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Borussia Dortmund in der Krise: Was läuft beim BVB falsch?

24. Oktober 2019 | Spotlight | BY Damian Ozako

Spotlight | Borussia Dortmund durchlebt eine fußballerische Krise. Doch woran hakt es genau und wie sollte der Verein reagieren? Unsere Redakteure Julius Eid und Damian Ozako haben sich genauer mit dem BVB auseinandergesetzt. 

Die bisherige Saison

Borussia Dortmund hat vor der Saison offensiv verkündet Meister zu werden und die Öffentlichkeit hat der Favre-Elf durchaus Chancen in ihrem Bestreben zugesprochen. Man war gespannt wie sich der BVB in der laufenden Spielzeit zeigen würde. Im Dortmunder Umfeld herrschte Euphorie, die jedoch sehr früh gebremst wurde. Man gewann den Supercup gegen Bayern mit 2:0, aber wirklich viel Aussagekraft hat dieses Spiel nie. Es folgten Siege im DFB-Pokal (2:0 gegen Uerdingen) und in der Bundesliga (5:1 gegen Augsburg und 3:1 in Köln). In all diesen Partien wackelte Dortmund eine gewisse Zeit lang. Insbesondere der Auftritt in Köln war schwach und eines Meisterschaftskandidaten nicht würdig. Dort gewann man nur aufgrund der individuellen Qualität. Es zeichnete sich ab, dass der BVB aus der vergangenen Rückrunde nicht lernte. Fortschritt war nicht erkennbar. 

Den überfälligen Denkzettel verpasste den Dortmundern dann Aufsteiger Union Berlin. An der Alten Försterei gab es eine verdiente 1:3-Niederlage. Aggressives Anlaufen, eine gute Staffelung und eine nötige Physis im Spiel der Berliner reichte dafür. Wie kann es sein, dass eine derart begabte Mannschaft sich so einfach aus dem Rhythmus bringen und besiegen lässt? Nach der Länderspielpause folgten die einzig wirklich überzeugenden Auftritt der Saison, als man Bayer Leverkusen mit 4:0 schlagen konnte und Barça dominierte, aber den Sieg liegen gelassen hat. Trotzdem sollte so ein Auftritt den Profis Mut machen. Falsch gedacht: Gegen Frankfurt, Bremen und Freiburg spielte man in der Liga jeweils 2:2 und in Prag siegte die Favre-Elf sehr schmeichelhaft mit 2:0. 

(Photo by Maja Hitij/Bongarts/Getty Images)

Gegen Mönchengladbach gewann man zuletzt knapp mit 1:0 um dann in Mailand (0:2) den nächsten grausigen Auftritt hinzulegen. Mittlerweile herrscht in Dortmund Tristesse. Man hat den besten Kader seit Ewigkeiten, aber davon sehen die Fans auf dem Spielfeld kaum etwas. Gute Leistungen sind absolute Mangelware und das Spiel der Borussen ist von Passivität sowie Angst geprägt. Man gibt den Gegnern nie das Gefühl nichts gegen den BVB holen zu können. Die Euphorie aus dem Sommer ist längst verflogen.  

Die Neuzugänge – Nicht alles klappt

Die früh verkündeten Transfers von Nico Schulz aus Hoffenheim, Thorgan Hazard aus Gladbach und Julian Brandt aus Leverkusen wurden über den Ruhrpott hinaus als echte Coups angesehen. Alle Spieler hatten schon in der Bundesliga bewiesen über ein ordentliches Maß an Qualität zu verfügen. Schulz als Außenverteidiger bediente eine nötige Position, auf der viele Handlungsbedarf sahen, Hazard und gerade Brandt, für 25 Millionen ein echtes Schnäppchen schraubten die Erwartungen an die, auch schon im letzten Jahr gute Offensive, weiter in die Höhe. Und das war noch nicht das Ende. Mit Mats Hummels wurde ein weiterer Rückkehrer nach Dortmund geholt und ein absoluter Veteran in der Defensive, der gerade in der Rückrunde der letzten Saison unterstrich, dass er noch immer auf höchstem Niveau agiert. Bei diesen Namen ging die Verpflichtung des talentierten Rechtsverteidigers Mateu Morey aus Barcelona fast unter.

