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So gut war… „Das Kaninchen“ Javier Saviola

6. Mai 2020 | Wie gut war eigentlich...? | BY Jasper Glänzer

Mit großen Vorschusslorbeeren holte der FC Barcelona ihn einst aus Argentinien, im Gedächtnis verbleibt er als Jahrhunderttalent, das unter seinen Möglichkeiten blieb: Javier Saviola. Die Geschichte einer Karriere, die ihren Höhepunkt nie erreichen sollte. 

Javier Saviola und die Formel des Erfolgs

Was braucht es, um eine Weltkarriere hinzulegen? Talent und Fleiß, keine Frage, wobei ein Übermaß an dem Einen einen eventuellen Mangel an dem Anderen manchmal kompensieren kann. Die richtige Mentalität, Ehrgeiz, der unbedingte Wille zum Erfolg und die Fähigkeit, mit dem hohen Druck umzugehen. Das richtige private Umfeld, Familie und Freunde, die dich unterstützen und dir den Rücken freihalten sowie eine Stadt, in der du dich wohl fühlst. Das richtige Team, die richtigen Trainer mit dem passenden Spielsystem, ein Arbeitsumfeld, das an dich glaubt. Die richtigen Schritte zur richtigen Zeit. 

Es sind also eine Menge Variablen, die passen müssen. Eine komplizierte Formel, die nur selten aufgeht. Javier Saviola ist ein weiterer Beweis, dass Talent und Fleiß nur einen Teil dieser Formel darstellen, die ohne die anderen genannten Faktoren jedoch praktisch nicht zu lösen ist. 

Javier Saviola: Wolf im Kaninchenpelz

Am 11.12.1981 erblickt Javier Pedro Saviola Fernández in Buenos Aires das Licht der Welt. Er wächst in Bajo Belgrano auf, einem bürgerlichen Bezirk der argentinischen Hauptstadt, und streift mit neun Jahren zum ersten Mal das Trikot von River Plate über. Beim Rekordmeister wird er ausgebildet und schnell zeigt sich, dass man auf ein Juwel gestoßen ist. Der kleine, quirlige Offensivmann schießt sich durch die Jugendstationen bis er 16 Jahre alt und damit reif für seinen ersten Profi-Einsatz ist. Bereits in seinem erstem Spiel deutet sich an, was in den kommenden Jahren folgen sollte – denn Saviola trifft. Sein Tor zum 2:2 im Debüt für Los Millonarios sollte der erste von insgesamt 45 Treffern sein, die Saviola in 86 Auftritten im Trikot von River Plate erzielen wird. 

Mit nur 17 Jahren wird er zu Südamerikas Fußballer des Jahres 1999 gewählt, so jung hatte das noch keiner geschafft. Nicht einmal der große Diego Maradona, der brauchte zwei Jahre länger. Spätestens ab diesem Zeitpunkt werden die Vergleiche laut, die großen Hoffnungen, die Gewissheit: Endlich ist ein würdiger Erbe des großen Diego gefunden. 

So gibt El Conejo, das Kaninchen, wie Saviola aufgrund seiner Rastlosigkeit auf dem Feld sowie seiner markanten Schneidezähne genannt wird, mit 18 Jahren das Debüt für die A-Nationalmannschaft Argentiniens und steht mit 19 Jahren vor dem großen Sprung nach Europa. Gerade hat er die U20 der Albiceleste zum Weltmeistertitel geschossen, wurde Torschützenkönig und darüber hinaus Spieler des Turniers. Alles deutet auf eine Weltkarriere hin, und so ist es kein Geringerer als der FC Barcelona, der den Zuschlag für den Wunderknaben aus Buenos Aires erhält. Umgerechnet rund 25 Millionen Euro legen die Katalanen dafür auf den Tisch. Ein entscheidender Geldsegen für River Plate. Denn die Millonarios haben zu diesem Zeitpunkt vor allem Schulden in Millionenhöhe, und so rettet Saviola seinen Jugendklub am Ende durch seinen Abgang. 

