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Brandt, Hazard & die neue BVB-Offensive – wer spielt wo?

24. Juni 2019 | Spotlight | BY David Theis

Im noch jungen Transfer-Fenster hat der Vizemeister bereits für Furore gesorgt. Michael Zorc wird unter anderem für seine neue “Flügelzange” von den Anhängern gefeiert. Doch wie wird diese Zange das schwarzgelbe Spiel beeinflussen? Wie könnte Favre planen? Und wer soll noch gehen?

Wie spielt Brandt?

“Brandt ist ein überaus komplett veranlagter Offensivspieler. Zukunftsweisend ist, wie gut er das Spiel mit Ball und das Spiel ohne Ball verbindet. Könnte er nicht dribbeln, er wäre immer noch ein hervorragender, torgefährlicher Angreifer, man würde ihn vielleicht mit Thomas Müller vergleichen. Wäre er nicht so schnell und torgefährlich, wäre er immer noch ein hervorragender Kombinationsspieler und Engendribbler.”

Martin Rafelt, Spielverlagerung

Ein Zitat, dem ich nur zustimmen kann. Julian Brandt, allein deshalb darf Dortmunds Königstransfer als “Schnäppchen” betrachtet werden, kann eigentlich alles. Jedoch bringen Stärken-Profile wie das brandt’sche immer eine Gefahr mit sich: Den (Trug-)Schluss, wer alles kann, könne auch jede Position gleich gut ausfüllen. Fraglos ist Vielseitigkeit ein starkes Argument FÜR einen Spieler – doch wenn Brandt richtigerweise davon spricht, in Dortmund den “nächsten Schritt” (in seiner Entwicklung) gehen zu wollen, heißt das auch: Die bestehende Fähigkeiten-Breite erhalten – doch gleichzeitig Spezialgebiete bis zur Perfektion weiterentwickeln. (Unternehmensberater würden hier vom “T-förmigen Mitarbeiter” sprechen.) “Perfektion” heißt also: Brandt sollte, trotz der taktischen Variabilität, die er Lucien Favre erlauben wird, auf wenige Positionen/Rollen festgelegt sein. Das Konzept seines Teams sollte in puncto Raumaufteilung weitestgehend um diese Rolle herumwachsen. Das heißt nicht, dass Brandt sofort der “Chef” sein muss. Aber wohl, dass Favre schnell herausfinden sollte, wo Brandts Profil dem BVB am meisten weiterhilft. Aufgrund der Belegung der anderen beiden Positionen der offensiven Dreierreihe (Reus & Sancho) wird es vermutlich auf Folgendes hinauslaufen: Der linke Flügel als feste Heimat (mit Guerreiro wird der bisherige Stammspieler den Verein verlassen), Reus’ verkappte 10 als Zweitwohnsitz.  

(Photo Cerdit: Dean Mouhtaropoulos/
Getty Images Sport)

Statist & Hauptdarsteller in einem

Was Brandt (noch) besser macht als sein portugiesischer Vorgänger: Er läuft häufiger aggressiv in die „Tiefe“, also den Raum hinter einer Verteidigungslinie des Gegners. Und das nicht nur, um dort selbst den Ball zu erhalten, sondern auch um Platz für Laufwege des Nebenmanns zu schaffen. BVB Fans werden nun Marco Reus vor ihrem inneren Auge sehen, wie er unbehelligt durch die gegnerische Viererkette sprintet. Jedoch dürfte Borussias Spielaufbau fast noch mehr von einem Kollegen profitieren, der pressende Gegner ins Niemandsland lockt. Sollte Mo Dahoud unter Favre noch eine Chance erhalten, könnte vor allem er, als offensiver 8er, Brandts „Raumdeutung“ gut gebrauchen. Dass Brandt selbst Dahouds Rolle ausfüllt, ist aufgrund seiner bisher verhaltenen Defensivarbeit eher unwahrscheinlich. Dasselbe Argument spricht dafür, dass auch Reus‘ 10 nur eine Nebenposition für ihn bleiben dürfte.

Noch besser ist Brandt natürlich mit dem Ball. Hier ist es nicht nur seine Technik, die ihn außergewöhnlich macht, sondern sein Gefühl für Raum und (gegnerische) Bewegungen. Schon Art und Zeitpunkt der Ballmitnahme sind bei Brandt ein Teil des Zweikampfs: Als Meister der Körpertäuschung versteht er es exzellent, Laufrichtung und Geschwindigkeit seines Gegners zu seinem (Raum-)Vorteil zu nutzen. Diese 1vs1-Fähigkeiten sind natürlich vor allem bei Flügelspielern enorm gefragt. Dass Favre derlei Skills in (vermeintlich) isolierten Räumen für unverzichtbar hält, ist ohnehin bekannt.

Ein Spieler, der zwei Gegner durch ein Dribbling eliminiert und dann einen feinen Pass spielt, das ist der Sinn des Kollektivs. Für mich ist es notwendig, Spieler in seinen Reihen zu haben, die dribbeln können, weil sie jederzeit den Unterschied machen können. Den Unterschied nur mit Pässen zu machen, ist fast unmöglich.

Favre im Gespräch mit Socrates

Was also dürfen BVB-Fans von ihrem Königstransfer erwarten? Müsste ich es in einem Satz zusammenfassen, würde ich es wie folgt formulieren: Stellt euch Guerreiros Kombinationsspiel und seine Finten vor – bloß mit mehr Wucht, mehr Zug zum Tor und besseren offensiven Laufwegen.

