„El Clasico“ im Umbruch – Ein Statusbericht

9. April 2021 | Trending | BY Christoph Albers

Nach vielen Jahren der großen Dominanz, befinden sich die beiden Giganten des spanischen Fußballs, Real Madrid und der FC Barcelona, vor dem Clasico im Umbruch. Sowohl die Leistungen als auch die Ergebnisse zeigen, dass der Umbruch für beide Klubs eine echte Zäsur darstellt. Doch wie weit ist dieser Prozess schon fortgeschritten? Ist ein Ende in Sicht oder steht das Schlimmste noch bevor? Ein Statusbericht.

FC Barcelona

Der Kapitän geht von Bord

Der FC Barcelona befindet sich im Grunde schon seit dem Sommer 2014 im Umbruch. Der langjährige Kapitän und das Herz der Mannschaft, Carles Puyol, beendete seine aktive Karriere und markierte damit das Ende einer Ära. Sportlich ging es zunächst jedoch erstmal bergauf: Nachdem sich Atlético Madrid in der Vorsaison in einem Herzschlagfinale am letzten Spieltag gegen Barça durchsetzte und den Meistertitel feiern konnte, rehabilitierten sich die Katalanen auf beeindruckende Art Weise. Sie holten das Triple. Angeführt von Xavi Hernández und Andrés Iniesta, die das Zepter von Puyol übernahmen, und verstärkt um die Neuzugänge Luis Suárez, Ivan Rakitic und Marc-André Ter Stegen, eilte die Mannschaft von Trainer Luis Enrique von Erfolg zu Erfolg, während das neue, große Trio „MSN“, bestehend aus Lionel Messi, Luis Suarez und Neymar, für die Schlagzeilen sorgte. 

Der Erfolg lenkte gut davon ab, dass der FC Barcelona langsam aber sicher seine Identität verlor. Diese  verkörperte wohl niemand so wie Kapitän Puyol. Im folgenden Sommer ging dann auch der großartige Xavi von Bord. Das vergrößerte das Loch, das durch den Abgang Puyols entstanden war. Dass obendrein auch Pedro verkauft wurde, fiel, wie im Jahr zuvor bei Víctor Valdés, unterdessen kaum auf. Doch auch diese beiden waren wichtige und identitätsstiftende Bestandteile der „Ära Barça“. 

Trotz dessen blieb Barça auf nationaler Ebene weiterhin ziemlich erfolgreich, wenn auch der Erfolg auf internationaler Ebene verwehrt blieb. Die Mannschaft schien mehr und mehr von der Brillanz der großen Individualisten abhängig zu sein. Das Kollektiv und die Ideale des Klubs traten dagegen in den Hintergrund. 

(imago)

Fehlender Idealismus?

Spätestens mit dem Abgang des großen Andrés Iniesta am Ende der Saison 2017/18 wurde der Kursverlust offensichtlich. Das große Beben gab es eigentlich schon im Sommer zuvor, der den 222-Millionen-Euro-Abgang Neymars mit sich brachte. Darauf reagierte der FC Barcelona u.a. mit den Transfers von Ousmane Dembele, Philippe Coutinho und Paulinho. Die Neuzugänge passten nur schwerlich zur spielerischen Identität des Klubs und hätten eher zu Real Madrid in dessen „Galáctico-Phase“ gepasst als zum „Cruyffismus-Ideal“ des FC Barcelona vergangener Tage. 

In den folgenden Jahren erntete Barça die Früchte dieser personellen Misswirtschaft. Der pragmatische Ernesto Valverde erhielt die nationale Vorherrschaft aufrecht. Doch in der Champions League musste er jeweils vernichtende Pleiten gegen die Roma und den FC Liverpool hinnehmen, die jeweils das Ausscheiden im Viertelfinale bedeuteten. 

