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Leeds United: Der Aufstieg der Gefallenen

23. Juli 2020 | Spotlight | BY Victor Catalina

Spotlight | 2004, in dem Jahr, als am anderen Tabellenende Arsenal seine „Invincibles“ feierte, musste Leeds United den Gang in die Zweitklassigkeit antreten. Für viele Jahre versank der Club in Chaos und galt als unaufsteigbar. Bis sich ein verrückter Argentinier der Sache annahm.

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  • Mit Bielsa im Eiltempo zum Aufstieg
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Leeds United: Einmal Topklub – und zurück?

Am Abend des 17. Juli 2020 stand es fest: Dank West Broms 1:2-Niederlage in Huddersfield kann Leeds United nicht mehr von einem direkten Aufstiegsplatz verdrängt werden. Damit endet für Verein und Fans eine 16 Jahre andauernde Leidenszeit in denen der Klub teilweise ziellos durch das Unterholz des englischen Fußballs taumelte.

Mandatory Credit: Laurence Griffiths /Allsport

Eigentlich war man von Leeds United ganz andere Dinge gewohnt. Drei Meistertitel stehen in der Vitrine, allerdings dürften diese mit der Zeit eine ordentliche Schicht Patina angesetzt haben. 1969, 1974 und die letzte Ausgabe der English First Division 1992 gewann Leeds. Zu einem Titel in der damals neu gegründeten Premier League hat es zwar nie gereicht. Dafür allerdings waren sie regelmäßig im oberen Tabellendrittel oder sogar auf den europäischen Plätzen zu finden. Den größten Erfolg erreichte der Klub 2001, als man mit Spielern wie Mark Viduka, Publikumsliebling Alan Smith oder dem jungen Rio Ferdinand bis ins Halbfinale der Champions League vorstieß. Dort allerdings zog man nach einem torlosen Unentschieden und einem 0:3 im Mestalla gegen den FC Valencia den Kürzeren. Valencia selbst unterlag im Finale dem FC Bayern im Elfmeterschießen.

„Doing a Leeds“ – ein Topklub verspekuliert sich

Danach aber begann die Talfahrt. Denn Leeds United ist bis heute ein Beispiel, wie ein Topklub nicht zu führen ist. Der Ausdruck „Doing a Leeds“ ist sogar in der englischsprachigen Wikipedia zu finden. Um die eigenen Maßstäbe zu erreichen, die man in den vorausgegangenen Jahren gesetzt hat, musste man auch finanziell mit anderen Topklubs wie Manchester United, Arsenal oder Liverpool mithalten. Das heißt: Höhere Ablösesummen und höhere Gehälter. Ansonsten hätten viele Spieler nach Auslaufen ihres Vertrags den Verein – gemäß des 1995 eingeführten Bosman-Urteils – ablösefrei verlassen dürfen.

Im festen Glauben, den Sprung in Englands Elite geschafft zu haben und regelmäßig an der Champions League teilzunehmen – vor allem aufgrund der ausgezahlten Fernsehgelder – nahm der damalige Präsident Peter Ridsdale hohe Kredite auf. Das sportliche Ziel wurde jedoch verpasst. So wurde Leeds der eigene Übermut zum Verhängnis, bereits 2002 hatte der Verein 100 Millionen Pfund Schulden und musste notgedrungen mit Rio Ferdinand einen der Stars für 30 Millionen Pfund an Manchester United verkaufen. 2004 war dann – nach 14 Jahren Erstklassigkeit – der Abstieg besiegelt.

Was begann, war eine Abwärtsspirale, aus der man nur schwer herauskommt. Denn mit sportlichem Misserfolg gehen ein geringeres mediales Interesse, sinkende Zuschauerzahlen im Stadion, geringere Fernsehgelder, geringere Einnahmen aus Sponsoring und Merchandising und letztendlich – noch höhere Schulden einher. Genau davon bekam Leeds die volle Breitseite zu spüren. Man geriet schließlich in einen Kreislauf, in dem sich Besitzer und Trainer in West Yorkshire gegenseitig die Klinke in die Hand gaben. Den heiligen Gral, wie der Verein zu stabilisieren ist, fand jedoch vorerst keiner. Es ging sogar soweit, dass man freiwillig Spieler ablösefrei ziehen ließ, nur, um sie von der Payroll zu bekommen. Auch das eigene Stadion, die Elland Road, musste man an einen Geschäftsmann aus Manchester verkaufen.

