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Weißt du noch..? 5:1! Als Schalke die Bayern zerlegte

10. Mai 2020 | Weißt du noch...? | BY Victor Catalina

Spotlight | Stell dir vor, du spielst gegen den Champions League-Sieger und lässt ihn chancenlos abblitzen. Das, wovon viele Vereine träumen, hat Schalke in die Realität umgesetzt. Einmal 2011, als man eine magische Nacht in Mailand feierte, aber auch schon 2002.

Bayern holt den Titel – Schalkes Revanche

Jeder, der es mit Königsblau hält, wird den 19. Mai 2001 verfluchen. Selten lagen himmelhohes Jauchzen und zu Tode betrübt sein so nah beieinander, wie an diesem Tag. Als Sergej Barbarez den HSV in Führung köpfte, schien die Meisterschaft entschieden. Die Fans fluteten den Rasen des alten Gelsenkirchener Parkstadions und auch Rudi Assauer jubelte ausgelassen. Irgendjemand hatte die Kunde verbreitet, das Spiel in Hamburg sei beendet. Deshalb mussten sich die Fans im Parkstadion wie im falschen Film vorkommen, als genau jenes Spiel urplötzlich auf der Anzeigetafel gezeigt wurde.

(Photo by Alexander Hassenstein/Bongarts/Getty Images)

Das Ende ist bekannt. Ex-Schalker Mathias Schober nahm in der Nachspielzeit einen Pass von Tomas Ujfalusi mit der Hand auf und Bayern bekam nochmal einen indirekten Freistoß. Stefan Effenberg und Patrik Andersson traten an und der Schwede zimmerte die Kugel aus zehn Metern halblinker Position in die Maschen – sein einziges Tor für die Münchener.

So bekam das Duell zwischen diesen beiden in der kommenden Saison eine noch besonderere Bedeutung, als ohnehin schon. Das Hinspiel hat der FC Bayern im Olympiastadion mit 3:0 für sich entschieden. Am 19. Spieltag wollte Schalke daher Revanche – und bekam sie.

Die Aufstellungen

FC Schalke 04: Reck – Oude Kamphuis, Waldoch, van Hoogdalem, Matellan – Nemec – Wilmots, A. Möller, Böhme – Sand, Mpenza
Trainer: Huub Stevens

FC Bayern München: Kahn – Tarnat, R. Kovac, T. Linke, Sagnol – Jeremies – Effenberg, Thiam – Scholl, R. Santa Cruz – Élber
Trainer: Ottmar Hitzfeld

Mpenza trifft, Kovac patzt, Sand erhöht

Auf Seiten von Schalke war Emile Mpenza nach Sehnenproblemen fit und konnte somit wieder das Traumduo im Sturm zusammen mit Ebbe Sand bilden. Nico van Kerckhoven blieb angeschlagen auf der Bank, Marco van Hoogdalem übernahm seinen Platz in der Verteidigung. Zudem bekam Marc Wilmots den Vorzug vor Gerald Asamoah.

Hitzfeld stellte Roque Santa Cruz neben Giovane Elber in den Sturm, Carsten Jancker musste dafür weichen. Robert Kovac bekam den Vorzug vor seinem Bruder Niko und Pablo Thiam, davor noch in der Viererkette zugegen, rückte einen Ganztonschritt vor ins Mittelfeld.

Schalke zog in den ersten Minuten ein Powerplay am Strafraum der Münchener auf, die sich durchaus beeindruckt zeigten. Zu richtigen Torchancen kam Königsblau allerdings nicht. Bayern versuchte das Tempo zu verschleppen und konnte sich nach gut 15 Minuten erstmals vom Schalker Druck lösen. Jedoch wirkten beide Mannschaften bis hierhin hektisch. Schalke machte aber den etwas leidenschaftlicheren Eindruck, wenngleich das Spiel eher von Fehlern geprägt war.

(Photo by Martin Rose/Bongarts/Getty Images)

Umso überraschender daher, was sich in Minute 34 ereignete: Jörg Böhme spielt einen punktgenauen Pass über 60 Meter zu Emile Mpenza, der lässt sich frei vor Kahn die Gelegenheit nicht nehmen – 1:0.

Zu Beginn dieser Saison waren die Schalker in ihr neues Stadion gezogen, in dem gut eine Minute später Giuseppe Verdis Triumphmarsch ein zweites Mal ertönte. Denn Robert Kovac köpfte den Ball genau in die Füße von Ebbe Sand, der spielte noch einen Doppelpass mit Mpenza und erhöhte – 2:0. Huub Stevens war an der Seitenlinie kaum zu halten, während Rudi Assauer neben ihm genüsslich einen Zug von seiner Zigarre nahm.

Scholl trifft, Bayern fällt trotzdem auseinander

Die Münchener Geisterbahnfahrt ging aber noch weiter: In Minute 41 kam Michael Tarnat viel zu spät gegen Andreas Möller und sprang ihm mit gestrecktem Bein in die Wade – schon war Bayern nur noch zu zehnt. Zumindest durften dann aber alle Beteiligten erstmal durchatmen, denn es war Pause.

Die einen mussten also eine Zwei-Tore-Führung über die Zeit bringen, während die anderen in Unterzahl zu zwei wie auch immer gearteten Toren kommen mussten. Die ersten Minuten von Halbzeit zwei gingen zumindest ansatzweise in diese Richtung. Bayern bekam einen Freistoß aus 17 Metern halbrechter Position. Sie führten ihn indirekt aus und Scholl zimmerte die Kugel unter gütiger Mithilfe von Oliver Reck in die Maschen. Der hatte den Ball unter seinem Körper durchrutschen lassen. Unhaltbar war der Schuss keineswegs, trotzdem stand es nur noch 2:1.

