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Hertha BSC | Ein Sieg mit sechs Wochen Vorbereitung – Dardai wirkt

11. März 2021 | Spotlight | BY Marc Schwitzky

Spotlight | Nach neun sieglosen Partien infolge ist Hertha BSC gegen den FC Augsburg ein wahrer Befreiungsschlag gelungen. Der wichtige Heimsieg im Abstiegskampf ist das Resultat der zuvor schon guten, jedoch unbelohnten Auftritte. Es ist die Arbeit von Trainer Pal Dardai, die Hertha wieder glauben lässt.

  • Befreiungsschlag nach neun sieglosen Spielen
  • Dardai-Umstellungen scheinen bei Hertha BSC zu wirken
  • Der Hauptstadtklub benötigt Punkte gegen den Abstieg

Dardai wusste, dass Hertha Zeit braucht

Vor dem Spiel gegen den FC Augsburg ist Pal Dardai (44) noch beim Friseur gewesen. Die Schläfen hat sich er auf wenige Millimeter kürzen lassen, sodass die mittlerweile grauen Stoppeln bei einer näheren Kamera-Perspektive gut zu sehen waren. Auch der in Berlin als „ewiger Pal“ bekannte Ungar wird älter, nahezu alle seiner Lebensjahre hat er in der Fußballwelt verbracht. Dardais früheste Kindheitserinnerungen stammen aus den Kabinen der Mannschaften, die sein schon verstorbener Vater damals trainierte. Dardai ist ein Kind des Fußballs. Mit dieser Lebensweise, diesen Erfahrungswerten entstehen gewisse Devisen, nach denen jemand lebt. Dardai ist ein Trainer mit zahlreichen Devisen, die er in prägnanten Sprüchen ausdrückt.

Hertha Dardai

Foto: IMAGO

Vor allem in seiner ersten Amtszeit bei Hertha BSC brachte er viele dieser Sprüche zum besten. Da wäre zum Beispiel das Gleichnis, welches die damalige Situation Herthas als Ausbildungsverein veranschaulichte. Wenn man vier Weizenkörner – welche die Talente symbolisieren – habe, könne man daraus mit viel Pflege eine Lkw-Ladung gewinnen – diese also mit Gewinn verkaufen. Oder man entschließe sich, einen Lkw voller Weizen zu kaufen. Dardai ist allerdings auch ein Zahlenmensch. So sagte er immer mal wieder, dass wenn nur drei bis vier Spieler in einer Partie Normalform erreichen, er das auf seine Kappe nehme – dann muss etwas in der Trainingssteuerung und/oder Spielvorbereitung falsch gelaufen sein. Nach spätestens sechs Niederlagen in Serie müsse man als Bundesliga-Trainer gehen – die Entscheidung Herthas, ihn gehen zu lassen, erfolgt 2019 nach fünf Pleiten infolge.

Und bei seinem erneuten Amtsantritt am 25. Januar diesen Jahres sagte Dardai, dass man als neuer Trainer eigentlich sechs Wochen Vorbereitung bräuchte, um die Mannschaft kennenzulernen und auf die eigenen Ideen einzustellen. Auch hier präsentiert sich der 44-Jährige als Wahrsager: Herthas erster Sieg unter Dardai erfolgte am 6. März – fünf Wochen und fünf Tage nach seinem Amtsantritt.

Hertha präsentiert sich seit Wochen gut, nur die Ergebnisse fehlten

Pal Dardai seziert den Spielplan gerne in kleinere Einheiten, aus denen er eine gewisse Anzahl aus Punkten holen will. Von den ersten Spielen seines erneuten Engagements bei den Hertha-Profis hatte er sich ehrlichweise keine Punkte versprochen, gab er zuletzt öffentlich zu. Blickt man auf das mehr als schwere Auftaktprogramm Dardais, war dessen Skepsis wohl absolut legitim. Spiel eins war gegen die Mannschaft der Stunde – Eintracht Frankfurt. Danach folgten der FC Bayern und der VfB Stuttgart, zuletzt ging es gegen RB Leipzig und den VfL Wolfsburg. Bis auf die Stuttgarter standen und stehen all diese Teams auf einem Champions-League-Rang. „Ich habe von Anfang an gesagt, Leute, wenn jemand den Spielplan gesehen hat, wenn jemand sieht, dass die Spieler für andere Träume ausgesucht sind, dann hat man gewusst, das wird schwieriger“, so Dardai.

