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Köln, Hertha und Freiburg: Europapokal!

16. Juli 2017 | Spotlight | BY Manuel Behlert

Dass sich kontinuierliche, akribische und vor allem gute Arbeit irgendwann auszahlt, haben der SC Freiburg, der 1. FC Köln und Hertha BSC in der letzten Saison unter Beweis gestellt. Mit den Plätzen 5 (Köln), 6 (Hertha) und 7 (Freiburg) haben diese Mannschaften ihre Zielvorgaben mehr als erfüllt und eine beeindruckende Saison auch mit einer entsprechenden Endplatzierung gekrönt. Eine Bestandsaufnahme bei allen drei Vereinen, zwischen Euphorie und den Gefahren.

Waren die etablierten Mannschaften wie Schalke, Leverkusen, Gladbach oder Wolfsburg zu schwach oder die Überraschungsteams, zu denen man auch Hoffenheim und Leipzig zählen kann zu stark? Die Wahrheit liegt wohl in der Mitte. Dass diese Mannschaften großartiges geleistet haben, steht jedenfalls außer Frage. Doch nach der anfänglichen Euphorie begann die Planung der neuen Saison. Gerade für die Freiburger, die noch durch die Qualifikation müssen, ist das nicht einfach.

Die ungewohnte Mehrfachbelastung

Ob Köln, Freiburg oder Hertha: Für alle diese Mannschaften ist die Mehrfachbelastung in dieser Art Neuland. Die Hertha versuchte sich in der vergangenen Saison bereits in der Qualifikation, scheiterte dort aber an Bröndby. Diesmal ist der Hauptstadtklub, ebenso wie der 1. FC Köln, direkt für die Gruppenphase qualifiziert. Beide könnten zumindest zum Teil schwierige Gegner zugelost bekommen. Die zusätzliche Belastung ist ein Punkt, den alle beteiligten Klubs genauestens beachten müssen. Bereits in der Saisonvorbereitung, in den Trainingslagern müssen die Schwerpunkte anders gesetzt werden als gewohnt, die Teams müssen die Belastung clever verteilen und immensen Wert auf die Breite im Kader legen.

Für den SC Freiburg ergibt sich noch eine andere Aufgabe. Ihr Qualifikationshinspiel in der 3. Runde findet bereits am 27. Juli statt. Bis zu diesem Termin auf einem akzeptablen Niveau zu sein, ist nicht einfach. In der Kürze der Vorbereitung ergeben sich wenige Möglichkeiten Trainingsinhalte detailliert einzustudieren. Die Fitnessschwerpunkte müssen früh gesetzt werden, die Neuzugänge möglichst schnell integriert werden. Sehr wahrscheinlich wird eine eingespielte, aus dem letzten Jahr bekannte Mannschaft zu Beginn der Qualifikation für die Europa League auflaufen, damit die Automatismen stimmen. Köln und die Hertha haben noch etwas mehr Zeit, müssen aber auch darauf achten, möglichst schnell ihren endgültigen Kader beisammen zu haben.

Köln: Auf dem Boden bleiben

Beim Effzeh herrschte in diesem Sommer eine mittlerweile sehr ungewöhnliche Unruhe. Die Transfergeschichte rund um Topstürmer Anthony Modeste beschäftigte die Medien über einen langen Zeitraum, auch die Beteiligten in Köln waren am Ende nur noch genervt. Modeste ist nach China gewechselt, die Ruhe im Verein, die Jörg Schmadtke und Peter Stöger in den letzten Jahren implementiert haben, ist wiederhergestellt. Und diese Ruhe war und ist der Schlüssel zum Erfolg. Nach dieser bärenstarken Saison hat man in Köln vor allem ein Ziel: Kontinuierlich und akribisch weiterarbeiten. Die Spielzeit 2016/17 muss als Basis für weitere Entwicklungen und Verbesserungen zugrunde gelegt werden, trotzdem sollten die Fans des Effzeh nicht davon ausgehen, dass man jetzt automatisch ein dauerhafter Europapokalanwärter ist.

(Photo by Lukas Schulze/Bongarts/Getty Images)

Man muss vor allem auf dem Boden der Tatsachen bleiben. Jetzt ist man selbst die Mannschaft, die sich mitunter durch die englischen Wochen quälen muss, während sich Leverkusen, Gladbach & co. in Ruhe auf ihre Gegner vorbereiten können, längere und intensivere Trainingswochen zur Verfügung haben. Die Teilnahme an der Europa League ist die Belohnung für gute Leistungen, die gute Arbeit muss aber zwangsläufig weitergeführt werden. Schon der Saisonauftakt im Derby bei der Borussia aus Mönchengladbach ist knackig, danach spielt man gegen Hamburg, Augsburg und Borussia Dortmund. Es ist wichtig, dass der Klub gut in die Saison startet, gerade weil drei dieser vier Spiele auswärts stattfinden. Die Kölner wollen und müssen vermeiden, von Beginn an hinterherzulaufen. Das Ziel muss es sein, sich schnellstmöglich im Mittelfeld der Tabelle zu etablieren. Und das sollte realistisch sein. Stöger und Schmadtke werden einen entsprechenden Plan für die Saison entworfen haben.