„Linke, statt den Ball wegzuhauen, versucht irgendetwas, was nach Kunst aussieht. Aber Kunst, die macht dann Böhme.“

– Marcel Reif

Allerdings nur für fünf Minuten. Zuerst verloren die Bayern den Ball im Mittelfeld, dann hatte ihn Thomas Linke sicher. Theoretisch. Denn der Ex-Schalker versuchte sich als letzte Instanz vor Kahn an einem Kabinettstückchen. Das ging gründlich schief, Möller eroberte den Ball zurück und lief zusammen mit Böhme allein auf Kahn zu. Böhme vollendete schließlich gekonnt per Lupfer – 3:1.

Bayern überfordert, Schalke erhöht

Um es vorwegzunehmen: Viel mehr, als der Treffer von Scholl war von Bayerns Offensive nicht zu sehen. Hitzfeld brachte zwar nach etwas mehr als einer Stunde Claudio Pizarro für Giovane Elber, Früchte trug dieser Wechsel allerdings nicht. Bayerns Offensive war bei der Schalker Abwehr um Tomasz Waldoch und Marco van Hoogdalem gut aufgehoben. Ab und zu konnten sie sich sogar einen Ausflug nach vorne leisten.

(Photo by Andreas Rentz/Bongarts/Getty Images)

So wie in Minute 75. Mit einem einfachen Schnittstellenpass hebelt Möller die gesamte Münchener Abwehr aus. Emile Mpenza hatte urplötzlich viel Grün vor der Nase und flankte von der Grundlinie aus an den zweiten Pfosten. Dort verpassten zwar sowohl Sand als auch Möller, doch plötzlich kam van Hoogdalem geflogen und erhöhte per Kopf auf 4:1. Klasse herausgespielt von S04, hätte man es verteidigen können? Sicherlich, aber die dafür zuständige Mannschaft hatte mit diesem Spiel schon abgeschlossen und ließ es nur noch über sich ergehen. Der Beweis dafür: In dem Moment, als Mpenza an den zweiten Pfosten flankte, standen dort drei Mann in blau glockenfrei. Kovac und Linke waren irgendwo, aber nicht dort, wo sie sein sollten. Im Wissen, dieses Spiel gewonnen zu haben, legte auch Rudi Assauer die Zigarre mal aus der Hand und ballte die Fäuste. Auf der anderen Seite schaute Ottmar Hitzfeld bedeutungsschwanger auf den Videowürfel.

Nein, erlöst waren er und seine Mannschaft noch nicht, denn noch dauerte das Spiel 15 Minuten. Wir springen in die Nachspielzeit, Robert Kovac spielt den Ball zu Niels Oude Kamphuis. Nur trägt der Niederländer ein blaues Trikot. Aus spitzem Winkel lässt er Stevens ein fünftes Mal jubeln. Oliver Kahn nahm einen tiefen Schluck aus der Trinkflasche, um nicht im Affekt irgendwelche unbedachten Dinge zu tun. Die Farbe seines Kopfes näherte sich allerdings immer mehr der, der Trikots seiner Mitspieler an.

Mit dem Titel haben beide nichts zu tun

Dann schließlich war es vorbei. Schalke verpasste den Bayern etwas, was man im Süden als „a zünftige Watschn“ kennt und sprang mit dem Sieg nach dem Spieltag auf Rang 6. Für Bayern war es doppelt ärgerlich. Sie selbst wurden filettiert und haben spätestens nach diesem Spiel den Anschluss an die Tabellenspitze komplett verloren. Zwar ließen am 18. Spieltag sowohl Tabellenführer Leverkusen (1:3 in Wolfsburg), als auch Borussia Dortmund auf Platz 2 (2:2 in Nürnberg) Federn. Doch weil Bayern aus diesen beiden Spielen nur einen Punkt holte (0:0 gegen Gladbach), war die Titelverteidigung Makulatur. Der Fast-Meister Schalke hat währenddessen von den ersten fünf Spielen der Saison nur zwei gewonnen und verabschiedete sich daher relativ frühzeitig aus dem Titelrennen.

Am 31. Spieltag deutete alles auf die erste Meisterschaft von Bayer Leverkusen hin, fünf Punkte stand die Mannschaft von Klaus Toppmöller vor Borussia Dortmund. Dann aber verloren sie gegen Bremen und in Nürnberg, Dortmund schlug Köln und gewann in Hamburg und war damit vor dem letzten Spieltag vorbeigezogen. Den Titel ließen sie sich dann gegen Bremen nicht mehr nehmen. Bayern ging komplett leer aus. Am Ende stand Platz 3, sie mussten in der Champions League-Qualifikation eine Extrarunde drehen. Für Schalke gab es immerhin noch die Titelverteidigung im DFB-Pokal und Platz 5 in der Bundesliga.

Klar, dieser Sieg hat Schalke nicht das zurückgebracht, was sie ein Jahr zuvor auf dramatischste Art und Weise verspielt haben. Aber zumindest bekamen sie die Gelegenheit, den Champions League-Sieger vor eigenem Publikum zu vermöbeln. Kann auch nicht jeder von sich behaupten.

(Photo by Andreas Rentz/Bongarts/Getty Images)

Victor Catalina

Victor Catalina

Mit Hitzfelds Bayern aufgewachsen, in Dortmund studiert und Sheffield das eigene Handwerk perfektioniert. Für 90PLUS immer bestens über die Vergangenheit und Gegenwart des europäischen Fußballs sowie seine Statistiken informiert.


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