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„Das Handwerk hat sich verändert“ – Die DAZN-Final-Kommentatoren im Interview

18. August 2020 | Spotlight | BY Julius Eid

Spotlight | Die Endrunde der beiden europäischen Wettbewerbe ist in vollem Gange. Beide Finals, Europa League und Champions League, werden bei DAZN gezeigt. 90PLUS hatte die Möglichkeit, mit den beiden Final-Kommentatoren, Jan Platte und Uli Hebel, zu sprechen.

Wie so oft in diesen Zeiten findet unser Gespräch mit Jan Platte und Uli Hebel per Videocall statt. Gemeinsam mit unserem Redakteur Julius Eid sprechen die beiden über die Besonderheiten des Jobs in Zeiten des Coronavirus, über die Vorfreude, ein Finale kommentieren zu dürfen und viele weitere Themen. Hier ist unser Interview mit den beiden DAZN-Kommentatoren.

„Ich schlafe, aber wenig.“

90PLUS:  Die Endturniere der europäischen Wettbewerbe sind der Saisonendspurt der „längsten Saison aller Zeiten“. Seid ihr noch in Topform oder merkt ihr die lange Saison?

Jan: Ich habe in letzter Zeit wenig kommentiert und bin entspannt. Klar, die Saison scheint gar nicht aufzuhören, aber es gab ja auch die lange Pause in der Uli und ich auch wenig zu tun hatten. Abgesehen von den Retro-Games und Planungen im Hintergrund. Bei mir ist gerade auch wirklich genug Zeit vorhanden um mich richtig auf die Spiele vorzubereiten. Das genieße ich. Ich freue mich auf jedes Spiel, das ich mache. Ich bin alles andere als müde.

90Plus: Uli, bei dir sind es neun europäische Spiele in dieser Endrunde, die du kommentierst/ kommentiert hast. Wie sieht das bei dir mit der entspannten Vorbereitung aus?

Uli: Nicht großartig anders als sonst. Jetzt im Turniermodus denke ich nicht groß drüber nach und genieße, dass es Schlag auf Schlag geht. Es hilft natürlich auch in der Vorbereitung, dass man die Mannschaften über einen gesamten Wettbewerb verfolgen kann. Aber entspannt ist es nicht. Wie der Fußballer sagt: Ich denke von Spiel zu Spiel. Vom Privatleben ist nicht viel übrig gerade, aber ich will mich nicht beschweren.

90PLUS: In einem Interview hast du mal erwähnt, dass du noch zwei bis drei Stunden nach den Spielen vor Anspannung nicht schlafen kannst. Heißt das, im Moment schläfst du gar nicht?

Uli: Ich schlafe, aber wenig.

90PLUS: Jan, geht es dir ähnlich wie Uli nach den Spielen?

Jan: Bei mir ist es ähnlich. Meistens fahre ich dann gemeinsam mit Herrn Hummels (Jonas, Anm. d. Red. ) mit dem Fahrrad nach Hause, da verquatscht man sich schon mal. Gerade nach den Spielen in Italien und Spanien, die später angepfiffen werden, bin ich manchmal um 01.00 Uhr nachts durch die Küche geschlichen, um niemanden aufzuwecken. Dann sitze ich auch noch gerne eine Stunde, lese ein Buch oder eine Zeitung und trinke ein Bier. Ich glaube, dass geht uns fast allen so. Wenn man vorher so den Kopf anstrengt, muss man erstmal ein Level erreichen, ab dem man schlafen kann.

Kommentator Uli Hebel

„Das ist ein Riesengewinn für einen Kommentator“

90PLUS: Hat sich die Vorbereitung auf Spiele durch das Coronavirus für euch verändert?

Uli: Einige Sachen waren nach dem Restart erst einmal nicht so relevant. Zum Beispiel die Form – gleichgültig ob jetzt im März sechs Siege in Folge da waren oder nicht. Das ist eigentlich schon etwas, was ich rituell in jeder Vorbereitung beachte. Ansonsten ist es vielleicht sogar auf nationaler Ebene einfacher gewesen. Durch die vielen Einschränkungen, hat man Gesprächspartner deutlich besser zu fassen bekommen. Seien es jetzt Journalisten, Ex-Profis oder Vereinsvertreter und Trainer.

90PLUS: Jan, du hast während der DAZN-Roadtrips unter anderem mit Robin Gosens und Julian Nagelsmann sprechen können. Wie wichtig ist ein Austausch mit solchen Schlüsselfiguren, wenn man Kommentator ist?

Jan: Die sind total wichtig und hilfreich. Manchmal muss man darum ringen, jemanden zu sprechen, der aus dem Verein kommt. Da unterscheidet sich die Gesprächsbereitschaft, die Erfahrung hat auch Uli bereits gemacht. Bruno Labbadia hat zum Beispiel einen tollen Kontakt vor den Spielen. Das ist ein Riesengewinn für einen Kommentator. Um Ulis Aussage noch einmal zu bekräftigen: Wir haben vor dem Spiel von Lyon gegen Manchester City über aussagekräftige Statistiken gesprochen. Da wurde erwähnt, dass die Franzosen 75 Prozent ihrer Chancen in der Champions League nutzen. Es wurde allerdings relativ schnell klar, dass diese Statistik keine Aussagekraft mehr hat, bei einem Team, welches im letzten halben Jahr nur zwei Spiele absolviert hat.

