo by Thomas F. Starke/Bongarts/Getty Images)

Wie der Trainer nun mit der Situation umgeht, wie er seine Mannschaft anspricht, wird entscheidend sein für die Bremer Rückrunde. Die verletzten Profis werden nach und nach zurückkehren und mit Kevin Vogt wurde ein erfahrener Defensivakteur von der TSG Hoffenheim verpflichtet. Das Wichtigste ist aber, dass die Mannschaft mit der sportlich prekären Situation richtig umgeht und neuen Mut fasst.

Die Qualität des Kaders reicht wohl aus, um die Abstiegsränge in der Rückrunde zu verlassen. Vor der Spielzeit wollte Werder ursprünglich in den Europapokal. Die große Frage ist, ob die Mannschaft die negativen Erlebnisse aus der Hinrunde, also die zahlreichen schwachen Spiele und die ungewöhnlich vielen Verletzungen, aus den Köpfen bekommt. Ein Trainer wie Kohfeldt kann mit seiner positiven, aufweckenden und motivierenden Art einen Stimmungsumschwung erzeugen, der Werder aus der Abstiegszone bringt. Gleichzeitig fehlt dem Trainer aber auch die Erfahrung, mit einer Krise im Profibereich umzugehen. Auf ihn wartet eine deutlich schwerere Aufgabe, als sich bloß vor der Kälte zu schützen.

(Headphoto by Thomas F. Starke/Bongarts/Getty Images)

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Piet Bosse

Fasziniert von diesem einen langen Pass in die Spitze. Hat eine Schwäche für deutschen und französischen Fußball. Seit 2019 bei 90PLUS.


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