RB Leipzig vs. FC Liverpool: Wer ist hier eigentlich der Favorit?

16. Februar 2021 | Vorschauen | BY Marc Schwitzky

Vorschau | RB Leipzig trifft in der Champions League erstmals auf den FC Liverpool. Noch vor einem Jahr wäre die Favoritenfrage in dieser Achtelfinalbegegnung wohl klar gewesen, doch aufgrund der beeindruckenden Leipziger Konstanz und den strauchelnden Reds ist die Antwort vor dem Hinspiel kompliziert. RB hat realistische Chancen, am Dienstag ein Ausrufezeichen zu setzen.

Anpfiff der Partie ist am Dienstag, 21:00 Uhr, Live bei DAZN (Registriere dich jetzt auf DAZN und erhalte einen Gratismonat).

  • Leipzig hat in der letzten Saison bis ins CL-Halbfinale geschafft
  • Für Liverpool war bereits letztes Jahr im Achtelfinale Schluss
  • Die Reds plagen weiterhin extreme Verletzungssorgen

Vor der Partie zwischen RB Leipzig und dem FC Liverpool haben wir uns außerdem die Einschätzungen von England-Experte Hendrik Buchheister, Freier Journalist für u.a. den Spiegel, die Sportschau und n-tv, eingeholt.

RB Leipzig: Mutig den eigenen Fußball spielen

Es sind besondere Zeiten, auch im Profifußball. Aufgrund von Reisebeschränkungen ist es RB Leipzig nicht möglich, sein Heimspiel im Rahmen des Champions-League-Achtelfinals im eigenen Stadion auszutragen. Die Begegnung mit dem FC Liverpool findet in Budapest statt. „Wir sind jetzt wieder ein wenig länger unterwegs und das Drumherum beeinflusst ein wenig. Aber das gilt für Liverpool ja auch“, kommentierte Trainer Julian Nagelsmann (33) die Umstände recht gelassen. Grund zu einer gewissen Ruhe hat der RB-Coach vor dem Hinspiel durchaus, denn: Leipzig ist gegen den FC Liverpool kein klarer Underdog. „Wenn man die aktuelle Form der Teams sieht, hat Leipzig auf jeden Fall Chancen“, findet auch unser Experte.

Foto: IMAGO

Diesen Status hat sich der Bundesligist über die vergangenen Jahre und vor allem mit der letzten Saison erarbeitet. 2019/20 sind die Sachsen bis in das Halbfinale der „Königsklasse“ eingezogen, ehe gegen Paris Saint-Germain Schluss war. Zuvor hatten die Leipziger mit Tottenham und Atletico Madrid zwei Schwergewichte des europäischen Fußballs geschlagen. Und das ohne eine gravierende Umstellung der eigenen Spielweise. Leipzig trat damals sehr selbstbewusst auf, hielt nicht nur mit, sondern diktierte oft das Spielgeschehen.

Mit dieser breiten Brust will Nagelsmann nun auch Liverpool begegnen. „Wir müssen den Mut haben, unseren Fußball zu spielen. Wir müssen uns natürlich ein Stück weit anpassen, so wie wir das immer tun“, erklärte Nagelsmann. Man müsse aber versuchen, „nicht bloß deren Spielweise zu vermeiden, sondern unsere Art von Fußball auf den Platz zu bringen. Wenn uns das gelingt, haben wir auch gute Chancen, das Spiel zu gewinnen.“

Nagelsmann über Defensiv-Probleme Liverpools: „Das kann Chancen geben!“

Auch die Leistungen in der laufenden Spielzeit können Leipzig Mut machen. In der Bundesliga beeindruckt RB mit einer herausragenden Konstanz, die nur der FC Bayern überbieten kann. Erst drei Niederlagen hat Leipzig kassiert, zuletzt wurde dreimal in Folge gewonnen. Mit fünf Punkten Abstand steht das Nagelsmann-Team, welches die ligaweit beste Defensive stellt, souverän auf Rang zwei. Darüber hinaus haben die Leipziger bereits eine sehr starke Gruppenphase hinter sich, die man drei Punkte vor Manchester United und punktgleich mit PSG auf Platz zwei abschloss. Es war ein weiterer Beweis: Leipzig ist keine Eintagsfliege und kann zu den besten Teams Europas gezählt werden.

