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Schalke 04 | Sportliche Führung, Mannschaft, Trainer – Königsblau am Scheideweg

26. Februar 2019 | Spotlight | BY Manuel Behlert

Nach der Vizemeisterschaft und mit dem ein oder anderen eigentlich vielversprechenden Neuzugang im Gepäck hatte der FC Schalke 04 in dieser Saison viel vor. Die Realität sieht anders aus, vor allem im Tagesgeschäft Bundesliga schwächeln die „Königsblauen“ nicht nur, sie befinden sich sogar nur kurz vor den Abstiegsrängen. Christian Heidel ist spätestens am Saisonende weg, ein Nachfolger wird gesucht – und ist gefunden. Doch nicht nur auf dem Managerposten werden sämtliche Steine umgedreht werden müssen.

Die Gerüchtelage seit dem Heidel-Rücktritt

Zunächst fassen wir die Gerüchte der letzten Tage zusammen. Schon bevor der Rücktritt von Christian Heidel verkündet wurde gab es Gerüchte rund um ein Engagement von Jonas Boldt beim FC Schalke 04. Boldt, der am Saisonende bei Bayer 04 Leverkusen aus seinem Amt ausscheidet und derzeit in beratender Funktion seinem eigenen Nachfolger Simon Rolfes zur Seite steht, wurde ursprünglich als 2. Mann neben Heidel gesehen. Der 37-jährige bringt schon in diesem Alter eine gewisse Erfahrung mit, arbeitete knapp 12 Jahre für die „Werkself“, zunächst als Scout, später als Assistent der Geschäftsführung, Manager und schließlich Sportdirektor. Doch auch jetzt ist eine Doppelbesetzung möglich, denn neben Boldt ist laut „Bild“ auch Michael Reschke, der zuletzt beim VfB Stuttgart scheiterte und entlassen wurde, ein Kandidat.

Photo by ROBERT MICHAEL / AFP)

Reschke wäre – wie Boldt – eher jemand, der im Hintergrund besser aufgehoben ist. Diese Gerüchtelage hielt bis zum Dienstagnachmittag, ehe sich die Dinge schnell änderten. Sowohl „Sky Sport News HD“ als auch „Bild“ berichteten, dass der neue Sportvorstand beim FC Schalke 04 von RB Leipzig kommen soll, nächste Woche sein Amt antritt und Jochen Schneider heißt! Kurz darauf bestätigte der Verein offiziell, dass der Aufsichtsrat dem Vorschlag zugestimmt hat, Schneider stellt sich in der kommenden Woche auf Schalke vor. Schneider kommt als Vorstand Sport und wird einen Sportdirektor benennen, Jonas Boldt ist also weiterhin in der Verlosung.

Doch abgesehen von der sportlichen Führung steht, wenn man sich als Vizemeister eher mit den Abstiegsrängen als mit dem oberen Tabellendrittel beschäftigen muss, auch Trainer Domenico Tedesco in der Kritik. Zum jetzigen Zeitpunkt steht eine Entlassung des Trainers nicht unmittelbar bevor, aber klar ist, dass mit Christian Heidel ein Befürworter der Personalie Tedesco den Verein verlässt, zudem ist seitens „Sky“ zu hören, dass die Rückendeckung für den Trainer innerhalb des Teams zumindest teilweise fehlt, dass es in der Mannschaft zu einer Grüppchenbildung kam. Laut einem Bericht von „Sky“ soll sich Schalke 04 bereits mit Bruno Labbadia beschäftigen, dessen Vertrag beim VfL Wolfsburg am Saisonende ausläuft, konkret ist das aber noch nicht, zumal Labbadia möglicherweise weiter bei den „Wölfen“ bleibt.

Und auch in der Mannschaft könnte es erneut zu Veränderungen kommen. Weston McKennie wird offenbar vom FC Liverpool beobachtet, Ralf Fährmann wird als Nummer 2 wohl eher nicht auf Schalke bleiben, bei dem wahrscheinlichen Verpassen der internationalen Ränge könnten weitere Wechsel denkbar sein. Klar ist vor allem eines: Die Zukunft des FC Schalke 04 ist derzeit sowohl in der sportlichen Führung, als auch auf der Trainerposition und in weiten Teilen des Kaders ungewiss. Ein guter Plan für die kommende Saison muss her – und zwar in all diesen Teilbereichen.