Doch trotz hoher Erwartungen und Euphorie konnten bis jetzt nur Teile der Neuzugänge überzeugen. Allen voran Mats Hummels. Der Ex-Münchner schien schon in der Vorbereitung fit wie lange nicht mehr und nahm quasi direkt die für ihn gedachte Rolle als Abwehrchef und Leader ein. Spätestens nach einer herausragenden Leistung gegen Barca war klar: Hier hat sich der BVB verstärkt, die in Teilen kritisierte Ablösesumme gerechtfertigt. Und auch Thorgan Hazard ist fester Bestandteil des Teams. Der Belgier wirkt zwar noch des öfteren unglücklich, konnte dennoch bereits 5 Assists in der Liga beitragen und ist im recht häufig statischen Spiel der Dortmunder Offensive Aktivposten. Morey, eher als Lösung für die Zukunft verpflichtet, zeigte in der Vorbereitung bereits, warum ihm ein ausgezeichneter Ruf hervoreilte, eine Verletzung und seine untergeordnete Position in der Hierarchie des Kaders sorgten aber noch nicht für nennenswerte Pflichtspieleinsätze.

(Photo by Jörg Schüler/Bongarts/Getty Images)

Die anderen beiden Neuzugänge, unter anderem auch der heißerwartete Julian Brandt, haben eine deutlich schwerere Zeit. Nico Schulz, als Verstärkung für die defensive Außenbahn gekommen, hatte zwar zu Saisonbeginn seinen Platz sicher, ließ sich aber in der Verteidigung des Öfteren zu Aussetzern hinreißen. Der letzte dieser Art erst im vergangenen Spiel gegen Inter Mailand. Offensiv konnte er trotz seiner Dynamik nicht viel zum Spiel beitragen. Er fiel vor allem durch ergebnislose Hereingaben auf. Nach Verletzungspause steht Schulz nun wieder zur Verfügung, seinen Wert beweisen muss der Deutsche allerdings erst noch. Eine Aussage die man auch über Julian Brandt treffen könnte.

Doch die Situation um den Königstransfer ist etwas vielschichtiger. Zum einen steht fest, dass der junge Offensivmann nicht in guter Form ist. Seine Ballannahmen und -verarbeitungen geraten oft schlampig, sein sonst so kombinationssicheres Spiel will einfach nicht den richtigen Flow finden. Dies liegt in Teilen aber nicht nur an der Form des Spielers. Auch im taktischen System Favres ist Brandt noch nicht angekommen, sucht seine Rolle genauso wie es der Trainer tut. Der Schweizer setzte Brandt auf dem linken Flügel ein und nun, neuerdings, des Öfteren als falsche Neun. Die stärkste Position Brandts ist allerdings die Zentrale. Nicht mit dem Rücken zum Tor, wie auf der falschen Neun, oder auf den Außen, wo ihm das Tempo fehlt. Der ehemalige Königstransfer hat also nicht nur aufgrund eigener Leistungsprobleme Schwierigkeiten anzukommen.

Formschwäche und fehlende Rotation

Dass Neuzugänge manchmal Schwierigkeiten haben sich in neuen Mannschaften zurecht zu finden, ist nicht allzu außergewöhnlich. Umso wichtiger ist es, dass etablierte Stammkräfte souverän auftreten und dem Team Stabilität geben. Das ist in Dortmund zur Zeit nicht der Fall. Neben dem bereits erwähnten Mats Hummels fallen nur noch Axel Witsel und Roman Bürki durch gute Leistungen auf. Es ist sogar so, dass einige Spieler in anhaltenden Krisen befinden. Allen voran ist dabei Manuel Akanji zu erwähnen. Der Schweizer hat gestern in Mailand zum ersten Mal in dieser Saison Minuten verpasst, als er aufgrund taktischer Gründe ausgewechselt wurde. Der 24-Jährige brachte seine Mannschaft schon mit etlichen Patzern in Gefahr und tritt extrem verunsichert auf. Dass nun Weigl in die Innenverteidigung rückte und Akanji als Rechtsverteidiger auflief, obwohl man drei Spieler im Kader hat, die diese Position spielen können, ist schlichtweg unerklärlich.

(Photo by THOMAS KIENZLE/AFP via Getty Images)

Warum der talentierte Zagadou nicht in die erste Elf rutscht, ist nicht zu erklären. Seit seinem schwachen Auftritt in München ist er außen vor. All seine Fortschritte und seine tollen Partien zählen seitdem gefühlt nicht mehr. Dass man mit Leo Balerdi noch einen weiteren Innenverteidiger im Kader hat, vergisst man manchmal. Der junge Argentinier stand seit seinem Wechsel zum BVB noch keine einzige Minute auf dem Platz. Für sein Debüt bei der argentinischen Nationalelf reichte es hingegen schon.