Er sollte Recht behalten. Aus besagten Partien holte die „alte Dame“ nur einen Punkt gegen den VfB, die anderen vier allesamt wurden verloren. Die Art und Weise, wie sich Hertha in diesen Spielen präsentierte, war allerdings beeindruckend und hatte wenig bis gar nichts mehr mit den lethargischen Auftritten der Vorwochen zu tun. Die Berliner hielten nicht nur einigermaßen mit, sie waren den meisten Gegnern über weite Phasen der Spiele ebenbürtig oder sogar besser. Umso bitterer waren die Ergebnisse, schließlich wurden die Begegnungen so lange offen gehalten, dass die Fans hoffen durften.

Gegen Frankfurt ging man in Führung, konnte das Ergebnis aber nicht halten. In München vergab Matheus Cunha (21) die riesige Ausgleichschance in letzter Sekunde. Auch die Spiele gegen Leipzig und zuletzt Wolfsburg hätten dringend benötigte Punkte abwerfen können, doch es war wie so oft: Der Matchplan war der richtige, die Tagesform stimmte, doch eine teils dramatisch schlechte Chancenverwertung und individuelle Abwehrfehle brachten Hertha um eigentlich verdiente Ergebnisse. Doch all die Schulterklopfer nach den Partien, all das Hadern interessiert die Tabelle nicht, besonders nicht im Abstiegskampf. Da ist es nicht von Bedeutung, wenn die Gegentreffer beispielsweise vom eigenen Mann – wie Lukas Klünter gegen Wolfsburg – erzielt werden oder das Tor doch so nah war.

Hertha BSC: Dardai nutzte Startprogramm als „Freundschaftsspiele“

Dardai haderte in all den letzten Wochen bei Hertha trotz des fehlenden Spielglücks nicht. Er arbeitete stets das Positive heraus, weil er merkte, dass er eine zutiefst verunsicherte Mannschaft übernommen hatte. Die Spieler mussten geherzt und aufgebaut werden. So wurde Cunha aufgrund seiner liegengelassenen Chance gegen Bayern nicht kritisiert, sondern lobend hervorgehoben, dass er überhaupt erstmal in diese Abschlusssituation gekommen ist. Dardai übte sich darin, durch positive Worte und eine gelassene Art Druck von seinen Schützlingen zu nehmen. So kam der Ungar auf Pressekonferenzen aufgrund der zahlreichen Sprüche schon beinahe wie der „Gute-Laune-Bär“ herüber, ohne aber ins Lächerliche abzugleiten. Seine Aussagen hatten stets einen nachvollziehbaren Punkt, wurden aufgrund seiner positiven Art aber in helleren Farben angestrichen.

Hertha Dardai

Foto: xMatthiasxKochx/IMAGO

Womöglich wird Dardai die letzte Phase unter Vorgänger Bruno Labbadia (55) doch etwas genauer verfolgt haben. Dieser scheiterte daran, die Mannschaft auf seine Seite zu ziehen. Womöglich deshalb, weil er nicht bereit war, einen Entwicklungsschritt zurückzugehen. Stattdessen hagelte es Video-Sessions mit der Mannschaft, Spieler wurden öffentlich immer öfter kritisiert, der Druck so immer größer. Die Mannschaft kollabierte und das Labbadia-Aus war vielleicht schon Wochen vor dessen offizieller Beurlaubung klar. Dardai packt die Spieler anders an, gab ihnen mehr menschliche Wärme und klarere, dementsprechend aber auch leichter umzusetzende taktische Vorgaben.

