3 Gründe für die Formkrise von Christian Pulisic

2. April 2018 | News | BY David Theis

Es bestehen keinerlei Zweifel an Christian Pulisics Talent. Dennoch lässt sich nicht von der Hand weisen, dass das Nachwuchsjuwel von Borussia Dortmund und den USA derzeit in einer Formkrise steckt – bzw. sich nicht so schnell entwickelt, wie einige es erhofft hatten. Daher versuche ich heute, Pulisics kleine Stagnationsphase in drei kurzen Thesen zu verpacken. 

„Meine Form ist nicht die Beste derzeit, aber ich arbeite hart und versuche dem Team zu helfen, wo ich kann. (…) Es gibt derzeit keine Zeit für eine Pause, deshalb mache ich einfach weiter.“ (Pulisic zu ESPN)

1) Die Belastung ist zu hoch

Hoffnungsträger im Nationalteam, Hoffnungsträger beim BVB. Für Pulisic (mit über 2.400 Einsatzminuten einer der höchstbelasteten Dortmunder Spieler) bringt die aktuelle Saison vor allem genau die physischen und psychischen Belastungen mit sich, die alle Beteiligten eigentlich immer von einem Teenager fernzuhalten schwören. Doch unzählige Verletzungen in der Offensivabteilung seines Clubs (unter anderem Reus, Schürrle, Yarmolenko, Sancho & Philipp fielen/fallen langfristig aus) machten Pulisics Dienste unverzichtbar. Zu viel für einen 19-jährigen, den man beim BVB eigentlich hatte behutsam aufbauen wollen. Ebenfalls darf nicht vergessen werden, dass auch Pulisic vor nicht einmal einem Jahr Opfer des Mord-Anschlags auf sein Team wurde – wie problematisch die Verarbeitung eines solchen Ereignisses für den Jungprofi ist, lässt sich nur schwer erahnen. Zudem ist im und um den Verein herum nicht erst gestern eine toxische Atmosphäre aus Grüppchenbildung, mangelnder Führung und falschem Anspruchsdenken entstanden, die für jeden Spieler ein erheblicher Hemmschuh sein dürften.

Pulisic

(Quelle: Squawka –> https://goo.gl/EpE6mA)

2) Wechselnde Trainer – wechselhafter Vereinserfolg

Jegliche Verantwortung für die seit 2 Jahren stagnierenden Leistungen von Pulisic zu nehmen, wäre (trotz seines jugendlichen Alters) nicht ganz richtig. Dennoch: Zum einen fehlt es dem talentierten Nordamerikaner an der nötigen Erfahrung, um mit schwierigen Situationen umzugehen – zum anderen hatte Dortmunds Nummer 22 in letzter Zeit eine ganze Menge davon zu bewältigen: Nach vielversprechenden Auftritten unter Thomas Tuchel sah sich Pulisic mit zwei krassen personellen und taktischen Kehrtwenden im Vergleich zur Ära des umstrittenen Ex-Trainers konfrontiert: Zunächst stand der Wechsel von Tuchels überlegtem Kontrollfußball hin zum wilden Pressingchaos von Peter Bosz auf dem Programm. Irgendwann in dieser Phase scheint zudem der gesamte BVB-Kader (Pulisic ist also in bester Gesellschaft) einen erheblichen Teil seiner Fähigkeiten, ein Fußballspiel zu eröffnen, verloren zu haben. Auch nach der zweiten Kehrtwende unter Peter Stöger – weg vom weit aufgerückten Bosz-Hühnerhaufen, hin zum biederen Horizontalfußball – hat sich das nicht entscheidend verbessert. Vor allem auf Pulisic als kreativem Außenspieler lastet daher eine Extraportion Verantwortung: Kann das Team keine guten Offensivpositionen, vor allem in den wertvollen Halbräumen des Gegnerdrittels, erobern, wird der Ball oft früh in die Breite gespielt. Hier soll unter anderem Pulisic, oft weit herausgerückt und von den Mitspielern isoliert, nun mit einer technischen Einzelleistung gleich mehrere Gegenspieler überwinden – eine zum Scheitern verurteilte Strategie. Pulisic kann so weder seine Schnelligkeit, noch seine natürliche Kombinationsgabe gewinnbringend einsetzen. Am schwersten jedoch wiegt das Brachliegen seiner Gabe zu schnellen und richtigen Handlungen auf engstem Raum – das behäbige Offensivspiel des BVB lässt dies nur allzu selten zu.

Alles in Allem gilt für Pulisic also, was für jeden Spieler des BVB gilt: An eine über Gegner und Spielsituationen hinweg entwickelte Spielidee müssen sich auch gute Fußballer zunächst als Einheit gewöhnen, wenn diese Idee denn überhaupt existiert. Bei Borussia Dortmund scheint man hiervon aktuell (als Einheit!) jedoch weit entfernt. Individuelle Form, eine mannschaftliche Spielstruktur, eingespielte Abläufe beim Offensivspiel, das Selbstvertrauen für riskante Laufwege und technische anspruchsvolle Aktionen… all das sucht man bei Pulisics Arbeitgeber im Moment vergeblich. Von ihm zu verlangen, dass er liefert, wozu gestandene Profis wie Götze, Schürrle, Yarmolenko oder Kagawa nicht oder nur eingeschränkt fähig sind, wäre also verfehlt.