Der schleichende Umbruch schien zu misslingen. Die Mannschaft, die weiterhin von den etablierten Kräften aufrecht erhalten wurde, wurde schrittweise immer älter und verlor den Anschluss an die Elite des europäischen Klubs-Fußballs. Die Saison 2019/20 brachte schließlich den Wendepunkt mit sich. Trainer Valverde wurde im Januar 2020 entlassen, Quique Sétien übernahm und musste zusehen, wie sich sein großer Traum in einen Albtraum verwandelte. Der gesamte Klub befand sich in einem unruhigen Zustand. Von etlichen Skandalen der Führungsebene und der Unzufriedenheit der Führungsspieler aus der Balance gebracht, verpasste der FC Barcelona alle (!) sportlichen Ziele. In der Liga hatte Barça das deutliche Nachsehen gegenüber Real Madrid, in der Copa del Rey schieden sie bereits im Viertelfinale gegen Athletic Bilbao aus und in der Champions League setzte es im Viertelfinale eine vernichtende 2:8-Niederlage gegen den FC Bayern, die durch die Tatsache, dass die Barça-Leihgabe Coutinho doppelt traf, umso bitterer wurde. 

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Erzwungener Neuanfang

In der Folge dieser Niederlage musste Sétien erwartungsgemäß seinen Hut nehmen, um Platz für einen Neuanfang zu machen. Bedingt durch die jahrelange Misswirtschaft, das deutliche Verpassen der sportlichen Ziele in der Vorsaison und die Folgen der Corona-Krise, war ein radikaler Neuanfang auch notwendig geworden. Die alternden Großverdiener Luis Suarez, Arturo Vidal und Ivan Rakitic wurden aus dem Verein gedrängt, Sündenbock Nelson Semedo (fiel in einer schwachen Mannschaftsleistung gegen die Bayern sogar noch deutlich ab) wurde an die Wolves verkauft, und Arthur Melo wurde gegen Miralem Pjanic getauscht, um Bilanz-Problemen vorzubeugen. 

Doch noch wichtiger als die Abgänge, waren die Zugänge des Sommers. Mit Trincão, Sergiño Dest und Pedri (auch wenn der Transfer schon vorher feststand) wurden gleich drei Top-Talente verpflichtet.  Gleichzeitig wurden mit Ansu Fati, Ronald Araújo und Riqui Puig gleich drei Eigengewächse in die erste Mannschaft befördert. Òscar Mingueza sollte noch zudem im Laufe der Saison folgen. 

Mit Ronald Koeman wurde zudem ein Trainer verpflichtet, der als ehemaliger Barça-Spieler einen Legenden-Status mitbringt und dafür bekannt ist, dass er auch vor unangenehmen Entscheidungen nicht zurückschreckt. Schon bei seiner vorherigen Aufgabe als Trainer der niederländischen Nationalmannschaft musste er einen Umbruch meistern und tat dies mit Erfolg. Trotzdem wurde er von weiten Teilen der Fans nicht gerade mit offenen Armen empfangen. Dieser Zustand hielt einige Zeit an. Die Sommer-Posse rund um Lionel Messi ließ ihn nicht unbeschadet zurück und auch der Saisonstart spielte ihm nicht gerade in die Karten. 

(Javier Etxezarreta/imago)

Die richtige Umstellung – für alle

Nach nur vier Siegen aus den ersten zehn Ligaspielen, bei vier Niederlagen und zwei Remis, stand Barça nur im Mittelfeld der Tabelle (Platz 9) und Koeman mächtig unter Druck. Der Niederländer setzte zunächst mehrheitlich auf eine 4-2-3-1-Grundordnung, in der Hoffnung, dass Frenkie de Jong in altbekannter Rolle endlich aufblühen möge, doch die schwache Form etlicher Leistungsträger führte zu einem Umdenken. Zunächst kehrte er zum „klassischen“ 4-3-3 zurück, dass eher fortan immer öfter mit einem 3-4-2-1 abwechselte (oftmals innerhalb einer Partie, wobei er zumeist mit dem 3-4-2-1 startete). 

Mit der Systemumstellung schien Koeman endlich den Schlüssel zu „seiner“ Mannschaft gefunden zu haben. Die Dreierkette verleiht der gesamten Mannschaft Sicherheit, sie ermöglicht es den beiden Außenspielern, zumeist Jordi Alba und Sergiño Dest, weit vorzurücken und ihre offensiven Stärken auszuspielen. Insbesondere Alba blüht seitdem wieder richtig auf erlebt einen „zweiten Frühling“. Zudem erlaubt die bessere Absicherung des defensiven Zentrums den zentralen Mittelfeldspielern eine offensivere Ausrichtung und ein etwas risikofreudigeres Spiel am Ball, wovon sowohl Youngster Pedri als auch Routinier Sergio Busquets sichtbar profitieren. Doch nicht nur die Spieler vor der Dreierkette können von selbiger profitieren, auch die Akteure in der Dreierkette selbst tun das. 