Auch der Blick auf den FC Liverpool wird Leipzig weiteres Selbstvertrauen schenken. Der amtierende englische Meister strauchelt schon die gesamte Saison, Verletzungsprobleme und Müdigkeit haben Liverpool viel Qualität gekostet. „Sie spielen immer noch sehr attraktiv. Sie haben bloß nicht mehr diese Chancenverwertung, die sie in der letzten Saison hatten“, findet Nagelsmann, der aber vor allem ein Auge auf die gegnerische Defensive geworfen hat. „Die Innenverteidigung zuletzt mit Jordan Henderson und Fabinho agiert eher wie Mittelfeldspieler“, erklärte der 33-Jährige. Sie sind aggressiv und verteidigen oft weit nach vorne raus und haben vielleicht nicht so den Sicherheitsgedanken, wie gelernte Innenverteidiger. Das kann Chancen geben.“

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„Man muss die Ruhe weg haben im Ballbesitz, da Liverpool extrem presst. Sie werden auch gegen uns frühzeitig Druck machen, da dürfen wir uns nicht zu schade sein, auch mal den langen Ball zu spielen, um nicht in Schönheit zu sterben. Wir werden insgesamt eine gute Mischung finden müssen“, lautet der Matchplan Nagelsmanns. Von ähnlichen Verletzungssorgen wie bei Liverpool kann bei RB keine Rede sein. Nagelsmann wird in Budapest bis auf die wenigen Langzeitausfälle nur Emil Forsberg (29) fehlen.

FC Liverpool: Die Verletztensituation kostet die Saison

„Konstanz“, „gut in Form“ – Attribute, die Leipzig zuletzt auszeichneten, die aber mit Gegner FC Liverpool schon länger nicht mehr in Verbindung gebracht worden sind. Die Reds spielen, kurz gesagt, keine gute Saison. Nach 24 Ligaspielen hat der amtierende Meister nur 40 Punkte auf dem Konto – Platz sechs. Von der Meisterschaft hat man sich in Liverpool aufgrund von 13 Punkten Abstand auf den Tabellenersten schon verabschiedet. Die Gründe für die aktuelle Krise des LFC sind jedoch breit gefächert und machen eben jene deutlich nachvollziehbarer.

„Man kommt an den Verletzten nicht vorbei: die komplette Innenverteidigung fällt aus, darunter Virgil van Dijk (29), der wichtigste Mann im Reds-Gefüge“, erklärt Hendrick Buchheister den wohl schwerwiegendsten Grund für den Leistungsabfall Liverpools. „Dadurch, dass Jordan Henderson (30) und Fabinho (27) in der Abwehr aushelfen müssen und im Mittelfeld fehlen, hat sich die ganze Statik des Liverpool-Spiels verschoben.“ Dass der Verein vor der Saison darauf verzichtet hatte, Verstärkung für die Innenverteidigung zu holen, würde Liverpool nun teuer zu stehen bekommen. Neben Van Dijk fallen auch Joe Gomez (23) und Joel Matip (29) für die Innenverteidigung aus, erst im Winter sind mit Ozan Kabak (20) und Ben Davies (25) neue Leute für diese Position gekommen.

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Auch in anderen Mannschaftsteilen mussten empfindliche Ausfälle verkraftet werden: Neuzugang Thiago (29) fiel lange Zeit aus, Naby Keita (26) fehlt seit Ende Dezember und vor allem der Ausfall von Diogo Jota (24) tut extrem weh. „Die Mannschaft ist offensichtlich überspielt und ausgelaugt, das wird vor allem an den Angreifern sichtbar. Gleichwertigen Ersatz gibt es nicht“, so Buchheister. „Nach der Verletzung von Diogo Jota – den Jürgen Klopp in einem bedeutungslosen Champions-League-Spiel riskierte – stehen nur Xherdan Shaqiri (29) und Divock Origi (25) als Backup zur Verfügung. Beide bedeuten einen Qualitätsverlust.“

Kann Liverpool die Saison über die Champions League retten?