Saviola: Die Gleichung geht nicht auf

Als Saviola in Barcelona eintrifft, ist er ausgestattet mit einem hoch dotierten Sechs-Jahres-Vertrag und einem Eimer voller Erwartungen, die von allen Seiten an den neuen Hoffnungsträger gestellt werden. Ein Jahr zuvor ließ man Luis Figo zum Erzrivalen Real Madrid ziehen, wo er neben Zinedine Zidane und Ronaldo Teil der Galaktischen wurde, die zu Beginn der 2000er den spanischen Fußball dominieren sollten. Barca will mit Saviola, dem „neuen Maradona“, dagegenhalten, nachdem man in der Vorsaison mit 17 Punkten Rückstand auf die Königlichen nur auf dem vierten Rang abschnitt. 

Dieser Plan funktioniert jedoch nur bedingt. Obwohl El Conejo mit 17 Toren und neun Vorlagen in seiner ersten LaLiga-Saison eine durchaus starke Leistung liefert, endet der FC Barcelona erneut nur auf Platz vier. Den Titel holt währenddessen der FC Valencia mit einem anderen Argentinier in der Schaltzentrale – Pablo Aimar, ehemaliger Teamkollege Saviolas bei River Plate.

Ein ähnliches Bild zeigt sich auch in den beiden folgenden Jahren. Saviola ist ein guter Stürmer, erzielt insgesamt 44 Treffer in drei Spielzeiten, doch er gewinnt mit den Katalanen keinen einzigen Titel. Er scheint eben kein Spieler zu sein, der auf allerhöchstem Niveau den Unterschied macht. Die Gleichung geht nicht auf. 

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Saviola: Kein Platz für den 1,69-Meter-Mann

Denn Saviola erreicht Barcelona in unruhigen Zeiten. Er spielt in drei Jahren unter drei verschiedenen Trainern, hoher Druck lastet auf seinen Schultern und er wird in eine Rolle gedrängt, die nicht seine ist. Er ist nicht der große Held, der Anführer, den Barca brauchte und erwartete. Auch seine favorisierte Position, die hängende Spitze, die für Spielertypen wie Saviola quasi erfunden wurde, darf er nur zeitweise ausfüllen. Immer wieder muss er auf die Außenbahn oder in die Mittelstürmerposition ausweichen, wo er nicht die Freiheiten und den Platz bekommt, die er bräuchte, um sein volles Potenzial entfalten zu können. Schlussendlich scheint bei den Verantwortlichen des FC Barcelona das Vertrauen in ihren Offensivmann verloren gegangen zu sein, denn nach drei Jahren ohne Meisterschaft wird Saviola aussortiert und verliehen. Zunächst an Monaco, ein Jahr später zum FC Sevilla, mit dem er 2006 den UEFA Pokal gewinnt. Sein bis dato erster Titel in Europa. 

Nach seiner Rückkehr zu Barca regieren dort Ronaldinho, Samuel Eto’o und ein gewisser Lionel Messi, kein Platz mehr für den anderen 1,69-Meter-Mann aus Argentinien. Er kommt er in seinem letzten Vertragsjahr nicht mehr über die Jokerrolle hinaus, steht kein einziges Mal über die volle Spielzeit auf dem Feld. Mittlerweile ist er 25 Jahre alt, hat den Titel des Wunderknaben und Maradona-Erben längst hinter sich gelassen und die Chance auf das, was eine Karriere als einer der weltbesten Spieler hätte werden können, verloren. 

Nach dem Auslaufen seines Arbeitspapiers folgt ein Wechsel, den sieben Jahre zuvor bereits Luis Figo unternahm, der damals große Aufmerksamkeit erregte und für nicht wenige Fans als Todsünde gilt: ein Transfer zum Erzrivalen Real Madrid. Für den Portugiesen zahlte der Rekordmeister damals die Rekordsumme von knapp 60 Millionen Euro, Saviola kommt ablösefrei. Und keinen scheint es so richtig zu interessieren. 