Von Valencia nach Bristol: Leeds‘ Fall in die Drittklassigkeit

Nach einem missglückten Versuch, 2006 über die Playoffs den Aufstieg in die Premier League zu schaffen – Leeds unterlag Watford im Finale 0:3 – kam es ein Jahr später noch dicker – der Verein musste aufgrund des erdrückenden Schuldenbergs Insolvenz anmelden. Das hatte einen Abzug von 15 Punkten zur Folge, Leeds United beendete die Saison 2006/07 auf dem 24. und letzten Platz der Championship. Damit war der Verein zum ersten Mal in seiner Historie drittklassig.

(Photo by George Wood/Getty Images)

Die gute Nachricht: Viel tiefer sollte es nicht mehr gehen. Nach drei Jahren Drittligazugehörigkeit gelang im Mai 2010 durch ein 2:1 gegen Bristol der Sprung zurück in die Championship. Finanziell kam man unter den Eigentümern Ken Bates und Massimo Cellino zumindest in etwas ruhigere Gewässer. Wegen Regelverstößen beim Transfer von Ross McCormack zu Fulham im Jahr 2014 wurde Cellino allerdings von der FA für 12 Monate aus dem Verkehr gezogen. Für ihn übernahm 2017 der junge italienische Medienmogul Andrea Radrizzani (45). Der Gründer der Sendergruppe „Eleven Sports“ ist noch heute im Amt. Als eine seiner ersten signifikanten Amtshandlungen kaufte er nach 13 Jahren die Elland Road zurück. Seinen größten Coup landete Radrizzani aber ein Jahr später.

Leeds United: Aufschwung dank des „Verrückten“

Es war ein Name, der unter dem seiner Vorgänger auffällt, wie ein bunter Hund: Marcelo Bielsa (65). Einer der renommiertesten Trainer weltweit, ein ehemaliger argentinischer Nationaltrainer, einstiger Erfolgscoach von Athletic Bilbao. Pep Guardiola (49) bezeichnet ihn als den „besten Trainer der Welt“ und meint „wer ein Trainer werden will, muss vorher mit ihm geredet haben“, für Ex-Tottenham-Coach Mauricio Pochettino (48) ist er der „fußballerische Vater“.

(Photo by George Wood/Getty Images)

In Wirklichkeit ist er aber vor allem eines: ein bunter Hund, ein Verrückter – „El Loco“ nennt man ihn. Sein Jugendteam, Newell’s Old Boys – übrigens auch das eines gewissen Lionel Messi (33) – fing er nur an zu unterstützen, weil sein Vater Fan des Stadtrivalen Rosario Central war. Als ihr Trainer übernahm er die Scoutingarbeit gleich selbst und klapperte aufgrund seiner Flugangst ganz Argentinien (!) mit dem Auto (!!) ab – ein Land mit drei Millionen Quadratkilometern.

In Leeds wird er für seine Art nicht nur geschätzt, sondern geliebt. Die 45 Minuten von seiner Residenz in Wetherby bis zum Trainingszentrum in Thorp Arch geht er regelmäßig zu Fuß. Und weil Bielsa eben Bielsa ist, hat er sich am Klubzentrum ein Wohnzimmer mit Küchenzeile einbauen lassen, für den Fall, dass er nach stundenlangem Videostudium dort übernachten muss.

