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Hertha BSC, Labbadia und der Glaube an den Aufschwung

23. Mai 2020 | Spotlight | BY Manuel Behlert

Hertha BSC war in dieser Saison nicht selten Ziel von hämischen Kommentaren. Und in vielen Fällen hatte man sich das in der Hauptstadt auch selbst zuzuschreiben. Die großen Ziele von Investor Lars Windhorst, Trainerentlassungen, die Kapitel Klinsmann und Kalou: Die „Alte Dame“ lieferte Stoff für mehrere Saisons.

Kritisch gesehen wurde – zumindest partiell – auch die Verpflichtung von Bruno Labbadia als Cheftrainer. Spätestens hier wurde es aber unverhältnismäßig, denn Labbadia leistete zuletzt in Wolfsburg und auch schon zuvor in seiner Laufbahn grundsolide Arbeit. In Wolfsburg rettete er einen schier unzähmbaren Haufen vor dem Abstieg und führte ihn im darauffolgenden Jahr in den Europapokal, etablierte nebenbei auch noch ein funktionierendes Ballbesitzsystem.

(Photo by Alexander Hassenstein/Bongarts/Getty Images)

Nun war und ist Labbadia nicht DER ganz große Name, aber vielleicht ist gerade diese Besetzung der Schlüssel, um nach großer Unruhe und vielen Gerüchten um mögliche Transfers hochkarätiger Spieler zunächst wichtige Arbeit an der Basis zu leisten. Die ersten Spiele machen Mut.

Hoffenheim als mutmachender Auftakt für Hertha-Coach Labbadia

Seine ersten Schritte bei Hertha BSC musste Labbadia in Zeiten größter Ungewissheit gehen. Die Corona-Pandemie legte den Spielbetrieb lahm, der Trainer verzichtete sofort auf Teile seines Gehaltes, lernte die Mannschaft nicht in voller Stärke auf dem Platz, sondern virtuell und später einzeln respektive in Kleingruppen kennen. Diese Situation war nicht einfach, neue Trainer wünschen sich immer eine gewisse Vorbereitungszeit, zumindest viele persönliche Gespräche, um sofort einen Draht zur Mannschaft zu finden.

Das erste Pflichtspiel bei der TSG Hoffenheim war für Labbadia und Hertha BSC also eine Reise ins Ungewisse. Zwar konnten einige Einheiten mit der gesamten Mannschaft absolviert werden, aber für die Einstudierung diverser wichtiger Abläufe blieb wenig Zeit. Und: Es konnten keine Testspiele absolviert werden, die Partie in Hoffenheim war ein Blindflug. Der 3:0-Erfolg von Hertha BSC resultierte zwar zum Teil aus eigener Effizienz und Hoffenheimer Chancenwucher, dennoch waren Fortschritte zur Zeit unter Labbadia-Vorgänger Alexander Nouri sichtbar.

(Photo by THOMAS KIENZLE/AFP via Getty Images)

Die Balance war noch nicht perfekt, die wichtigsten Grundelemente des Ballbesitzspiels waren auch noch nicht bis in die letzte Pore der Mannschaft vorgedrungen, aber der Glaube an die eigene Stärke und gut strukturiert vorgetragene Angriffe sorgten immer wieder für Torgefahr. Der Sieg in Hoffenheim sollte eine Befreiung werden. Denn zuvor musste der mit großen Ambitionen ausgestattete Klub aus der Hauptstadt eher in Richtung Relegationsplatz blicken.

Nächster Schritt: Hertha BSC ist Derbysieger

Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, ein guter Auftakt noch keine Trendwende. Soll heißen: Das Spiel gegen den FC Union am gestrigen Freitag musste ebenfalls gelingen, um die Aufbruchsstimmung bei Hertha hochhalten zu können. Mit dem Rivalen aus der Hauptstadt hatte man nach der Hinspielniederlage ohnehin noch eine Rechnung offen. Die erste Halbzeit war noch relativ zäh, Hertha versuchte viel, Darida strukturierte im Mittelfeld, die ein oder andere Torchance wurde sich erspielt. Aber ohne Erfolg.

