Spotlight

Ajax | Wer sind die Erben von de Jong und de Ligt?

31. Oktober 2019 | Spotlight | BY Kilian Thullen

Spotlight | In der vergangenen Saison begeisterten sie ganz Europa: Matthijs de Ligt und Frenkie de Jong. Nun spielen beide bei internationalen Top-Teams und haben in Amsterdam eine Lücke gerissen, die nur schwer zu füllen ist.

Ajax kassierte 160 Millionen Euro für de Ligt und de Jong

Ajax Amsterdam war das große Überraschungsteam der vergangenen Saison. Unter Trainer Erik ten Hag konnte man den ersten Meistertitel seit der Spielzeit 2013/14 einfahren und mit einem 4:0-Sieg über Willem II im Finale des niederländischen Pokals sogar das Double einfahren. Alleine das wäre schon ein sensationeller Erfolg für den Traditionsverein, die größte Sensation war jedoch das Erreichen des Halbfinals der Champions League. Nachdem man die Gruppe E mit den Bayern, Benfica und AEK Athen ohne Niederlage überstand, eliminierte man zuerst Real Madrid und dann Juventus Turin. Im Halbfinale gegen Tottenham sah alles nach einer Fortsetzung des Fußballmärchens aus, ehe Lucas Moura in der 96. Minute tief ins Herz aller Ajax-Fans traf und das Aus der Niederländer besiegelte.

(Photo by JOHN THYS / AFP / Getty Images)

Doch wie konnte ein Verein, der seit der Saison 2005/06 zum letzten Mal in die K.O.-Phase der Champions League einzog und keineswegs über ein mit den Top-Teams vergleichbares Etat verfügt, überhaupt so weit kommen? Die Erfolge dieses Teams sind nicht mit Fußballfloskeln wie „Sie hatten einen Lauf“ oder „Sie waren hungriger als der Gegner“ zu erklären. Vielmehr sind sie eine Kette von richtigen Entscheidung, die bei der Verpflichtung von Erik ten Hag als Nachfolger von Marcel Keizer beginnt und sich bis hin zu der enorm starken Nachwuchsarbeit streckt, die seit Jahren in Amsterdam geleistet wird. Genau diese Talentförderung in „De Toekomst“, wie die Nachwuchsakademie von Ajax auch genannt wird, brachte zwei Säulen des Erfolgs der letzten Saison hervor: Frenkie de Jong und Matthijs de Ligt. Doch solch ein Erfolg weckt freilich Begehrlichkeiten größerer Klubs und so ist es kein Wunder, dass Ajax im Sommer rund 160 Millionen Euro für die beiden Spieler kassierte.

Doch trotz dieser herben Verluste steht die Mannschaft von Erik ten Hag auch in dieser Saison wieder an der Spitze der Eredivisie und führt in der Champions League punktgleich mit dem FC Chelsea die Gruppe H an. Wie ist es den Verantwortlichen wieder einmal gelungen, mit geringen Mitteln (lediglich 58 Millionen Euro wurden reinvestiert) Spieler zu verpflichten, die in solch große Fußstapfen treten müssen und das erfolgreich meistern?

Ajax‘ Fokus auf südamerikanische Talente

Als besonderer Glücksgriff hat sich der Transfer von Lisandro Martinez erwiesen, der für 7 Millionen Euro vom argentinischen Klub Defensa y Justicia verpflichtet wurde. Der Linksfuß wurde ursprünglich als Innenverteidiger eingeplant, kommt seit einiger Zeit aber als Sechser zum Einsatz, was seine Qualitäten deutlich hervorhebt. Martinez ist ein sehr eleganter Spieler, der über ein überragendes Passspiel und eine starke Technik verfügt. Zudem besitzt er, ähnlich wie Frenkie de Jong, die Gabe, dass er intuitiv die richtigen Räume besetzt, die er mit seinem starken Spielverständnis auch zu nutzen weiß. Auch gegen den Ball überzeugt der Argentinier, indem er bereits jetzt das intensive Pressing unter ten Hag verinnerlicht hat und sowohl im Timing als auch in der Intensität des Pressings häufig richtige Entscheidungen trifft.

(Photo by Dean Mouhtaropoulos/Getty Images)

Ebenfalls als Innenverteidiger verpflichtet und als Sechser eingesetzt wird Edson Alvarez, der für 15 Millionen Euro vom CF America gekauft wurde. Der Mexikaner ist im Gegensatz zu Martinez in kreativen Belangen eher limitiert, weiß aber durch eine hohe physische Präsenz zu überzeugen. Gerade im Zusammenspiel funktionieren sie daher sehr gut, da Alvarez als Box-to-Box-Spieler die Spielmacherqualitäten des Argentiniers perfekt ergänzt. Im Spiel mit dem Ball muss sich der Linksfuß jedoch noch etwas steigern, er agiert zuweilen etwas unglücklich und hat Probleme, das anspruchsvolle Kombinationsspiel der Niederländer umzusetzen.

De Ligt-Ersatz aus den eigenen Reihen

Den freigewordenen Platz in der Innenverteidigung besetzt derweil Joel Veltman, der nach langer Verletzung in der vergangenen Saison nun wieder an seiner Leistungsgrenze agieren kann. Im Gegensatz zu de Ligt besticht er weniger durch seine enorme Wucht und sein Stellungsspiel, sondern überzeugt durch einen starken Spielaufbau und eine gute Technik.

Während ein alter Bekannter also den Platz von Matthijs de Ligt einnimmt, wird die Bürde Frenkie de Jong zu beerben auf mehrere Schultern verteilt. Einmal mehr wurde sich dabei, wie schon bei David Neres und Nicolas Tagliafico, am südamerikanischen Markt bedient. Im Gegensatz zum europäischen Markt sind Talente von argentinischen und brasilianischen Klubs häufig für geringe Summen verfügbar, was sie besonders attraktiv macht. So wurden mit Lisandro Martinez und Edson Alvarez zwei Spieler verpflichtet, die mit relativ großer Sicherheit gewinnbringend wieder verkauft werden können. Vor allem aber bringen sie Qualitäten mit, die der Mannschaft durch die namhaften Abgänge abhanden gekommen sind.

Einmal mehr wurde in Amsterdam ein gutes Händchen und vor allem ein funktionierendes Scoutingsystem eindrucksvoll unter Beweis gestellt.

Kilian Thullen

(Photo by Michael Steele/Getty Images)

Kilian Thullen

Bosz, Rose & Co. im Herzen, die Bundesliga im Blick. Seinen Durst nach Gegenpressing und dynamischem Offensivspiel stillt Kilian vor allem in Deutschland. Seit 2018 bei 90PLUS.


Ähnliche Artikel