Kaderplanung: Punktuell verstärken

Der Kader des 1. FC Köln ist insgesamt bereits auf einem guten Niveau. Die gute Mannschaft der letzten Saison wird wieder durch den nach einer schweren Verletzung zurückkehrenden Marcel Risse ergänzt, mit Jannes Horn und Jhon Cordoba wurden zwei gute Ergänzungen verpflichtet. Wie man Anthony Modeste en detail ersetzen kann, berichteten wir bereits vor kurzem. Cordoba ist ein laufstarker Arbeiter, Horn eine gute Ergänzung auf der linken Defensivseite, die flexibel einsetzbar ist. Den Effzeh verlassen haben neben Modeste Marcel Hartel und Neven Subotic. Der Kader ist also größtenteils der, der in der vergangenen Saison so gut funktioniert hat. Punktuelle Verstärkungen sollen noch folgen, Bedarf ist definitiv noch vorhanden. Denn: Die aktuelle Kadergröße liegt bei 23 Spielern. 1-2 Ergänzungen würden mehr Rotation ermöglichen und gewährleisten, dass der Qualitätsverlust nach Wechseln nicht sehr groß ist.

(Photo by Christof Koepsel/Bongarts/Getty Images)

Der größte Bedarf besteht wohl in der Innenverteidigung. Mit Heintz, Sörensen und Maroh stehen hier nur drei Spieler im Aufgebot, ein Neuzugang ist warhscheinlich. Zuletzt gab es Gerüchte um Jorge Mere, der aber wohl kein Thema ist. Eine Rückholaktion von Kevin Wimmer, der zurzeit bei Tottenham unter Vertrag steht, ist ebenfalls schwierig, vor allem aufgrund der finanziellen Komponente. Jörg Schmadtke teilte zuletzt mit, dass man abwarten wird, ob sich noch „interessante Dinge ergeben.“ Eine defensive Haltung gehört zur Taktik, je offensiver man kommuniziert, dass man noch einmal tätig wird, desto eher steigt der Preis. Neben der Innenverteidigung könnte sich vor allem im Mittelfeld noch etwas tun. Eine flexible Ergänzung, die im Idealfall im Zentrum und auf der Außenbahn eingesetzt werden könnte, würde dem Kader guttun. Viel mehr muss eigentlich nicht gemacht werden. Der Kader ist gut, die beiden bisherigen Neuverpflichtungen müssen optimal integriert werden und der Trainer kennt seine Mannschaft, weiß, welche Möglichkeiten er hat.

Hertha: Die Belastung clever verteilen

Die Hertha muss in dieser Saison nicht wie in der Spielzeit 2016/17 in die Qualifikation, sondern steht direkt in der Gruppenphase. Die Mannschaft von Trainer Pal Dardai spielte in den vergangen zwei Spielzeiten jeweils eine sehr gute Hinrunde, lebte in der Rückrunde aber eher von der Heimstärke und brach etwas ein. Das soll in dieser Saison verhindert werden. Und zwar mit einem breiteren Kader, einer guten Belastungssteuerung und einer taktischen Weiterentwicklung. Dabei soll auch die Jugend weiter gefördert werden. Mit Palko Dardai, Julius Kade, Arne Maier und Florian Baak wurden gleich vier Spieler in die erste Mannschaft befördert, überdies sollen Torunarigha, Mittelstädt oder Sinan Kurt einen Schritt nach vorne machen.

(Photo by TOBIAS SCHWARZ/AFP/Getty Images)

Die Vielzahl der Spiele werden es definitiv hergeben, die jungen Akteure mit Spielpraxis auszustatten. Das Spiel der Hertha ist laufintensiv, geprägt von einer hohen Einsatzbereitschaft und taktischer Disziplin. So haben die Berliner viele Gegner in engen Spielen bezwungen. Bei der anstehenden Doppelbelastung muss man versuchen mit den Kräften zu haushalten. Das ist auch wichtig, um zu gewährleisten, dass man im gesamten Saisonverlauf über die nötige Energie verfügt und in dieser Saison kein Leistungseinbruch droht. Das ist die Hauptaufgabe von Pal Dardai und seine Trainerteam. Dardai hat die Mannschaft stabilisiert, während seiner Amtszeit große Erfolge gefeiert und den Hauptstadtklub in ruhige Fahrwasser gelenkt. Das zu bestätigen und den nächsten Schritt zu gehen wird nicht einfach, aber die Verantwortlichen werden alles in die Waagschale werfen.