„Was den deutschen Mannschaften fehlt, ist „streetwise“ zu sein“

90PLUS: Nicht nur die Vorbereitung hat sich geändert, auch dass Turniersystem. Karl-Heinz Rummenigge hat vom neuen System geschwärmt. Wie schätzt ihr, auch als Kommentatoren, das neue KO-System ein? Ist es attraktiver für den Zuschauer?

Uli: Klar hat das neue System seinen Reiz, aber auch deshalb, weil wir die Ausgangslagen nicht kennen und es etwas ganz Besonderes ist. Wenn man sich an den Modus gewöhnt, werden wir wahrscheinlich Hin- und Rückspiel vermissen. Ich glaube, auch Karl-Heinz Rummenigge wird sich schnell wünschen, dass Hin- und Rückspiel zurückkehren, denn damit verbunden vermehren sich auch die TV-Gelder.

Jan: Ich finde den Modus reizvoll, glaube aber nicht, dass er zum Standard wird. Auch für uns Kommentatoren gesprochen ist es natürlich gut, wenn es Hin- und Rückspiel gibt. Es gab auch richtig schöne Rückspiele in den letzten Jahren. 

90PLUS: Uli, in den letzten Jahren scheint die Europa League für viele Vereine attraktiver geworden zu sein. Wie nimmst du die Entwicklung des Wettbewerbes wahr?

Uli: Gerade in den englischen Mannschaften nimmt man den Wettbewerb deutlich ernster. Das liegt wohl auch an der Gemengelage in der heimischen Liga, die Vereine haben in der Europa League richtig was zu gewinnen. Spanische Teams haben den Wettbewerb schon immer ernstgenommen und verstanden, dass der Sieg hier ein Weg in die Champions League ist. Prinzipiell ist es auffällig, dass seit zwei bis drei Jahren das Interesse der Klubs am Wettbewerb steigt.

90PLUS: Woran liegt es, dass diese Ernsthaftigkeit gerade bei den deutschen Vereinen noch nicht wirklich angekommen scheint? Gibt es Gründe für das, regelmäßig, schlechte Abschneiden deutscher Vereine in der Euro League oder ist das Zufall?

Uli: Zufall kann es bei den Ergebnissen der Vergangenheit nicht mehr sein. Was den Deutschen fehlt, ist es „streetwise“ zu sein. Wenn es darauf ankommt, sind gerade die spanischen Vereine, aber zum Beispiel auch die Italiener, einfach da. Teams wie Leverkusen stecken aber auch in einer, noch nicht abgeschlossenen, Entwicklung. Generell hat man bei deutschen Teams in K.O.-Spielen nur bei Bayern München ein Gefühl von der ganz großen Verlässlichkeit vor dem Spiel. Spanische und italienische Vereine haben da vielleicht ein anderes Selbstverständnis.

„Warum kein deutsches Finale?“

90PLUS: Jan, in der Champions League stehen die deutschen Teams in diesem Jahr gut da. Muss man Leipzig spätestens nach dem Sieg gegen Atletico auch als Titelfavorit auf dem Zettel haben?

Jan: Leipzig läuft natürlich immer noch etwas unter „der unbekannte Klub“. Aber Leipzig hat seit Jahren, auch in der Europa League, einiges an europäischer Erfahrung mitgenommen. Ich traue Leipzig in diesem Jahr ganz viel zu. Der nächste Gegner, PSG, bestand in den letzten Spielen hauptsächlich aus Neymar. Das wird eine große Herausforderung, ihn zu kontrollieren, aber ich mag den fußballerischen Ansatz Leipzigs. Auf dem Platz werden sie wissen, dass sie nicht der Favorit sind, aber ich bin mir sicher, dass sie sich etwas ausrechnen. Gerade gegen Atalanta wirkte PSG nicht immer sicher in der Defensive und Julian Nagelsmann wird sich da genau Gedanken machen. Ich kann mir deshalb gut vorstellen, dass sie am Ende ins Finale einziehen.

90PLUS: Nach 2013 könnte also das nächste deutsche Finale anstehen. Glaubst du auch an die Bayern?

Jan: Den Bayern traue ich, wie viele andere, zu, den Titel zu holen. Warum dann nicht ein deutsches Finale gegen Leipzig? Allerdings war das letzte Finale zwischen Bayern und Leipzig doch recht deutlich (DFB-Pokal-Finale, 0:3, d.Red.).

„Das Handwerk hat sich verändert“

90PLUS: Noch einmal zurück zum Coronavirus. Geisterspiele bedeuten natürlich eine fehlende Atmosphäre. Musstet ihr euch beim Kommentieren an die Situation anpassen um „die Stille zu füllen“?