Der „Hauptschuldige“ existiert auf Schalke nicht

Christian Heidel vollzog seinen Rücktritt nüchtern, sachlich und mit Stil. Er erläuterte gegenüber den Pressevertretern geduldig, warum er sich zu diesem Schritt entschloss. Die Ruhe im Verein, die er selbst als eines der Schlüsselkriterien für den sportlichen Erfolg auf Schalke auserkoren hatte, war nicht nur abhanden gekommen. Sie war in den Augen von Christian Heidel auch nur schwer oder überhaupt nicht wiederherzustellen, solange er diese Position inne haben wird. Christian Heidel hat während seiner Amtszeit auf Schalke Fehler gemacht, doch er war nicht der einzige Akteur, der für die aktuelle Problematik zuständig ist. Er ist auch kein alleiniger Sündenbock und wird auch nicht so gesehen, vielmehr macht er als jemand, der zuletzt unfreiwillig der Unruheherd war, Platz für etwas Neues. Eine Garantie, dass mit einer Neubesetzung in der sportlichen Führung Ruhe einkehrt und dass diese auch anhält, gibt es nicht, aber es besteht die Chance, dass mit diesem Schnitt ein Fundament für eine neue, erfolgreiche Zeit gelegt wird.

Hinterfragen müssen sich aber auch diejenigen, die noch im Amt sind. Ja, Christian Heidel war zu einem großen Teil dafür verantwortlich, wie der Kader zusammengestellt wird, welche Transfers in Absprache mit dem Trainer realisiert werden konnten. Doch dem Trainer gelang es nicht wie in der vergangenen Saison schnell eine homogene, stabile Einheit zu bilden. Auf Schalke herrschte, so hatte man zumindest den Eindruck, nicht der Zusammenhalt, der die Mannschaft in der letzten Saison auszeichnete. Meyer, Kehrer und Goretzka waren weg, die Hierarchie musste sich neu finden. Ein Start mit 5 Niederlagen und wachsender Verunsicherung tat natürlich sein Übriges.

(Photo by Christof Koepsel/Bongarts/Getty Images)

Domenico Tedesco ist ein junger Trainer, der Fehler macht und auch machen darf. Wichtig ist, dass er aus diesen Fehlern lernt. Doch auch wenn er für die Ausrichtung, Auf- und Einstellung der Mannschaft verantwortlich ist, muss sich auch die Mannschaft selbst an die eigene Nase fassen. Warum gelingt es der Mannschaft nicht die Vorgaben so gut umzusetzen wie in der Vorsaison? Was kann jeder einzelne Spieler besser machen? Auf Schalke war in dieser Spielzeit punktuell die Rede von fehlender Disziplin, zum Beispiel bei Dribbelkünstler Amine Harit, der die Fans in der vergangenen Saison noch so begeistert hat. Die wachsende Unruhe, der schwache Saisonstart, die Neuzugänge, die nicht sofort einen Effekt hatten oder deren Effekt noch immer nicht spürbar ist, der fehlende Erfolg bei den Ideen des Trainers, wiederkehrende Verletzungssorgen – all dies führt dazu, dass Schalke 04 derzeit in dieser schwierigen Situation ist. Und jeder trägt einen Teil der Verantwortung.

Domenico Tedesco: Das Vertrauen erarbeiten

Der junge Trainer des FC Schalke 04, Domenico Tedesco, war schon in der vergangenen Saison ein ruhiger Typ, der sachlich und genau analysierte, was in seinen Augen gut lief, was besser werden muss und warum die Dinge so liefen, wie sie eben liefen. In dieser Saison wirkt Tedesco zwar nicht ratlos, aber dennoch häufig nachdenklich. Auch ihm macht diese Situation nach dem eigenen sportlichen Aufstieg, der besser kaum hätte verlaufen können, zu schaffen. Dass der Klub seinem Trainer vertraut, zeigt der langfristige Vertrag, der bis 2022 läuft. Die aktuelle Saison ist eine Bewährungsprobe für das Verhältnis zwischen den Fans und Tedesco und für den jungen Trainer selbst. Noch hat er die Möglichkeit mit einem guten Abschneiden im DFB-Pokal und einer Stabilisierung in der Bundesliga die Voraussetzungen zu schaffen, unter denen der Verein mit Tedesco weiterarbeiten will. Zu sagen, dass der Trainerstuhl derzeit heftig wackelt, wäre verfrüht, aber die uneingeschränkte Rückendeckung, die Tedesco von Heidel erfahren hat, ist nicht mehr vorhanden.