Marco Reus ist auch eher schwach in die Saison gestartet und hat trotz vieler Scorerpunkte kaum überzeugende Auftritte hingelegt. Genauso wie der noch junge Sancho wirkte er teilweise überspielt und müde. Mario Götze schaffte es trotzdem erst zweimal in die Startelf. Seine Auftritte wirkten dabei recht vielversprechend und spielerisch gehört er ohnehin zu den besten Akteuren im Kader. 

Dem Dortmunder Spiel fehlt es an Dynamik und mit Mo Dahoud haben die Borussen einen Spieler, der genau dies zu bieten hat. Trotz guter Auftritte schafft es der 23-Jährige nicht dauerhaft in die erste Elf. Gegen Bremen war er der beste Spieler auf dem Platz und wird vom Schweizer Trainer ausgewechselt und kommt in den darauffolgenden Spielen gar nicht mehr zum Einsatz. Thomas Delaney hingegen ist gesetzt, der seine Rolle zwar erfüllt, aber sehr limitiert agiert. Insbesondere was die Offensive betrifft. Als Bankspieler hat man es unter Favre nicht leicht, denn wirklich viel läuft auf dem Platz nicht zusammen, aber der Trainer setzt nicht auf Impulse von der Bank. Das muss für Akteure wie Zagadou, Götze, Dahoud und viele andere sehr frustrierend sein. Favres Rotationsverhalten wirft Fragen auf. 

(Photo by Maja Hitij/Bongarts/Getty Images)

Die Probleme des Herrn Favre

Taktisch gesehen ließ sich lange wenig Neues über den BVB berichten. Seit Ankunft Favres setzt die Borussia auf ein 4-2-3-1-System, beide dabei aufgestellten Sechser bringen dabei meist eher defensive Qualitäten mit. Axel Witsel ist hierbei Dreh- und Angelpunkt, beziehungsweise war es in der erfolgreichen Hinrunde des letzten Jahres. Denn in dieser Phase schien der Spielaufbau Dortmunds über die Zentrale wie gewünscht zu funktionieren. Der extrem ballsichere Belgier kontrollierte das Spielgeschehen fast schon im Alleingang. Etwas, was auch den Gegnern zunehmend auffiel, und wie es im Spiel der Taktik so ist, wurde hierfür ein Gegenentwurf geschaffen. Ausnahmslos jeder Gegner auf den Dortmund trifft, unterbindet mittlerweile die Anspielstationen auf der Sechser-Position, zwingt die Innenverteidigung zum Spielaufbau oder, so wie es zum Beispiel Köln tat, setzt sogar diese unter Druck und lässt nur die minder spielstarken Außenverteidiger Dortmunds als Spielmacher zurück. Eine Ausgangssituation, die die offensive Spielfreude des BVB deutlich hemmt. Mit Spielern ausgestattet, die am liebsten ansehnlichen Kombinationsfußball spielen wollen, sind die langen Bälle aus der Verteidigung kein gutes Mittel um diese Stärken auszuspielen. Die Schaltzentrale im Mittelfeld ist seit längerem keine mehr, die diese Bezeichnung verdient und Favre scheint noch immer keine Lösung gefunden zu haben die Offensivmaschine wieder ins Rollen zu bekommen.

Denn nach einer längeren Phase der taktischen Stagnation und lauter werdender Kritik zeigte sich der Schweizer, wie von vielen Fans gewünscht, in den letzten Partien deutlich expermentierfreudiger. Schon gegen Gladbach spielte man teilweise in einer improvisierten Dreierkette, Rechtsverteidiger Akanji nahm hierbei die Position des dritten Innenverteidigers ein. Die viel kritisierte, tiefe 4-4-2 Staffelung im Ballbesitz des Gegners wurde modifiziert. Denn Dortmund stand erkennbar höher im gegnerischen Ballbesitz, suchte öfter das direkte Gegenpressing und vor allem auch Pressingsituationen auf Höhe der Mittellinie. Der BVB schien aggressiver und die Spielweise dem Team zu liegen. Dass es am Ende der Partie wieder zittrig wurde, kann man wohl eher dem mangelnden Selbstbewusstsein der Spieler als der taktischen Idee Favres ankreiden, der bis zum Schluss an der Seitenlinie klarmachte, dass man höher stehen sollte.

