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BVB | Danke, Lucien: Die zwei Seiten der Favre-Ära

14. Dezember 2020 | Spotlight | BY Damian Ozako

Borussia Dortmund hat Lucien Favre entlassen. Es war eine Zusammenarbeit, die sehr vielversprechend war, dies auch oft zeigte, aber aufgrund unterschiedlicher Haltungen in die Brüche ging. Der BVB kann dennoch zufrieden mit der Arbeit des Schweizers sein. Ein Kommentar.

BVB: Schmerzhafte Niederlage gegen den VfB

1:5 im eigenen Stadion gegen einen Aufsteiger. Bei allem Respekt vor dem VfB Stuttgart, der eine tolle Entwicklung unter Matarazzo zeigt und eine extrem starke Saison spielt, darf das Borussia Dortmund nicht passieren. Die Ära Favre ist implodiert und das auf eine schmerzhafte Art und Weise. Dortmund hat gegen eine junge Mannschaft verloren, die viele Fehler begeht, aber diese für ihre Stärken in Kauf nimmt. Woche für Woche geht Stuttgart ein hohes Risiko ein, spielt offensiven Fußball und glaubt an sich und die eigenen Stärken. Die Schwaben erzwingen quasi ihr Glück, glauben an ihren Plan und dass dieser ihnen Erfolg einbringt. Das Kollektiv gibt nie auf.

(Photo by Focke Strangmann – Pool/Getty Images)

Alles Eigenschaften, die BVB-Fans gerne bei ihrer Mannschaft sehen würden und einst auch jedes Wochenende in der Bundesliga beobachten konnten. Dumme, haarsträubende Fehler und hergeschenkte Spiele, aber als Ausgleich auch sensationelle Duelle, in denen Konkurrenten und teilweise internationale Schwergewichte an die Wand gespielt wurden. Die Niederlage gegen Stuttgart tat so weh, weil man gegen ein Team verloren hat, das den Klub an die eigene, jüngere Vergangenheit erinnerte. 

Favre: Zu rational für Borussia Dortmund

Die Gegenwart sieht leider anders aus. Unter Favre wurde zunehmend immer rationaler agiert. Zu rational für die Ansprüche des Vereins. Der BVB hat derzeit wohl den besten Kader der jüngeren Vereinsgeschichte, hat mehr Talente als man zählen kann. Spieler, die eigentlich auf den Gegner losgelassen werden und temporeichen, intensiven Offensivfußball spielen müssten. Stattdessen gibt es Magerkost und viel Geduld. Letzteres ist wichtig, vor allem bei der Anzahl an Spielen, die absolviert werden müssen und den so vielen jungen, noch nicht fertig entwickelten Spielern.

Aber zuletzt gab es davon zu viel. Viele BVB-Fans dürften wohl eher damit leben können, auch mal ein Spiel auf naive Art und Weise herzuschenken, aber dafür regelmäßig unterhaltsame Siege einzufahren. Ständig mit Bauchschmerzen den Fernseher einzuschalten, weil ein Auswärtsspiel bei einem Klub aus dem unteren Tabellendrittel ansteht, ist ein Zustand, der müde macht. Es darf nicht sein, dass man trotz Reus, Haaland, Sancho, Hummels, Hazard und Co. mit Sorgen auf eine Partie bei einem Abstiegskandidaten blickt. Und dennoch war dies seit der Rückrunde 2018/19 unter Favre der Fall. 

BVB und Favre: Unterschiedliches Auftreten

Die Vereinsführung strahlte nach der Debütsaison von Favre eine große Lust aufs Gewinnen aus. Endlich wieder näher am FC Bayern. Endlich wieder Chancen auf Titel. Der Klub verpflichtete Hummels, Brandt, Schulz und Hazard. Später noch Haaland und Emre Can. Borussia Dortmund schenkte Favre einen Ferrari und dieser fuhr mit ihm so, als wäre er ein Opel Corsa. Zumindest in viel zu vielen Partien der Saison. Woche für Woche sah jeder Fußballfan, welch großes Potenzial in dieser Mannschaft steckte. Vielleicht hatten gegnerische Fans tatsächlich Respekt, wenn der BVB zum Auswärtsspiel antrat, aber nach wenigen Minuten kam dann doch der Gedanke, „Die kann man schlagen“. Das darf erst gar nicht passieren und dennoch war dies regelmäßig der Fall. 