(Photo by Alex Grimm/Bongarts/Getty Images)

Bis zum Saisonende kämpft Domenico Tedesco also auch um seine eigene Zukunft. Die Bilanz der letzten Wochen liest sich alles andere als gut: Im Jahr 2019 hat Schalke 04 erst zwei Spiele gewinnen können, seit 4 Pflichtspielen ist man ohne Sieg. Die nächsten Wochen könnten richtungsweisend sein. Am Wochenende spielen die „Königsblauen“ gegen Düsseldorf, fahren dann nach Bremen, ehe das Rückspiel gegen Manchester City ansteht. Anschließend empfängt man Leipzig, fährt nach Hannover und trifft im DFB-Pokal erneut auf Werder Bremen. Für Tedesco geht es nicht einmal darum eine enorme Siegesserie hinzulegen oder furiosen Fußball spielen zu lassen, es muss schlichtweg eine Entwicklung erkennbar sein, ein klarer, zielführender Plan, der die aktuelle Situation berücksichtigt, sie annimmt und zum Erfolg führen kann. Gelingt das, hat Tedesco für sich selbst die Basis geschaffen um gemeinsam mit der neuen sportlichen Führung den Weg weiterzugehen.

Die vielseitigen Aufgaben der sportlichen Leitung

Auf die neue sportliche Leitung des FC Schalke 04 kommen viele Aufgaben zu – und zwar von Tag 1 an. Zunächst einmal muss die von Christian Heidel angesprochene Ruhe hergestellt werden. Das geht am Besten, wenn man bereits bei der Vorstellung einen klaren Plan hat, wie man den Verein nicht nur in ruhige Fahrwasser führen, sondern auch in den kommenden Jahren wieder in die oberen Tabellenregionen manövrieren kann. Es müssen viele Fragen geklärt werden: Geht man den Weg mit dem Trainer weiter? Wenn ja, muss man ihm frühzeitig signalisieren, dass das der Fall ist. Wie wird man im Sommer auf dem Transfermarkt agieren, welche Spieler muss man gegebenenfalls verkaufen, welche finanziellen Mittel stehen ohne das Erreichen des Europapokals überhaupt zur Verfügung?

Ein Problem des FC Schalke 04 war in den letzten Jahren, dass man viel Qualität abgegeben und im Verhältnis zu wenig Geld eingenommen hat. Leon Goretzka, Max Meyer und Sead Kolasinac sind Beispiele für Spieler, die ablösefrei abgegeben wurden und für die man 1 oder 2 Jahre vor Vertragsende hohe Summen hätte generieren können. Das führt dazu, dass man sich auf Schalke Gedanken machen muss, ob man Spieler wie McKennie, Bentaleb oder Embolo bei einem hohen Angebot ziehen lässt. Denn noch immer hat der Verein mit hohen Verbindlichkeiten zu kämpfen, auch wenn diese sukzessive abgebaut werden. Der ganz große Spielraum ist nicht da und nicht jeder ist so fest auf Schalke verwurzelt, dass er problemlos auf den Europapokal verzichtet. Sollte Schalke also nicht den DFB-Pokal gewinnen, wird es erneut einige Veränderungen in der Mannschaft geben.

Das muss aber nicht nur ein Fluch, sondern kann auch ein Segen sein. Die Kaderzusammenstellung in dieser Saison ist ohnehin nicht ideal, kommt Geld durch Abgänge rein, kann sich die neue Führung um Jochen Schneider gleich beweisen. Kreativität auf dem Transfermarkt ist also ein entscheidender Mosaikstein für den kommenden Sommer. Dabei geht es nicht nur darum, welcher Spieler individuell die Qualität besitzt um Schalke 04 weiterzuhelfen, sondern das große Ganze muss beachtet werden. Der Kader für die Saison 2019/20 muss in sich stimmig sein, die Fans müssen sich mit ihm identifizieren können. Und dafür sind nicht nur externe Neuzugänge wichtig, sondern auch die Einbindung von Spielern wie Sebastian Rudy, der auch einer der Leidtragenden der Saisonanfangsphase und der daraus resultierenden Verunsicherung war, muss mittelfristig gelingen.