(Photo by INA FASSBENDER/AFP via Getty Images)

Und auch gegen Inter Mailand erwartet den Zuschauer einiges an taktischer Flexibilität. Die in Teilen erprobte 3er-Kette des Vorspiels wurde zur Grundausrichtung, der wohl größte taktische Kniff in Favres Amtszeit. Und es war ein sinnvoller. Gegen das Sturmduo Lukaku/Martinez einen weiteren Innenverteidiger aufzubieten, um die Wucht abzufangen, ein sinnvoller Ansatz. Doch ein individueller Fehler von Nico Schulz machte die defensive Ausrichtung zu nichte, man kassierte ein Tor. Dennoch ließ man Inter nicht viel vom Spiel, dominierte den Ballbesitz und geriet selten in Gefahr. Die defensive Idee stimmte also. Doch sie hemmte im Gegenzug weiter die, eh schon, lahmende Offensive. Der Spielaufbau lag komplett bei den beiden Außenspielern Schulz und Hakimi, die mit dieser Aufgabe wenig anzufangen wussten. Favre reagierte im Verlauf des Spiels und brachte Dahoud, Guerreiro und Bruun Larsen, um auf ein 4-3-3 umzustellen: Eine weitere sinnvolle Maßnahme die offensiv wirkungslos verpuffte.

Favre zeigt sich also bereit Teile seiner Ausrichtung zu verändern und stabilisiert dabei durchaus die Defensive, die extrem an individuellen Wacklern krankt. Doch eine Weiterentwicklung im Prunkstück Dortmunds, der Offensive, bleibt auf der Strecke. Solange Favre keinen Weg findet, den zweifelsohne begabten Spieler wieder Kombinationsfußball zu ermöglichen, wird die Kritik an ihm nicht abnehmen. Gerade in Dortmund, wo man ein Spektakel manchmal mehr schätzt als drei Punkte.

Titelambitionen zu hoch?

Nun kann man natürlich darüber streiten, ob es ein Fehler war vor der Saison so offensiv zu verkünden, dass man um den Titel kämpfen will, aber das ist im Endeffekt vollkommen irrelevant. Insbesondere, weil sich Dortmund noch in allen Wettbewerben voll im Rennen liegt: Man liegt einen Punkt hinter der Spitze in der Liga, punktgleich mit dem Konkurrenten aus München. Noch ist man im DFB-Pokal vertreten und auch in der Champions League gibt es beileibe noch die Chance ein Weiterkommen zu sichern. Aber für ein Team, das Meister werden will, ist das alles viel zu wenig. Zu wenig Risiko und Bewegung im Offensivspiel, viel zu große Passivität im Spiel und offensichtliche Angst vor dem Verlieren. Das eigentliche Problem dieser Entwicklung: Es ist nicht überraschend. Seit der Niederlage in Düsseldorf am 18.12.18 ist das Spiel des BVB so. Alle haben es gesehen und keiner hat reagiert. Borussia Dortmund macht schon im gesamten Kalenderjahr 2019 keinen Spaß mehr. Das enorme Potenzial dieser Mannschaft wurde kaum genutzt. Ein Topteam war die Favre-Elf nur in der Hinrunde der vergangenen Saison. Watzke und Zorc wussten worauf sie sich einlassen, als sie den Schweizer verpflichteten und genau das haben sie, im positiven wie auch negativen Sinne, auch bekommen.

(Photo by Emilio Andreoli/Getty Images)

Was kommt?

Wie bereits schon erwähnt, ist man in allen Wettbewerben trotz der spielerischen Misere noch im Soll oder zumindest hat man es noch selbst in der Hand sich in eine bessere Situation zu bringen. Das Problem: All dies könnte schnell kippen und in eine handfeste Krise werden. Die nächste Pokalrunde steht genauso an, wie das Rückspiel gegen Inter Mailand. Auch in der Liga warten keine leichten Aufgaben auf die Favre-Elf. So uninspiriert wie man sich offensiv zeigt, so unzufrieden wirken mittlerweile große Teile des Umfeldes. Nur überzeugende Siege in den nächsten Wochen sollten Favres Zukunft in Dortmund noch sichern können. Ansonsten wird es zum Bruch kommen. Und wenn die nächsten Spiele dazu Anlass geben, kann schon viel verloren sein. So paradox es also für viele Kritiker klingen mag: Als Fan sollte man hoffen, dass Favre noch lange bleibt. Er wäre nämlich erst dann weg, wenn die Saison schon zum Großteil verloren ist. 

Julius Eid und Damian Ozako

(Photo by Maja Hitij/Bongarts/Getty Images)

Damian Ozako

Als Kind von Tomas Rosicky verzaubert und von Nelson Haedo Valdez auf den Boden der Tatsachen zurückgebracht worden. Geblieben ist die Leidenschaft für den (offensiven) Fußball. Seit 2018 bei 90PLUS.


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