Foto: Imago

Der Klub hatte bzw. hat immer noch große Ambitionen. Die Lust auf Titel war in den vergangenen Jahren selten größer. Aber dies vereinbarte sich nicht mit der Haltung Favres, der lieber Fehler sowie Risiken minimieren wollte. Ein Angriff auf die Spitze, auf dem Feld und auch im Auftreten war nichts für Favre. Borussia Dortmund brauchte zuletzt Mut und Selbstbewusstsein. Einfach mal nach Rom fahren und Lazio schlagen. Eine Reise nach Augsburg antreten und ohne jede Diskussion gewinnen, auch wenn es unangenehm und intensiv wird. Respekt vor dem Gegner haben, aber gleichzeitig auch an die eigenen Stärken glauben, die es zu genüge gibt. Diesen Eindruck machte der BVB schon länger nicht mehr.

Favre und das Team drehten sich im Kreis. Andeuten des Potenzials, viel Spielwitz, hohe Heimsiege, ein Rückfall und plötzlich wieder Zweifel. Dann wieder überzeugende Auftritte, eine Serie, die gestartet wird und das Spiel geht von vorne los. Es gab zwei Seiten der Favre-Ära. Die negative, die sich in Duellen mit schwächeren Klubs und bei Auswärtspartien zeigte, verhinderte Titel. Das Ende der Zusammenarbeit war unvermeidbar. Der BVB muss wieder träumen können und das war mit Favre nicht mehr möglich. Mit Edin Terzic hat Dortmund intern einen Trainer, der dazu fähig ist und auch im Verein verwurzelt ist.

Favre: Große Verdienste für den BVB

Und dennoch: Borussia Dortmund kann froh sein, sich auf eine Zusammenarbeit mit Lucien Favre eingelassen zu haben. Natürlich gab es Momente, in denen sich nach einer Trennung gesehnt wurde. Aber nach turbulenten Jahren war es seine Rationalität und Geduld, die dem Verein gut getan haben. Der Anschlag auf die Mannschaft, das unrühmliche Tuchel-Ende, die schwierige Saison unter Bosz und Stöger: Dass der BVB sich jedes Jahr souverän für die Champions League qualifizierte, ist alles andere als selbstverständlich gewesen. Der Verein war vor Favre auf dem Weg, die harte Arbeit der vergangenen Jahre in den Sand zu setzen. Jetzt ist der BVB dank Favre stabil und hat eine vielversprechende Zukunft vor sich. Für den nächsten Schritt ist er nicht mehr der richtige Mann. Leider. Menschlich ist der 63-Jährige über alle Zweifel erhaben. Es tut weh, ihn so gehen zu sehen, aber es war notwendig. 

Danke, Lucien. Danke für einen beruhigten Verein, der mit Optimismus in die Zukunft blicken kann. Mit etwas Abstand werden auch die BVB-Fans, die derzeit froh über deinen Abgang sind, erkennen, dass du über weite Strecken gute Arbeit geleistet hast. Manchmal passen Beziehungen nicht perfekt. Es sollte nicht sein, aber es war sicherlich nicht alles schlecht. 

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Damian Ozako

(Photo by INA FASSBENDER/AFP via Getty Images)

Damian Ozako

Als Kind von Tomas Rosicky verzaubert und von Nelson Haedo Valdez auf den Boden der Tatsachen zurückgebracht worden. Geblieben ist die Leidenschaft für den (offensiven) Fußball. Seit 2018 bei 90PLUS.


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