Und auch der Ansatz für die ersten Spiele unter ihm war für Dardai ein anderer. Gegen die besagten Gegner zu punkten, war unwahrscheinliches Unterfangen. Dardai gab den ersten Partien daher einen „Freundschaftsspielcharakter“. Dem Ungar war zunächst einmal wichtig, den Kader – sportlich wie mental – kennenzulernen. Wo liegen die Probleme? Gibt es Wortführer in der Mannschaft? Wie angeknackst ist das Selbstvertrauen? All diese Fragen wollten beantwortet werden, bevor sich auf einen Spielstil und eine Achse festgelegt werden konnte. Dardai nahm der Mannschaft so auch etwas den Druck, trotz prekärer Tabellensituation unbedingt punkten zu müssen. Die Leistung als solche stand im Mittelpunkt. Die Spiele, die zwingend gewonnen werden müssen, würden noch kommen.

Dardai implementierte einen klaren Plan und eine Achse

So nutzte Dardai die ersten fünf Nicht-Muss-Spiele, um zunächst einmal wieder Basics, einen klaren Matchplan und eine eine eindeutige Spielweise zu vermitteln. In den ersten drei Partien trat Hertha noch im 4-2-3-1 ein – ein sehr übliches System, dass eine gute Mischung aus defensiver Stabilität und offensiven Spielzügen ermöglicht. In den letzten drei Spielen hat Dardai dann die Dreierkette eingeführt und ist von dem 3-4-1-2 auch nicht mehr abgerückt.

Bis auf die zunächst ausbleibenden Ergebnisse gab es dafür auch keine Gründe. Die Mannschaft setzte diszipliniert um, was ihnen das Trainerteam vorher auf den Weg gegeben hatte. Mit Rückhalt Rune Jarstein (36), Abwehrchef Niklas Sark (25), Mittelfeldmotor Lucas Tousart und Routinier Sami Khedira (33) hatte sich eine Achse gefunden. Komplettiert wird das Aufgebot von wiedererstarkten Spielern wie Lukas Klünter (24), Deyvaisio Zeefuik (23), Maximilian Mittelstädt (23) oder auch Krzysztof Piatek (25).

So hat sich eine Mannschaft, die im Sommer ihre Stützen verlor und lange auf der Suche war, endlich gefunden. „Hertha ist jetzt eine Familie, jeder ist für den anderen da“, stellte Dardai gegenüber Bild klar. „Ich habe den Jungs gesagt, die Kabine ist heilig. Da muss alles stimmen. Wenn da einer Probleme macht, ist er raus, da fackel ich nicht lange.“ Neben taktisch-fußballerischen Aspekten war es dem Trainerteam vor allem wichtig, den Zusammenhalt eines völlig zusammengewürfelten Teams zu stärken.

Der Sieg gegen den FC Augsburg als logische Konsequenz

Das war die Basis dafür, dass Hertha gegen den FC Augsburg trotz eines frühen 0:1-Rückstands ruhig blieb und das Spiel noch zum 2:1-Heimsieg drehte. Die Mannschaft wirkt zum ersten Mal in der laufenden Spielzeit in sich gefestigt. Zuvor diktierte der Spielverlauf das Auftreten der „alten Dame“, nun ist man widerstandsfähig und kann Partien an sich reißen. Dardai hat den Glauben der Spieler Stück für Stück wiederhergestellt. Weil er nicht von Niederlage zu Niederlage dachte, sondern von Chance zu Chance, in diesen 90 Minuten wieder etwas besser zu machen – um für die Muss-Spiele bereit zu sein.

Steter Tropfen höhlt den Stein. Hertha blieb in den letzten Spielen beharrlich und belohnte sich nach neun sieglosen Partien infolge wieder mit einem Sieg. Ein kollektives Aufatmen war im gesamten Umfeld zu spüren – endlich ist der Knoten geplatzt. „Wer fleißig ist, wird belohnt“, brachte es Dardai auf den Punkt. Er weiß aber auch: „Augsburg war kein Endspiel. Es war ein Spiel. Wir müssen weiter punkten, um uns zu befreien. Die Saison ist noch lang.“ Der erste Schritt in Richtung Rettung ist allerdings getan.

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Marc Schwitzky

Foto Andreas Gora/IMAGO

Marc Schwitzky

Erst entfachte Marcelinho die Liebe zum Spiel, dann lieferte Jürgen Klopp die taktische Offenbarung nach. Freund des intensiven schnellen Spiels und der Talentförderung. Bundesliga-Experte und Wortspielakrobat. Seit 2020 im 90PLUS-Team.


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