Die routinierten Innenverteidiger Lenglet und Umtiti, die jeweils nur sehr bedingt vom allgemeinen Aufschwung profitieren (beide spielen wenig überzeugend), finden eine bessere Absicherung vor, Ronald Araújo kann in diesem geschützten Umfeld in seine Rolle als zukünftiger Abwehrchef hineinwachsen, Òscar Mingueza hat als rechter Innenverteidiger einer Dreierkette seine Paraderolle gefunden und auch dem verletzungsgeplagten Abwehrchef Gerard Piqué tut es gut, dass er mehr und vor allem jüngere und schnellere Nebenleute an seiner Seite hat.

Ist der Umbruch schon vollzogen?

Davon abgesehen, gibt ergibt sich aus der Dreierkette auch die Option, dass Frenkie de Jong als zentraler Spieler eine Hybrid-Rolle zwischen Innenverteidiger und „Sechser“ spielt. Auf diese Weise kann der spielintelligente Niederländer flexibel Räume überlagern oder seine Stärke im Dribbling nutzen, um die erste gegnerische Abwehrlinie zu überlaufen. Eine tolle Option und ein großer Gewinn, zumal er im laufenden Spiel auch ohne große Anpassungszeit in eine Rolle als „Achter“ wechseln kann, was Koeman die Möglichkeit zur flexiblen Umstellung auf ein 4-3-3 gibt. 

Mit dieser Entwicklung setzte auch der Erfolg wieder ein. Barça ist mittlerweile seit 19 (!) Ligaspielen ungeschlagen (bei 16 Siegen und drei Remis) und hat nebenbei auch den Einzug ins Pokalfinale gepackt. In der Champions League schied die Mannschaft von Ronald Koeman zwar bereits im Achtelfinale gegen Paris Saint-Germain aus, präsentierte sich aber vor allem im Rückspiel sehr gut und kann nun deutlich positiver in die Zukunft blicken. 

Doch ist der Umbruch damit abgeschlossen?

Mit Sicherheit nicht. Der Umbruch ist noch im vollen Gange, doch der Fortschritt, der in dieser Saison gemacht wurde, ist äußerst beträchtlich. Betrachtet man nur die Gesamt-Altersstruktur der eingesetzten Spieler, erschließt sich der große Unterschied vielleicht nicht sofort, doch bezieht man die gespielten Minuten mit ein, wird es doch recht deutlich. 

(imago)

Ein Gerüst für die Zukunft?

In der Saison 2019/20 waren sieben der 14 (Annahme: Elf Starter plus drei Einwechselspieler) Spieler mit den meisten Einsatzminuten 30 Jahre oder älter. Nur drei dieser 14 waren jünger als 25 (de Jong, Arthur und Lenglet). In der bisherigen Saison 2020/21 sind nur fünf der 14 Spieler mit den meisten Einsatzminuten über 30 Jahre alt, während sechs Spieler 23 Jahre oder jünger sind. Auch das ist ein Zeichen.

Mit Piqué, Jordi Alba, Sergio Busquets und Lionel Messi besteht das Grundgerüst der Mannschaft zwar weiterhin aus Spielern, die über 30 Jahre alt sind, doch der Übergang nimmt Formen. 

Torwart Ter Stegen ist erst 28 Jahre alt, hat seine besten Jahre womöglich noch vor sich und wird mehr und mehr zum Führungsspieler. Ronald Araújo hat in dieser Saison mehr als angedeutet, dass er das Zeug zum Abwehrchef hat. Frenkie de Jong ist nicht zufällig der Spieler mit den meisten Einsatzminuten, er ist das Schwungrad des Barça-Spiels. Pedri verkörpert mit seiner Brillanz am Ball genau das, wofür Barça stehen möchte und spielt schon jetzt konstant auf einem so hohen Niveau, dass es nicht viel Mühe braucht, um sich ihn als verspäteten Iniesta-Nachfolger vorzustellen. 

„La Masia“ im Fokus

Und dann ist da auch noch Ansu Fati, dieses 18-jährige Mega-Talent. Auf einen Sensationsstart mit neun Torbeteiligungen (fünf Tore, vier Assists) in den ersten zehn Pflichtspielen, folgte leider eine schwere Knieverletzung, die ihn wohl bis zum Saisonende zum Zuschauen zwingt. Anschließend muss man wohl nochmal aufs Neue beurteilen, wozu er schon im Stande ist, doch er ist prädestiniert, um der nächste große Unterschiedsspieler Barças zu werden.