Wie spielt Hazard?

In den letzten Wochen entzündeten sich vor allem an einer Frage intensive Debatten: Ist Hazard nun ein guter Dribbler oder nicht? Fest steht: Er ist einer der 4 besten Bundesligisten, wenn es um „abgeschlossene Dribblings pro Einsatz“ geht. Hier lautet die Rangfolge: Sancho (3.3), Coman (2.9), Demirbay/Hazard (je 2.2). Mit seinem Wert wäre Hazard in England noch immer an Position 5 (Platz 1: ein anderer Hazard, 3.7), in Spanien an Position 8 (Platz 1: Duweißtschonwer, 3.9). Es kommt jedoch nicht nur darauf an, ob ein Spieler ein Dribbling gewinnt. Sondern auch darauf, wann. Und: Wie viele gescheiterte Dribblings der Spieler produziert. Letztere Statistik spricht klar für Hazard: Er wartet mit einer Erfolgs-Quote von 52.6% auf (Brand: 51.4, Sancho: 57.8). Beim „Wann“ jedoch wird es schwerer. Denn Hazard, das ist relativ offensichtlich, kann seinen Stil erfolgreicher praktizieren, wenn Platz und Tempo im Spiel sind. Dies unterscheidet ihn klar von Sancho und Brandt und lässt eine Vermutung aufkommen: Seine Rolle beim BVB könnte zunächst der ähneln, die Jadon Sancho in der vergangenen Hinrunde beim BVB inne hatte. Die des Tempodribblers, der auf den Platz kommt, sobald der Gegner erste Konditionsverluste zeigt. Wir sollten uns also auf Folgendes einigen: Hazard ist ein guter Dribbler, aber sicherlich kein Jadon Sancho.

(Photo by Dean Mouhtaropoulos/Bongarts/Getty Images)

Endzonenspieler mit Bonus-Features

Nachdem die Dribbling-Frage geklärt ist, bleibt zu beantworten, um welche Sorte Spieler es sich bei Hazard eigentlich handelt. Oder genauer: Ist dieser Tempodribbler auch ein Kreativspieler? Spielt man ihn besser im vollen Lauf an – oder wird er Favres Team auch dann weiterhelfen, wenn es sich wieder mal vor dem Strafraum eines mit Mann und Maus verteidigenden Gegners eingenistet hat? Auch hier liest sich Hazards Statistik (nur) auf den ersten Blick überragend: Mit 2.2 Key-Passes (also Pässen, die direkt zu einem eigenen Torschuss führten) pro Spiel ist Hazard in der Top-7 der Bundesliga vertreten (Spitzenwert: Demirbay mit 3.1). Doch gilt es anzumerken, dass diese Werte vor allem in Umschaltsituationen entstanden sind – nicht in solchen, in denen ein „Geniestreich“ her musste, um den gegnerischen Defensiv-Verbund zu überwinden. Hazard ist eher der Spieler, der am Ende eines solchen Geniestreichs den Ball quer legt, sehr präzise flankt, abschließt oder einen Gegner aussteigen lässt.

„Favre ist der perfekte Trainer für mich!“

Thorgan Hazard

Das mindert seine Qualität nicht, denn es ist schwer, die richtigen Laufwege hierfür zu wählen und gut eingeleitete Aktionen auch präzise abzuschließen. „Abschließen“ scheint denn auch das Stichwort im Bezug darauf zu sein, was der BVB sich vom neuen Flügelspieler erhofft. Damit ähnelt Hazards Offensiv-Profil am ehesten dem von Marco Reus. Vor allem in einem Punkt: Hazard braucht quasi keinen Anlauf, um seine Höchstgeschwindigkeit zu erreichen und ist – wie auch Reus – ein Meister der Ballmitnahme. Der BVB verfügt nun über einen weiteren Spieler, der auch kleinste Raumgewinne sofort zu seinem Vorteil zu nutzen weiß.

Allerdings deuten diese Qualitäten Hazards darauf hin, dass er eher als sehr gute Ergänzung zum vorhandenen Spielermaterial auf den Flügeln gedacht sein dürfte. Insofern ist die spannendste Frage im Bezug auf Dortmunds Wunschspieler wohl „Was unterscheidet Hazard von Sancho, Guerreiro und Brandt?“ Hier ist neben seinem Angriffsstil fraglos sein Defensiveinsatz zu nennen. Er hat jeweils mehr als doppelt so viele Defensivzweikämpfe wie seine künftigen Kollegen geführt – und dabei mit 66,7% Erfolgsquote eine deutlich bessere Bilanz eingefahren. Dasselbe gilt für abgefangene Bälle: Hazard überragt Brandt, Sancho und selbst den gelernten Außenverteidiger Guerreiro um Längen.

Fazit

Brandt und Hazard verkörpern, ihre Fähigkeiten-Profile und ihre Rollen im üppigen BVB-Kader betreffend, zwei denkbar unterschiedliche Ansätze: Brandt ist als „Ersatz“ für den scheidenden Guerreiro eine Entwicklung in die Tiefe – Hazard als Tempospieler mit hoher Grundaggressivität eine Entwicklung in die Breite. Der Eine dürfte sofort unangefochtener Stammspieler werden – der Andere die überbeanspruchten Reus und Sancho entlasten.

David Theis

War schon ein Fußball-Nerd bevor es Laptops gab. Schläft mit einer Ausgabe von "Der Schlüssel zum Spiel" unterm Kopfkissen. Seit 2017 bei 90PLUS.


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