In der zweiten Halbzeit erhöhte Hertha BSC aber das Tempo und traf nach einem guten Beginn von Union zum 1:0, legte blitzschnell das 2:0 nach. Dieser Doppelschlag, begünstigt durch eine enorme Stringenz in den eigenen Angriffen und dem Willen, Fehler zu erzwingen, sorgte für eine Befreiung. Eine erkennbare Struktur im Ballbesitz war von Beginn an sichtbar, nun kam aber auch noch ein Faktor hinzu, den man sich in Berlin zwar gewünscht hat, aber nur selten in dieser Saison auch sehen konnte: Spielwitz.

(Photo by Stuart Franklin/Getty Images)

Insbesondere Matheus Cunha, der sein fantastisches Potenzial bei Hertha BSC auch schon unter den Labbadia-Vorgängern andeutete, hat das Zeug dazu, zu einem Publikumsliebling heranzuwachsen. Dribblings, technische Finessen, Ideen: Cunha bringt alles mit. Und übertreibt nur selten. Sinnbildlich für die Fortschritte von Hertha BSC stand dann das 3:0, als Cunha dribbelte, Lukebakio einbinden wollte, dessen Versuch eines Fallrückziehers aber misslang. Doch ehe sich Union sortieren konnte reagierte Cunha geistesgegenwärtig, nutzte die Chance auf den Schuss und traf flach und hart mitten in die letzten Hoffnungen der Gäste. Das 4:0 durch Boyata war nur die Kirsche auf der Torte.

Hertha BSC: Die Mannschaft lernt schnell

Die Fortschritte in der Mannschaft sind schon nach wenigen Wochen unter Bruno Labbadia sichtbar. Der neue Trainer gab der Mannschaft ein Gefühl für die eigene Stärke mit und stukturierte die Elf auf dem Platz so um, dass sie seine Elemente des Ballbesitzspiels umsetzen kann. Gleichzeitig lobte er die Mannschaft und ihre Entwicklung: „Es war nicht zu erwarten, dass wir schon so weit sind, dass wir die Geduld aufzeigen und so überzeugend den Ballbesitz-Fußball zeigen. Das war super“, so Labbadia nach dem gestrigen Spiel.

Für den Moment steht Hertha BSC auf Platz 10 und auch wenn die Europa League wieder in Reichweite ist: Die Etablierung im ruhigen Mittelfeld der Tabelle sollte in der Restsaison das Hauptziel bleiben. Der Spielplan ist mit Leipzig, Augsburg, Dortmund, Frankfurt und Freiburg abwechslungsreich und wird zeigen, wie reif die Mannschaft schon ist, wie stabil das eigene System bei mehr Gegenwehr des Gegners und individuell stärkeren Mannschaften ist.

Bruno Labbadia muss die Mannschaft noch besser kennen lernen, die Mannschaft muss ihren Trainer noch besser verstehen. Dieser Prozess wird in den kommenden Wochen abgeschlossen, anschließend kann sich Hertha BSC auf die weitere Optimierung des eigenen Kaders konzentrieren. Ob die großen Ziele, die man langfristig hat, auch erreicht werden können, bleibt abzuwarten. Positive Schlagzeilen auf dem Platz zu schreiben anstatt durch Krisen oder interne Unruhe im Fokus zu stehen, dürfte vielen Anhängern des Hauptstadtklubs vorerst aber genügen.

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(Photo by STUART FRANKLIN/POOL/AFP via Getty Images)

Manuel Behlert

Vom Spitzenfußball bis zum 17-jährigen Nachwuchstalent aus Dänemark: Manu interessiert sich für alle Facetten im Weltfußball. Seit 2017 im 90PLUS-Team. Lässt sich vor allem von sehenswertem Offensivfußball begeistern.


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