(Photo by Alexander Scheuber/Getty Images Fuer MAN)

3) Pulisic spielt auf der falschen Position

Betrachtet man Pulisics Problem beim BVB (insoweit das möglich ist) losgelöst von der generellen Krise des Clubs und vergleicht es mit seinen Leistungen im Nationalteam (16 Scorerpunkte in 20 Spielen), fallen vor allem zwei Dinge auf: In Dortmund muss sich ein junger Spieler selbstverständlich in einen Kader voller namhafter Profis einordnen – und zwar dort, wo er gebraucht wird. So ist Pulisic beim BVB vor allem Flügelspieler, denn die Personaldecke ist eng und dem aktuellen Kader fehlen Ousmane Dembélés problemverschleiernde Dribblings an allen Ecken und Enden. Also wird Pulisic zeitweilig in dessen Rolle „gepresst“ – nur ist diese beim aktuellen BVB, ihre Position auf dem Feld betreffend, viel hausbackener als Außenstürmer angelegt, als „Ous'“ freier interpretiertes Wirken unter Thomas Tuchel. Im Nationalteam jedoch darf Pulisic auch zentral hinter der Sturmspitze spielen – und fährt dabei die volle Punktzahl ein. 10 Scorerpunkte in 6 Spielen sprangen heraus, wenn Pulisic in etwa das tat, was der (noch) jüngere Mario Götze einst beim Klopp-BVB tat: Mit Pressinggeschick, starken Ballmitnahmen, Wendigkeit und einem guten Gespür für den richtigen Raum (sowohl für sich als auch Mitspieler) den „Nadelspieler“ geben.

Zweifellos darf nicht verschwiegen werden, dass Pulisic seine Ausflüge auf die „10“ vor allem gegen kleinere Gegner unternommen hat. Dennoch: Seine Eignung für diese Rolle ist unverkennbar. Denn er ist (neben seinem guten Lauf- und Passspiel) nicht nur wendig und ballsicher, sondern auch schnell. Eine Fähigkeit, die dem BVB, vor allem auf zentralen Mittelfeldpositionen, derzeit schmerzlich abgeht. Generell mangelt es der ehemals zweiten Kraft im deutschen Fußball nicht nur an einer stringenten Spielidee, Präzision, Abstimmung und Teamspirit – auch elementare physische Fähigkeiten, wie Dynamik und Stärke fehlen beinahe gänzlich. Zwar ist Pulisic beileibe kein „kantiger“ Spieler, doch er verfügt gleichwohl über ein aggressives Zweikampfverhalten und erweist sich als bissig im direkten Laufduell mit Ball. Das könnte seinem Arbeitgeber für die Zukunft einen entscheidenden Vorteil bescheren: Fast der gesamte deutsche Vereinsfußball der ersten Bundesligen krankt am Verwaltungsfußball-Syndrom. Die Defensive geht vor, Räume werden eng gemacht und wohl auch die klopp’sche Ära hat dazu beigetragen, dass Bundesligatrainer wie -manager geradezu vernarrt in Pressingstaffelungen sind – leider abzüglich der klopp’schen Risikobereitschaft im Umschaltspiel. So werden Bälle häufig hoch und weit geklärt, anstatt konstruktive Lösungen zu suchen und es finden sich letztlich nicht viele Erstligisten, die überhaupt aktiven Fußball spielen. Selten scheinen Deutschlands Clubs zu wissen, wie sie sich in die gewünschten Offensivräume vorspielen können. Ein Teufelskreis. Und der BVB bildet keine Ausnahme. Um so wichtiger ist es, die wenigen schmalen Räume, die sich (vor allem für mäßig kreative Teams) gelegentlich auftun, schnell zu füllen, also schnell in sie hinein zu gelangen. Mit einem Mittelfeld aus (im Extremfall) Weigl, Castro und Götze wird der BVB dabei aber auch künftig gegen gut eingespielte, physisch starke Gegner seine Schwächen offenbaren. Sollte die schwarzgelbe Borussia also wieder einige der Stärken betonen wollen, die während der Ära Klopp zum Erfolg beitrugen, könnte Pulisic als zentralerer Spieler hierfür die richtige Wahl sein.

Fazit:

In aller erster Linie ist Christian Pulisic ein sehr junger Spieler, dessen Verein seit mehr als einem Jahr einem sinkenden Schiff gleicht, auf dem alle panisch und kopflos auf Deck umherlaufen. Bei Sturm. Ohne Hosen. Die Dortmunder Borussia ist also derzeit nicht das allerbeste Entwicklungsumfeld. Für Pulisic gilt das Gleiche, wie für all seine hochtalentierten Mannschaftskameraden: Wie gut er wirklich spielen kann, dürfte sich erst (wieder) in klaren mannschafts- und individualtaktischen Strukturen beurteilen lassen – und auf seiner besten Position. Der BVB ist gut beraten, diese schnell zu schaffen, bzw. jemanden anzustellen, der sie auf mehr als nur kurze Sicht schafft. Denn Vereine, die zumindest eine grobe Vorstellung davon haben, wie sie einen Offensivraum erspielen wollen, kann sich Christian Pulisic aussuchen. Und das jeden Sommer.

David Theis

War schon ein Fußball-Nerd bevor es Laptops gab. Schläft mit einer Ausgabe von "Der Schlüssel zum Spiel" unterm Kopfkissen. Seit 2017 bei 90PLUS.


Ähnliche Artikel