Eine Chance für den Nachwuchs

Auf Schalke ist seit geraumer Zeit die Rede davon, dass die Knappenschmiede, also die eigene Jugend weiter gefördert werden muss. In den vergangenen Jahren hat die Jugendabteilung der Königsblauen immer wieder spannende, vielversprechende Spieler hervorgebracht, zuletzt den jungen Angreifer Kutucu, der im DFB-Pokal gegen Düsseldorf und in der Liga gegen den FC Bayern traft. Veränderungen im Sommer bedeuten nicht nur, dass Schalke 4, 5, vielleicht 6 neue Spieler hinzukauft, sondern auch, dass man Spieler wie Kutucu fördert, ihnen das Vertrauen schenkt.

Domenico Tedesco ist ein Trainer, der jungen Spielern die Chance gibt sich zu beweisen. Er vertraut einem Weston McKennie, der eine sehr gute Saison spielt und einer der wenigen Spieler ist, der sein Leistungsvermögen ausschöpft. Auch im Tor geht die Tendenz klar in Richtung Nübel, Fährmann wird den Posten als Nummer 1 aller Voraussicht nach dauerhaft verlieren. Und Kutucu wurde zwar in einer Phase eingebaut, in der die Schalker mit personellen Problemen in der Offensive zu kämpfen haben, sein Talent zeigte er aber in den bisherigen Einsätzen definitiv, sodass er auch bei voller Besetzung eine Option sein kann. Schalke muss und wird den Kader, der derzeit 28 Spieler (+ die ausgeliehenen Reese und Insua) umfasst, verkleinern, wenn die Dreifachbelastung nicht mehr vorhanden ist. Gibt man einige Spieler ab und besetzt man die Schlüsselpositionen im Kader hochklassig, wird automatisch Platz für einige talentierte Spieler aus der eigenen Jugend vorhanden sein.

Und Clemens Tönnies?

(Photo by Lars Baron/Bongarts/Getty Images)

Bei all den Darstellern der Schalke-Krise darf man einen Namen nicht vergessen: Clemens Tönnies. Der Aufsichtsratsvorsitzende des FC Schalke 04 lotste Heidel seinerzeit nach Gelsenkirchen. Jetzt ist Heidel gescheitert und die Wahlen stehen in diesem Jahr an. Zwar gibt es derzeit keine öffentliche Opposition, aber seinen Posten würde Tönnies durch eine gute Restsaison natürlich stärken. Der 62-jährige weiß auch, dass die nächsten Personalentscheidungen sitzen müssen, ein weiteres Auf und Ab beim FC Schalke 04 ist kontraproduktiv, auch für ihn. Wichtig für Tönnies ist weiterhin, dass er seine mediale Präsenz einschränkt, nicht permanent von Interview zu Interview läuft, denn vor der Ära Heidel war es nicht selten der Fall, dass Tönnies selbst seinen Teil zur Unruhe beigetragen hat. Auch er wird aus dieser Zeit gelernt haben, auch er weiß, was auf dem Spiel steht.

Fazit: Viel zu tun, wenig Zeit

Zusammenfassend kann man sagen, dass der FC Schalke 04 vor ganz wichtigen Wochen und Monaten steht. Mit Jochen Schneider ist die erste Personalie geklärt und wenn – möglicherweise mit Jonas Boldt – zeitnah ein Sportdirektor feststeht, kann man sich an die Planungen für die neue Saison setzen. Die Zeit drängt, viele Vereine haben schon Konzepte erarbeitet, einen klaren Plan, wer verpflichtet werden soll. Natürlich tappt man auf Schalke dahingehend nicht völlig im Dunkeln, die ersten Wochen werden für Schneider und den Sportdirektor aber enorm arbeitsintensiv.

Auch die zuletzt aufgebrachten Fans („Außer Nübel könnt ihr alle gehen“) müssen wieder vom Schalker Weg überzeugt werden. Die Entwicklungen auf Schalke werden jedenfalls sehr spannend zu verfolgen sein. Kehrt schnell Ruhe ein und zieht man intern schnell an einem Strang, könnte der Abgang Heidels tatsächlich der viel zitierte Neuanfang sein, aus dem etwas Positives entsteht.

(Photo by stuart franklin/stuart franklin/getty images)


Manuel Behlert

Vom Spitzenfußball bis zum 17-jährigen Nachwuchstalent aus Dänemark: Manu interessiert sich für alle Facetten im Weltfußball. Seit 2017 im 90PLUS-Team. Lässt sich vor allem von sehenswertem Offensivfußball begeistern.


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