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Saviola auf Europareise

Der Argentinier scheint für Fans und Verein nicht wichtig genug zu sein, um einen echten Aufschrei zu erregen. Real-Trainer Bernd Schuster kündigte die Neuverpflichtung damals mit den Worten an: „Ich denke, er wird zu uns kommen. Ich würde das gerne sehen. Er freut sich auf die neue Aufgabe, ist noch jung und schießt Tore.“ Euphorie sieht anders aus. 

Doch wer würde es dem Europameister von 1980 verdenken, hatte er doch einen Kader zur Verfügung, der vor Offensivpower nur so strotzte. Gegen Ruud van Nistelrooy, Raul, Gonzalo Higuain, Robinho und Arjen Robben hatte Saviola zumeist das Nachsehen, kam in zwei Jahren nur auf 17 Liga-Einsätze und vier Tore für die Königlichen. Kein einziges Mal stand er über die vollen 90 Minuten auf dem Feld. El Conejo befindet sich am Tiefpunkt seiner Karriere.

So hält es den Argentinier nicht lange bei den Blancos, 2009 zieht er weiter zu SL Benfica. Gerade einmal fünf Millionen Euro muss sein neuer Arbeitgeber für Saviola auf den Tisch legen, der mit 27 eigentlich im besten Fußballeralter ist. Tatsächlich findest er im Trikot der Portugiesen zeitweise wieder etwas zu sich. Drei Jahre läuft er für den Hauptstadtklub auf und erzielt dabei insgesamt 39 Treffer. Doch es ist bereits klar, dass es für eine Rückkehr an die Spitze des Weltfußballs nicht mehr reichen wird, dass die Chance verpasst wurde. 

Seine Europareise lässt Kurzauftritte bei Malaga, Olympiakos Piräus und Hellas Verona folgen, bevor es Saviola schließlich im Alter von 33 Jahren zurück zu River Plate zieht, um seine Karriere in der Heimat ausklingen zu lassen. 13 Mal steht er noch für seinen Jugendklub auf dem Feld, ein Tor war ihm nicht mehr vergönnt.

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Saviola: „Ich bereue nichts.“

Was braucht es, um eine Weltkarriere hinzulegen? Die Geschichte Javier Saviolas zeigt, dass Talent und Fleiß allein nicht ausreichen. Ihm hat es weder an dem Einen noch an dem Anderen gemangelt, der zurückhaltende, ehrgeizige Argentinier hatte doch eigentlich alles, was es braucht. Und doch hat es nicht gereicht. Ob es an den zu hohen Erwartungen lag, ob man ihn zu früh verheizte, oder er einfach die richtigen Schritte zur falschen Zeit unternommen hat, darüber lässt sich im Nachhinein nur spekulieren. Er selbst jedenfalls ist mit sich und seiner Zeit als aktiver Fußballprofi im Reinen:

„Falls ich in meine Karriere falsche Entscheidungen getroffen habe, dann bereue ich nichts. Ich wollte mich immer so verhalten, dass ich niemandem schade und das beste für meine Zukunft im Blick habe. Ich habe immer gesagt, dass der Fußball mir mehr gegeben hat, als ich erwartet habe. Ich habe in vielen namhaften Vereinen mit großer Historie und mit vielen tollen Spielern gespielt.“

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Eine durchaus gesunde Einstellung, der auch nicht viel entgegenzusetzen ist. Saviola hat bei zwei der größten Vereinen der Welt gespielt, stand für die argentinischen Nationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft 2006 auf dem Platz und holte Gold bei Olympia. Eine durchaus ordentliche und überdurchschnittliche Karriere, doch der etwas bittere Beigeschmack bleibt. Denn mit etwas anderen Vorzeichen hätte daraus etwas viel Größeres werden, hätte die Formel für El Conejo aufgehen können.

Jasper Glänzer

(Photo by Bagu Blanco/Getty Images)

Jasper Glänzer

Wegen Ronaldo gekommen und für Asamoah geblieben. Gefangen zwischen Bolzplatz und VAR, dabei stets ein Herz für’s Mittelmaß. Kein Bock auf Bollwerk. Seit 2019 bei 90Plus.


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