Kaderplanung: Es besteht noch Bedarf

Auch wenn derzeit 28 Spieler im Kader der Hertha stehen, besteht noch Bedarf. Zumal der ein oder andere Abgang nicht unrealistisch ist. Neben den Spielern aus dem eigenen Nachwuchs verstärkte man sich bisher mit Jonathan Klinsmann, Karim Rekik, Mathew Leckie und Davie Selke. Den Verein verlassen haben Baumjohann, Kohls, Allan, Körber, Allagui und Brooks. Vor allem Abwehrchef Brooks hinterlässt eine Lücke. Neuzugang Rekik soll diese stopfen, spielte aber bei Olympique Marseille keine elementare Rolle, benötigt zunächst seinen Rhythmus und muss sich in Berlin zurechtfinden. Mit Langkamp, Stark, Torunarigha, Bank und aushilfsweise Lustenberger stehen viele Verteidiger im Aufgebot, aber gerade Stark muss nach seinem Rippenbruch noch pausieren, auch Torunarigha fehlt in der Vorbereitung aufgrund von einer Blessur. Derzeit scheint es aber unrealistisch, dass ein weiterer Innenverteidiger verpflichtet wird.

Im Mittelfeldzentrum könnte sich viel eher etwas tun. Die Hertha wollte die Leihe von Allan verlängern, allerdings verlangte Liverpool eine Einsatzgarantie, die man in der Hauptstadt nicht gewährleisten konnte. Zudem stehen in der Offensive mit Stocker (flexibel) und Haraguchi (Flügel) zwei Spieler im Aufgebot, die mit einem Wechsel in Verbindung gebracht werden. Stocker darf dem Vernehmen nach gehen, bei Haraguchi, der noch einen Vertrag bis 2018 besitzt, wird über eine Vertragsverlängerung nachgedacht. Da Niklas Stark dauerhaft in der Innenverteidigung eingesetzt werden wird, sollte man sich in Berlin noch über einen zentralen Mittelfeldspieler Gedanken machen. Auch ein Flügelspieler sollte, sofern Haraguchi tatsächlich noch geht, verpflichtet werden, auch wenn Mitchell Weiser auch in der Offensive eingesetzt werden kann. Im Sturmzentrum ist man durch die Selke-Verpflichtung gut aufgestellt, die Außenverteidigerpositionen sind ebenfalls fest besetzt. Mit 1-2 klugen Ergänzungen sollte der Kader der Berliner also stehen.

Freiburg: Prioritäten setzen

Beim SC Freiburg war Platz 7 in der vergangenen Saison ein Grund zum Feiern. Christian Streich hat mit dem Aufsteiger eine sehr gute Saison gespielt, konnte die „großen“ Vereine ärgern und durfte durch den Pokalsieg des BVB auch an der Qualifikation zur Europa League teilnehmen. Die Freiburger spielen bereits Ende Juli ihr Hinspiel in der 3. Runde und treffen auf den Sieger aus dem Duell zwischen Valur Reykjavik und Domzale. Das Hinspiel in Island gewannen die Slowenen mit 2:1. Freiburg will sich definitiv für die Gruppenphase qualifizieren und dieses Abenteuer zumindest in der Gruppenphase genießen. Die damit verbundenen Schwierigkeiten sind bekannt und einkalkuliert. Christian Streich muss die Mannschaft also früh in Schwung bringen und die Abgänge schnell kompensieren, damit man eine erfolgreiche Qualifikation spielen kann.

(Photo by Matthias Hangst/Bongarts/Getty Images)

Während der Hinrunde in der Bundesliga müssen die Breisgauer Prioritäten setzen. Es wäre nicht der erste Klub, der in den Abstiegsstrudel rutscht, nachdem man sich überraschend für den Europapokal qualifiziert hat. Die Bundesliga ist das Tagesgeschäft und hier müssen Punkte gesammelt werden. Die Europa League ist ein Zubrot, verhilft dem SCF womöglich dreimal zu einem ausverkauften Stadion und bietet gerade für die jungen Spieler eine wichtige Erfahrung. Auch die Freiburger haben einen kräftezehrenden Spielstil, laufen viel, wollen dadurch die etwaige individuelle Unterlegenheit kaschieren. Dementsprechend breit muss der Kader sein und dementsprechend muss die Fitness in der kurzen Vorbereitung zur Priorität erklärt werden.