Uli: Ja klar, das Handwerk ändert sich. Über Fans, über gewisse Bilder kann man natürlich Atmosphäre transportieren an den Zuschauer. Auch der Lautstärke-Pegel ist ein anderer, man hört mehr von den Spielern und Trainern. Ich habe mich schon dabei erwischt, dass ich zu viel getextet habe, weil ich den Zuschauer dazu bringen will, nicht abzuschalten. Ich mache nicht groß irgendetwas anderes und bin auch weiterhin sehr emotional. Aber natürlich spricht man vor einer stimmungsvollen Kulisse anders. Es ist weiterhin gut, gewisse Dinge für sich stehen zu lassen, die kriegen vielleicht einen melancholischeren Anstrich, werden aber nicht weniger eindringlich.

Jan: Ja, es hat sich ganz erheblich verändert. Dass es rundherum so still ist, da macht man sich seine Gedanken. Mir haben auch Freunde geschrieben und gefragt warum wir so viel geredet haben, man könne doch auch gut hören was auf dem Platz gerufen wird. Als Kommentator denke ich mir dann aber auch, dass ich das dritte Mal: „Komm, Komm, Komm!“ nicht einfach stehen lassen muss. Es ist dann teilweise eben auch redundant. Auf jedem Fußballplatz der Welt wird auch viel gerufen, was nicht besonders spannend ist. Ich fühle mich auch als Zuschauer mitgenommen, wenn man merkt, wie schön es wäre, wenn Fans da wären. Wir sehnen alle den Moment herbei, wenn es wieder möglich ist und wir unseren Beruf wieder so ausüben können wie in den letzten Jahren.

Uli: So sehr wir uns das aber wünschen, so wenig wünschen wir uns, dass nur im Sinne der Stimmung ,vor dem Hintergrund der Pandemie, da irgendwas riskiert wird.

Jan: Absolut. Es wird uns noch länger begleiten.

Jan Platte beim Kommentieren

„Nichts auf dieser Welt verdirbt mir die Freude darauf“

90PLUS: Im letzten Jahr hatten wir Jan vor seinem ersten CL-Finale im Interview, seine Vorfreude war riesig. Wie sieht es in diesem Jahr aus? Und wie ist deine Stimmung vor dem EL-Finale, Uli?

Uli: Es ist auch mein zweites Finale in der Europa League. Persönlich habe ich mit der Situation schnell Frieden geschlossen und sehe auch nicht ein, mir die Freude nehmen zu lassen. Letztes Jahr fand das Finale in Baku statt, kulissentechnisch ist es also eventuell gar nicht so ein großer Unterschied. Ich versetze mich da in die „Ur-Situation“ des Fußballs zurück. Ich habe angefangen auf dem Bolzplatz, da war auch niemand beim Zuschauen. Auch jetzt will ich trotzdem wissen, wer gewinnt. Ich kann dem Sport viele andere Sachen abgewinnen, was die Fans nicht schmälern soll. Es ist jetzt so wie es ist und nichts auf dieser Welt verdirbt mir die Freude darauf.

Jan: Dem Vergleich zum letzten Jahr in Madrid, dem hält Lissabon nicht stand. Letztes Jahr waren wir vor Ort, haben alles um das Finale herum mitbekommen. Dennoch freue ich mich sehr auf das Finale. Es macht trotzdem großen Spaß. Etwas fehlt, aber das gilt es zu kompensieren und einen guten Job zu machen.

„Das bleibt ein Ziel in meinem Leben“

90PLUS: Zum Abschluss zwei kurze Fragen, die erste noch einmal eine sportliche: Was glaubt ihr, wer gewinnt die Euro League, wer die Champions League?

Jan: Sevilla und Bayern.

90PLUS: Ihr kommentiert die europäischen Finals, viel höher kann man als Kommentator nicht kommen. Gibt es da noch große Wünsche über diese Finals hinaus, die ihr euch erfüllen wollt?

Uli: Über dem Europa-League-Finale steht das Champions-League-Finale, sorry Jan. Dafür werde ich auch weiterhin alles tun. Das bleibt ein Ziel in meinem Leben. Aber auch das ist am Ende nur ein Checkpoint. Am Ende geht es mir darum, dass ich der Beste bin, der ich sein kann. 

Jan: Über dem Champions-League-Finale steht wohl das WM-Finale. Aber da müssten unsere Rechtehändler erst einmal zuschlagen. Ich bin froh, wie die letzten Jahre gelaufen sind. Mal gucken was kommt, ich freue mich auf viele weitere Jahre bei DAZN. 

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Julius Eid

(Photo by INA FASSBENDER/AFP via Getty Images)

Julius Eid

Seit 2018 bei 90PLUS, seit Riquelme Fußballfan. Gerade die emotionale Seite des Sports und Fan-Themen sind Julius‘ Steckenpferd. Alleine deshalb gilt: Klopp vor Guardiola.


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