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3 Ligen, 3 Brennpunkte – Analysen einer Krise: Teil 3: OSC Lille

25. März 2018 | Spotlight | BY Manuel Behlert

In den europäischen Topligen neigt sich die Saison 2017/18 allmählich dem Ende zu und neben den positiven Überraschungen und den Gewinnern der Saison gibt es traditionell auch die Krisenteams, deren Saison nicht den gewünschten Verlauf nahm und die in den letzten Wochen Lösungen finden müssen, um diese Krise zu bewältigen. Wir beschäftigen uns mit drei Vereinen, analysieren die Problematik und geben eine Prognose, ob die Saison in den letzten Wochen noch irgendwie gerettet werden kann. Im abschließenden 3. Teil geht es um den OSC Lille. 

Die Saison 2017/18 sollte für den OSC Lille eine ganz besondere Spielzeit werden, man wollte, Jahre nachdem man sich mit Spielern wie Eden Hazard, Rio Mavuba und Gervinho einen Namen in Europa machen konnte, eben wieder an die Tür des Europapokals anklopfen. Über ein halbes Jahr und 30 Ligaspiele später ist die Realität eine ganz andere: Lille steht auf dem 19. Tabellenplatz und bangt um den Verbleib in der Ligue 1. Wie konnte es dazu kommen?

Umbruch im vergangenen Sommer

Die vergangene Saison 2016/17 des OSC Lille ist nicht der Rede wert. Am Ende stand Lille auf Platz 11, hatte 10 Punkte Vorsprung auf den Abstiegsplatz und 13 Punkte Rückstand auf Europa. Kurz gesagt, Lille befand sich am Saisonende im absoluten Niemandsland der Tabelle. Das war nicht der Anspruch des Vereins, dementsprechend installierte man im Sommer einen neuen Trainer und startete einen Umbruch, nachdem in der Saison 2016/17 mit Frederic Antonetti, Patrick Collot und Franck Passt gleich drei Übungsleiter im Amt waren.

(Photo by DENIS CHARLET/AFP/Getty Images)

Um den Schritt nach vorne zu gehen installierte der Klub Marcelo Bielsa. Der Argentinier war zuvor bereits Trainer der argentinischen und chilenischen Nationalmannschaft, war auf Vereinsebene zuletzt unter anderem für Athletic Bilbao und Olympique Marseille tätig. Ihn hielt es in seiner Karriere bei einem Vereinstrainerjob nie langfristig bei einem Klub, überdies gilt Bielsa als stur, exzentrisch, aufbrausend und er legt sich regelmäßig mit den Medien an. Aber: Er ist ein ausgewiesener Fußballfachmann, ein exzellenter Taktiker und sollte ein großes Transferbudget zugesprochen bekommen.

Und der Umbruch im Kader begann. Lille lieh Stürmer Ezequiel Ponce von der Roma aus, verpflichtete unter anderem Edgar Ie (3,5 Mio. Euro), Xeka (5 Mio. Euro), Thiago Mendes und Kevin Malcuit (je 9 Mio. Euro), Nicolas Pepe (10 Mio. Euro), Luiz Araujo (10,5 Mio. Euro) und Thiago Maia (14 Mio. Euro). Ein Transferminus von weit über 30 Millionen Euro war in der Bilanz zu erkennen, Lille wurde eine gute Chance auf den internationalen Wettbewerb eingeräumt. Bekanntermaßen funktionierte das überhaupt nicht.

Schlechter Saisonstart, bielsaeske Probleme

Schon zu Saisonbeginn waren Probleme zu erkennen. Die Mannschaft konnte die Vorgaben von Bielsa nicht so schnell umsetzen, wie sich die Verantwortlichen das erhofft hatten. Mit 5 Punkten aus den ersten 5 Spielen wurde der Saisonstart in den Sand gesetzt, doch noch schon man die ausbleibenden Resultate auf die mangelnde Abstimmung im Team. In den kommenden vier Partien konnte Lille nur einen weiteren Punkt einfahren, die Krise war also allgegenwärtig, Marcelo Bielsa begann bereits seine Spielchen mit den Medien und im Hintergrund wurde der Transfersommer zum ebenso großen Problem, ein Zwangsabstieg drohte zwischenzeitlich.

(Photo by VALERY HACHE/AFP/Getty Images)

Zunächst wurde der Verein mit einer Transfersperre belegt, die aufgrund der prekären Situation vor dem Wintertransferfenster alles andere als ideal war. Erlassen wurde das Dekret von der DNCG, der gefürchteten Direction nationale du contrôle de gestion, eine unabhängige Kontrollinstanz, die in regelmäßigen Abständen die wirtschaftliche Tragfähigkeit aller französischer Profiklubs unter die Lupe nimmt. Und mehr noch: Der Verein musste zusätzliche Einnahmen generieren, verkaufte im Winter den nach Straßburg verliehenen Martin Terrier für 11 Millionen Euro zu Olympique Lyon. Damit schien zumindest ein möglicher Zwangsabstieg erst einmal vom Tisch zu sein.