Kaderplanung: Kein großer Druck

Die Kaderplanung bei den Freiburgern verläuft ruhig und besonnen. Man verlor mit Philipp und Grifo zwei wichtige Spieler, mit Kerk, Nielsen und Torrejon gingen Ergänzungsspieler. Niederlechner und Stenzel wurden nach guten Eindrücken in der letzten Saison fest verpflichtet, zudem konnte man Innenverteidiger Lienhart und Offensivmann Bartosz Kapustka leihen. Bei beiden Spielern soll die Möglichkeit einer dauerhaften Verpflichtung bestehen. Der Kader ist ausgewogen, homogen und auch in der Breite durchaus gut besetzt. Es fehlt etwas an der individuellen Klasse in der Offensive, die durch die Abgänge verloren ging. Aber mit Kaupstka, Bulut, Haberer, Petersen, Kleindienst und Guede ist die Offensive bereits vernünftig besetzt. Ein weiterer Zugang ist aber nicht ausgeschlossen, sofern die Freiburger einen passenden Spieler finden.

(Photo by JANEK SKARZYNSKI/AFP/Getty Images)

Die Planungssicherheit ist trotz der Ungewissheit über den Ausgang der Qualifikation gewährleistet. Durch die beiden bisherigen Verpflichtungen auf Leihbasis haben sich die Freiburger einen guten Spielraum geschaffen, sind nicht von den Einnahmen der Europa League abhängig. Zudem brachten Grifo und Philipp über 25 Millionen Euro ein, davon sind nicht einmal 10 reinvestiert worden. Christian Streich formuliert über die Medien keine Wünsche, klärt alles intern mit den Verantwortlichen. Auch er würde sicher noch gerne 1-2 Spieler verpflichten. Dabei muss der SCF allerdings geduldig bleiben, keinen Schnellschuss wagen. Spieler wie Kempf, der eine überragende U21-EM spielte, aber auch Stenzel, Söyüncü oder Haberer müssen jetzt konstanter spielen und mehr Verantwortung übernehmen. Die Defensive scheint ohnehin zu stehen, auch wenn Freiburg heute mit Jetro Willems von der PSV in Verbindung gebracht wurde. Im Mittelfeldzentrum und in der Offensive scheint eher Bedarf zu bestehen. Wichtig für Streich ist vor allem die Flexibilität der Spieler. Es kann zwar noch etwas dauern, bis der endgültige Kader steht, wettbewerbsfähig ist man in Freiburg aber bereits zum jetzigen Zeitpunkt.

Der Ausblick

Alle drei hier vorgestellten Mannschaften vertrauen auf die Spieler, die in der vergangenen Saison für den Erfolg gesorgt haben. Jeder hat einen oder mehrere wichtige Spieler verloren, aber vor allem Freiburg und die Berliner haben eine große Auswahl und einen breiten Kader mit Entwicklungspotenzial. Die Basis ist bei allen Vereinen vorhanden, alle drei sollten in der Lage sein mit ihrem Kader, mit ihren Trainern und der Weiterführung einer guten, kontinuierlichen Arbeit, ihre Ziele zu erreichen. Die kommenden Wochen werden entscheidend sein, die Eindrücke aus der Vorbereitung müssen in den ersten Pflichtspielen verfeinert werden. Zum jetzigen Zeitpunkt ist es unmöglich einzuschätzen, wie gut bisher gearbeitet wurde und ob die richtigen Trainingsinhalte auf dem Plan standen.

Auch die weiteren Kaderergänzungen müssen jetzt stimmen. Eile ist nicht unbedingt geboten, viel wichtiger ist es, dass man die richtigen Entscheidungen trifft und Transfers tätigt, die wirtschaftlich und sportlich realisierbar sind, den Verein weiterbringen. Man kann allen drei Mannschaften zutrauen, eine gute Rolle zu spielen und die eigenen Ziele zu erreichen. Ob eine dieser Mannschaften die Möglichkeit hat, in der kommenden Saison wieder die europäischen Plätze anzugreifen, bleibt abzuwarten. Die nötige Qualität sollte jedenfalls bei allen vorhanden sein, um dem Abstiegskampf aus dem Weg zu gehen. Allerdings können Verletzungen zu Problemen führen, Negativserien herbeiführen und machen eine endgültige, verlässliche Prognose schwierig. Klar ist, dass sowohl der SC Freiburg im Falle der erfolgreichen Qualifikation, als auch die Hertha und der Effzeh ihr Abenteuer in Europa verdient haben.

 

In einem weiteren Teil wird es um die TSG Hoffenheim und RB Leipzig gehen.

Manuel Behlert

Vom Spitzenfußball bis zum 17-jährigen Nachwuchstalent aus Dänemark: Manu interessiert sich für alle Facetten im Weltfußball. Seit 2017 im 90PLUS-Team. Lässt sich vor allem von sehenswertem Offensivfußball begeistern.


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