Und gerade davon, beziehungsweise von Bielsas akribischen Aufzeichnungen sollte im weiteren Verlauf der Saison noch die Rede sein. Im Sommer 2018 trat Bielsa seinen Dienst in Leeds an. In den Jahren zuvor waren die Peacocks ein – mal mehr, mal weniger – stabiler Mittelfeldklub. Die Saison 2017/18 beendeten sie auf Rang 13, ein Jahr zuvor wurden sie Siebter. Aber zum engeren Kreis der Aufstiegskandidaten zählten sie nicht wirklich. Saison 18/19, 1. Spieltag – und schon fängt die Mannschaft an zu liefern. Gegen Absteiger Stoke gibt es einen souveränen 3:1-Heimsieg, bevor Frank Lampard (42) in seinem zweiten Spiel als neuer Derby-Trainer Lehrgeld zahlen musste – 1:4 unterlag er Bielsa und Leeds.

„Stop crying, Frank Lampard!“ – Wie Bielsas Leeds England eroberte

Sieben Tore in nur zwei Spielen, das ist genau der Offensivfußball, den der Argentinier predigt und von seiner Mannschaft sehen will. „Wenn der Gegner den Ball hat“, so Bielsas Devise, „presst das ganze Team und versucht, das Spiel so nah wie möglich am gegnerischen Tor zu halten“. Es ist ein Spielstil, den man so eigentlich eher von Liverpool oder Manchester City kennt. Bielsa sagt über sich selbst: „Ich bin besessen vom Angreifen“. Noch dazu ist er ein Trainer, der durch seine Besessenheit und Akribie jeden Spieler auch individuell zu verbessern weiß.

Lampard und Derby County haben davon einen Vorgeschmack bekommen, auch im Rückspiel an der Elland Road unterlagen sie 0:2. Dafür allerdings waren sie diejenigen, die Bielsa der Gegnerspionage überführten. Seine Reaktion? Schuldig im Sinne der Anklage. Die 200.000 Pfund Strafe bezahlte er kurzerhand aus eigener Tasche. Noch dazu lud er zu einer 70-minütigen Präsentation ein, in der er Derbys Spiel bis ins kleinste Detail analysierte und damit bewies, wie „nutzlos“ die Informationen sind, die er durch die Spionage erhielt. Zum dritten Mal binnen einer Saison musste Frank Lampard damit im Duell gegen Bielsa Lehrgeld zahlen. Das veranlasste die Fans, zur Melodie von Oasis‘ „Stop crying your heart out“ einen Song zu dichten.

Cause all of the spies
are hidden away
just try not to worry,
you’ll beat us some day.

We beat you at home,
we beat you away
stop crying, Frank Lampard.

In den Playoffs zur Premier League trafen die beiden sich erneut, Bielsa holte im Pride Park mit einem 1:0 Triumph Nummer vier gegen Lampard. Allerdings gab es noch das Rückspiel. Das gewann Derby an der Elland Road 4:2 – und zog ins Finale ein. Der größte Hit in der Kabine der Rams? Richtig. Leeds wurde – einmal mehr – von eigenen Übermut eingeholt.

„Back where we belong“ – nach 16 Jahren

Die kommende Saison jedoch sollte besser verlaufen. Leeds spielte von Beginn an um den Aufstieg mit, auch auf zwischenzeitliche Negativserien, wie zu Beginn des Jahres, als man nur einen Sieg aus sieben Spielen holte, wusste man „im Stile einer Spitzenmannschaft“ zu reagieren: mit fünf Siegen in Folge ohne Gegentor. Auch Befürchtungen, die Mannschaft könne durch die Coronapause die Form verlieren, bewahrheiteten sich nicht. In Wirklichkeit war es eine willkommene Auszeit von Bielsas kräftezehrendem Spiel. Dafür hatten sie genug Energie für den Schlussspurt. Nach einem 3:1 in Blackburn gab es schließlich die Vorlage aus Huddersfield.

(Photo by PAUL ELLIS/AFP via Getty Images)

Die lange Leidenszeit ist vorbei. Leeds United ist zurück – und bereit, mit Marcelo Bielsa die Premier League zu erobern.

(Photo by PAUL ELLIS/AFP via Getty Images)

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Victor Catalina

Victor Catalina

Mit Hitzfelds Bayern aufgewachsen, in Dortmund studiert und Sheffield das eigene Handwerk perfektioniert. Für 90PLUS immer bestens über die Vergangenheit und Gegenwart des europäischen Fußballs sowie seine Statistiken informiert.


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