Es ist, bis auf die das erste halbe Jahr in Liverpool, wohl die schwierigste Phase von Jürgen Klopp (53) bei den Reds. Auch weil einige Dinge, die aktuell nicht funktionieren wollen, nicht in seinem Einflussbereich liegen. Die Verletzungssorgen sind unter Pech zu verbuchen, dasselbe gilt für die Chancenverwertung. Der legendäre Dreiersturm aus Mohamed Salah (28), Sadio Mane (28) und Roberto Firmino (29) kommt nicht so tödlich-eiskalt daher wie seit Jahren gewohnt. „Die Drei haben im Grunde drei Jahre durchgespielt und sind platt. Zum ersten Mal leisten sich alle drei zur gleichen Zeit eine Formkrise“, erklärt unser Experte.

„Durch die beschriebenen Verschiebungen im Spiel klappt das Zusammenspiel auf den Außen (links Robertson/Mané, rechts Alexander-Arnold/Salah) nicht mehr wie gewohnt. Außerdem stehen Liverpools Gegner oft tief. Das macht es schwer für die Drei, hinter die Abwehr zu kommen, was ja eigentlich ihre Stärke ist. Diese Qualität lassen sie im Moment nur aufblitzen, zum Beispiel bei der Aktion, die gegen ManCity zum Elfer für Liverpool führte.“

Sieht man die Spiele Liverpools, erkennt man, dass viele Dinge eigentlich weiterhin stimmen. „Die Ergebnisse waren zuletzt nicht gut, aber wir müssen weitermachen. Wir haben keinen schlechten Fußball gespielt“, sagte Klopp, der am Dienstag keinen Favoriten ausmachen kann: „Mit 50:50 kann ich gut leben. Damit hätten wir jede Chance auf den Sieg, mehr brauche ich nicht.“

Eine wirkliche Diskussion um Klopp wäre fehl am Platz, und dennoch geht es für Liverpool mittlerweile in jeder Saison um Titel. Da die Meisterschaft weg sein dürfte, muss die Champions League stärker in den Fokus rücken. „Ihr Fokus liegt jetzt nur noch auf der Champions League. Sie werden versuchen, die negativen Dinge abzuschütteln“, prognostizierte Nagelsmann. Buchheister meint hingegen: „Die Champions League ist eine Möglichkeit, die Saison zu retten, allerdings muss die Mannschaft aufpassen, nicht in der Liga aus den Königsklassen-Plätzen zu rutschen. Deshalb kann sich Liverpool nicht auf die Champions League fokussieren. Das wäre ohnehin nicht Klopps Art.“

„Was Liverpool gegen RB sicher entgegen kommt, ist die offensivere Spielweise des Gegners. Sie dürfte Räume bieten für die schnellen Angreifer. Manchester United hat ja in dieser Saison schon vorgemacht, wie man Leipzig zerlegt“, analysierte der Experte. „Die Fragen danach, ob die aktuelle Liverpool-Mannschaft ihren Zenit überschritten hat, würden lauter werden“, sagt Buchheister zu einem potenziellen erneuten Achtelfinal-Aus Liverpool. „Allerdings: wenn Liverpool unter Klopp eine Sache bewiesen hat, dann, dass man es nie abschreiben sollte.“

Prognose:

Der FC Liverpool war unter Jürgen Klopp selten so verwundbar wie aktuell. Die Mannschaft strauchelt, ist von den schlechten Umständen durchgeschüttelt worden und ist nicht ganz sie selbst. Eine große Chance für RB Leipzig, das erfolgshungrig wirkt und mit einer hervorragenden Konstanz und Spitzenteam-Attitüde überzeugt. Eine Favoritenrolle ist in dieser Begegnung dennoch nicht zu vergeben, beide Teams haben Möglichkeiten, dem jeweils anderen weh zu tun. Es wird spannend zu sehen sein, ob der LFC auf den Punkt da sein kann.

Mögliche Aufstellungen:

RB Leipzig: Gulacsi – Upamecano, Konate, Klostermann – Angelino, Sabitzer, Haidara (Kampl), Mukiele – Olmo, Nkunku – Poulsen

FC Liverpool: Alisson – Robertson, Kabak, Henderson, Alexander-Arnold – Wijnaldum. Thiago (Milner), Jones – Mane, Salah, Firmino

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Marc Schwitzky

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Marc Schwitzky

Erst entfachte Marcelinho die Liebe zum Spiel, dann lieferte Jürgen Klopp die taktische Offenbarung nach. Freund des intensiven schnellen Spiels und der Talentförderung. Bundesliga-Experte und Wortspielakrobat. Seit 2020 im 90PLUS-Team.


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