Die Entlassung von Trainer Marcelo Bielsa verlief alles andere als handelsüblich. Denn der 62-jährige Argentinier wurde zunächst „vorzeitig (!) beurlaubt“, später erst offiziell entlassen. Grund dafür war vor allem, dass Bielsa auf 9,5 Millionen Euro an ausstehenden, vertraglich vereinbarten Gehaltszahlungen bestand, ein Vergleich interessierte ihn nicht. Schon zu diesem Zeitpunkt war den Verantwortlichen klar, dass die verbleibende Saison extrem schwierig werden würde. Man ging das Risiko mit Marcelo Bielsa ein und erfüllte ihm scheinbar blind Transferwünsche ohne auf die finanziellen Konsequenzen, gerade bei ausbleibendem Erfolg zu achten.

Weiterhin schwieriger Saisonverlauf

Auch ohne Marcelo Bielsa stellten sich keine Erfolge an. Die Abschlusstabelle der Hinrunde verhieß nichts Gutes, der OSC Lille stand mit 19 Punkten in 19 Spielen auf Platz 18, die Abstiegsgefahr war präsent. Mittlerweile glaubte man im Verein nicht mehr, dass sich alles irgendwie fügen würde, dass die hohe individuelle Qualität der im Sommer eingekauften Spieler es schon richten würde. Ende Dezember wurde Christophe Galtier als neuer Cheftrainer vorgestellt. Galtier war zuvor 8 Jahre beim AS St. Etienne im Amt, wo er mit Höhen und Tiefen konfrontiert wurde, die ein oder andere Krise überwinden musste.

(Photo by PHILIPPE HUGUEN/AFP/Getty Images)

Mittlerweile sind 11 Rückrundenspieltage absolviert und die Situation hat sich keinesfalls verbessert. 9 magere Punkte kamen bisher dazu, der OSC Lille hat zwar nur zwei Punkte Abstand auf Platz 17 (Toulouse) und auch nur vier Zähler Rückstand auf Platz 15 (Strasbourg), doch die Punktausbeute ist absolut enttäuschend, ein großer spielerischer Fortschritt ist nicht zu erkennen und ob alle Spieler im Kader den Abstiegskampf wirklich verinnerlicht haben, darf zumindest angezweifelt werden. Galtier gelang es bisher nicht eine Einheit zu binden, auch wenn er zumindest keine Rücksicht auf eingekaufte Topstars nimmt, Jugendspieler einbindet und viel versucht.

Unruhe, unsichere Zukunft, ablaufende Zeit

Die Unruhe im Klub, die bereits seit Saisonbeginn herrscht, ist ein großer Faktor für die Negativentwicklung. In Lille steht man nun vor einer unsicheren Zukunft, der Abstieg droht, die interessantesten, jungen Spieler könnten im Sommer wechseln, den Verein plagen finanzielle Probleme und wirklich viele Argumente für eine langfristige Anstellung hat Trainer Galtier auch noch nicht sammeln können. Bereits am kommenden Spieltag steht ein Schlüsselduell an, denn dann empfängt Lille den SC Amiens, der auf Platz 16 in der Tabelle steht. Mit einem Sieg würde Lille nach Punkten mit Amiens gleichziehen, bei einem Remis oder gar einer Niederlage würden sich die Probleme nur noch verschlimmern.  Das weitere Restprogramm sieht wie folgt aus: Bordeaux (A), Guingamp (H), Marseille (A), Metz (H), Toulouse (A), Dijon (H), St. Etienne (A). Abgesehen von Marseille spielt der OSC Lille gegen kein Spitzenteam mehr, aber die mentale Belastung wird gerade in den direkten Duellen noch einmal ansteigen. Die Zeit wird knapp, die Spiele immer weniger und im Hintergrund muss mit den vorherrschenden finanziellen Schwierigkeiten bereits zweigleisig geplant werden, ohne großen Spielraum zu haben. Lille wollte hoch hinaus und ist tief gefallen. Den Verein jetzt wieder zu stabilisieren wird eine Menge Zeit in Anspruch nehmen.

 

Manuel Behlert

Vom Spitzenfußball bis zum 17-jährigen Nachwuchstalent aus Dänemark: Manu interessiert sich für alle Facetten im Weltfußball. Seit 2017 im 90PLUS-Team. Lässt sich vor allem von sehenswertem Offensivfußball begeistern.


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