FC Bayern: Zwischen Genie und Wahnsinn

10. Januar 2021 | Bundesliga | BY Victor Catalina

Das 2:3 bei Borussia Mönchengladbach spiegelt die Saison des FC Bayern hervorragend wieder. In der Offensive verfügt die Mannschaft von Hansi Flick (55) über grenzenloses Potential. Doch geht mit diesem ein gewaltiges Risiko einher. Das ist man bereit einzugehen. Sollte aber nicht jedes Rädchen perfekt ins andere greifen, zeigt sich der Rekordmeister schnell verwundbar. Mittlerweile wissen das auch die Gegner.

  • Erst eins, dann zwei – und dann ganz viele: FC Bayern und die Gegentore
  • Viele kleine Faktoren lassen das Münchener System scheitern
  • Wie RB Leipzig und Borussia Mönchengladbach das Münchener System überlisteten – und welche Alternativen Hansi Flick hat

FC Bayern: Und täglich grüßt das Gegentor

In Köln fing alles an. 82. Minute, Jan Thielmann (18) hielt aus dem Rückraum einfach mal drauf, Dominick Drexler (30) fälschte die Kugel noch entscheidend ab, so war Manuel Neuer (34) geschlagen und der Effzeh mit dem 1:2 zurück im Spiel. Letztlich blieb es bei diesem Ergebnis, doch an das Gefühl, den Ball aus dem Netz zu holen, sollte sich der amtierende Welttorhüter gewöhnen müssen. Denn in Dortmund (3:2) musste er es erneut tun. Und gegen Bremen (1:1). Auch in Stuttgart (3:1) blieb der Rekordmeister nicht ohne Gegentor. Um es abzukürzen: RB Leipzig (3:3), Union Berlin (1:1), der VfL Wolfsburg (1:2), Bayer Leverkusen (1:2) und Mainz 05 (2:5) – sie alle fanden gegen die Münchener den Weg auf die Anzeigetafel. Mit Ausnahme der Kölner ging jeder von ihnen auch in Führung.

Achtmal in Folge musste der FC Bayern somit einen Rückstand aufholen – ein neuer Negativrekord. In Gladbach war man fest entschlossen, diesem ein Ende zu setzen. Und siehe da: Sie können es doch noch. Nach 26 Minuten führten die Münchener dank der Treffer von Robert Lewandowski (32) und Leon Goretzka (25) 2:0. Jetzt galt es noch gegebenenfalls nachzulegen und vor allem aufzupassen, sich hinten nicht wieder einfache Geg…

Döp, döp, döp, dödödöp döp döp

Scooters „Maria (I like it loud)“, die Tormusik der Gladbacher, bekamen sie im Laufe der Partie noch zwei weitere Male zu hören. Erst schnürte Jonas Hofmann (28) den Doppelpack und sorgte dafür, dass Bayerns vermeintlich komfortable Führung endgültig in der niederrheinischen Nacht entschwand. Kurz nach der Pause machte Florian Neuhaus (23) sein Gastgeschenk aus der 18. Minute wieder wett, indem er die Kugel perfekt im rechten Winkel versenkte.

FC Bayern: Kleine Faktoren lassen das System scheitern

24 Gegentore zählt die Statistik für den FC Bayern nach 15 Spieltagen. Das sind 1,6 pro Spiel. Halten sie diesen Schnitt, stünden sie am Saisonende bei 55 Stück. Zur Ehrenrettung des Rekordmeisters sei aber gesagt, dass sie bisher auch 46 Mal selbst getroffen haben. Auf 34 Spieltage hochgerechnet wären das 105 erzielte Tore. Frei nach Johan Cruyff: Lieber 5:4 als 1:0 gewinnen.

In der vergangenen Saison wurde deutlich, welche Wucht das System Flick entfalten kann, die Gegner mit brachialem Offensivpressing am eigenen Strafraum festzutackern.  Diese Spielzeit zeigt seine Anfälligkeiten, wenn nicht jedes Rädchen perfekt ins andere greift.

Wie Gladbach und RB das System überlisteten

Diese – erstmal – kleinen Faktoren addieren sich schlussendlich zu dem großen Ganzen auf, das im Moment ersichtlich ist. Die auf Hochglanz polierte rote Maschine bekommt immer mehr Kratzer und Dellen. Besonders Julian Nagelsmann (33) und Marco Rose (44) wussten die Unzulänglichkeiten des Rekordmeisters effektiv auszunutzen. Beide traten in einem 4-3-3 mit robustem Mittelfeld und falscher Neun (Forsberg/Stindl) an. Diese war damit beauftragt, nach Möglichkeit mit schnellen Steilpässen Angriffe über Bayerns rechte Seite zu inszenieren – mit den formschwachen Benjamin Pavard und Serge Gnabry (25) außen, beziehungsweise Niklas Süle (25) oder Jérôme Boateng (32) innen. In diese Lücken sollte der linke Flügelspieler (Nkunku/Hofmann) hineinstoßen und zuschlagen. Das Ergebnis: Tor und Assist für Emil Forsberg (29), zwei Assists für Lars Stindl (32), je drei Tore für Leipzig und Gladbach und nur einer von sechs möglichen Punkten für die Münchener.

In den kommenden Wochen gilt es für Hansi Flick, genau darauf Antworten zu finden. Als Alternative zu Pavard böte sich Joshua Kimmich an, seinen Platz im Mittelfeld könnten Marc Roca (24) oder Corentin Tolisso (26) übernehmen. Positionsgetreu stünden Chris Richards (20) und Bouna Sarr (28) zur Verfügung. In der Innenverteidigung könnte sich Lucas Hernández (24) als neuer Leader versuchen – den es ab der kommenden Saison nach menschlichem Ermessen ohnehin brauchen wird. Taktisch könnte man in Führung die letzte Linie 20-30 Meter weiter nach hinten ziehen, um Platz für das eigene Tempo zu schaffen. Schon vor Weihnachten hat Flick ein 4-1-4-1 sowie eine Dreier-/Fünferkette ausprobiert. Wobei Systemumstellungen aufgrund fehlender Trainingswochen nur schwer zu realisieren sind. Auch das Trainingslager in Doha, das die Münchener um diese Jahreszeit jährlich beziehen, kollidiert mit dem Spielplan und fällt daher in den Sand.

Am Mittwochabend tritt der FC Bayern zum Nachholspiel des DFB-Pokals in Kiel an, bevor es kommenden Sonntag gegen den formstarken SC Freiburg geht. Besonders erstere Partie lädt zur Rotation ein – und dem Aufrechterhalten einer Serie. Denn im DFB-Pokal sind die Münchener noch ohne Gegentor.

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Victor Catalina

Mit Hitzfelds Bayern aufgewachsen, in Dortmund studiert und Sheffield das eigene Handwerk perfektioniert. Für 90PLUS immer bestens über die Vergangenheit und Gegenwart des europäischen Fußballs sowie seine Statistiken informiert.


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