Doch damit nicht genug. Mit Ilaix Moriba rückt ein weiteres Riesen-Talent vermehrt in den Fokus. Moriba stieß bereits im zarten Alter von nur sieben Jahren zum FC Barcelona und durchlief in der Folge sämtliche Jugendmannschaft bis er den Sprung in die erste Mannschaft schaffte. Dort wusste er auf Anhieb mit einer Mischung aus Technik und Physis zu gefallen, sodass es leicht fällt, sich ein ausgewogenes Mittelfeldtrio aus Frenkie de Jong, Moriba und Pedri vorzustellen. 

Einige Elemente stimmen positiv

Dabei sollte nicht unterschätzt werden, welchen ideellen Wert im Sinne des „Cruyffismus“, der es in den Kern der Vereinsidentität geschafft hat, es für den FC Barcelona hat, dass es Spieler wie Ilaix Moriba, Ansu Fati (kam mit zehn Jahren zu Barça), Riqui Puig (kam mit 14 Jahren zu Barça) oder Óscar Mingueza (kam mit sieben Jahren zu Barça) in die erste Mannschaft schaffen. Insbesondere Mingueza, dessen Schwester ebenfalls den Sprung in die erste Frauen-Mannschaft Barças schafte, steht mit seiner gelebten Mentalität sinnbildlich für die ursprünglichen Werte des Vereins und erinnert (auch abseits seiner Haarfrisur) an den großen Carles Puyol.

Damit kommt man dem Zielbild, einem Kern aus La-Masia-Absolventen, ergänzt um internationale Top-Talente, schon deutlich näher. Zu letzterer Kategorie zählen dann auch Spieler wie Sergiño Dest und Ousmane Dembélé, die in der laufenden Saison eine sehr gute Entwicklung nehmen. Dest ist erst 20 Jahre alt und könnte für viele Jahre zu einer festen Größe werden, während Dembélé (nach Anlaufschwierigkeiten) langsam aber sicher zeigt, wozu er im Stande ist. Angesichts seiner Vertragssituation, besteht zwar noch eine gewisse Unsicherheit bezüglich seiner Zukunft, doch die Zuversicht ihm gegenüber ist wohl so groß, wie nie zuvor seit seiner Verpflichtung. 

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Der Umbruch kann erst nach Messi abgeschlossen werden

Bei Trincão fällt es noch schwer eine Tendenz abzuleiten, ebenso wie bei den potenziellen Leih-Rückkehrern, Monchu, Miranda und Emerson Royal, doch das trübt das insgesamt positive Bild nur geringfügig. 

Noch offen ist unterdessen, wie der FC Barcelona den Abgang von Lionel Messi, der irgendwann in den nächsten Jahren zwangsläufig ansteht, bewältigen wird. Mit seiner Person wird sich sowohl die Mannschaft als auch die gesamte Organisation verändern. Deshalb ist es nur schwer zu prognostizieren, welche Auswirkungen sich daraus ergeben. Diese Frage hat auf jeden Fall einen eigenen Beitrag verdient, weshalb hier nicht in Tiefe darauf eingegangen werden soll. Fest steht jedoch, dass der Umbruch erst nach seinem Abgang vollständig abgeschlossen werden kann.

Und auch darüber hinaus gibt es rund um den Verein viele offene Fragen, die natürlich auch mit dem neuen Präsidenten, Joan Laporta, und der insgesamt schwierigen Finanzlage des FC Barcelona zusammenhängen. Die Bewältigung der Altlasten wird noch viele Jahre ein Thema sein, ebenso wie die Trainerfrage, schließlich schwebt der Name „Xavi Hernández“ wie ein Damoklesschwert über Ronald Koeman. Doch vielleicht besteht Koemans Aufgabe auch genau darin, die Voraussetzungen zu schaffen, damit Xavi bei seiner Rückkehr ins Camp Nou die Bedingungen vorfindet, um eine weitere große Ära im Sinne der Werte und Ideale des Klubs, der für sich beansprucht mehr als das zu sein, zu prägen. 

Real Madrid

Die Obsession

Nach dem Real Madrid in der Saison 2001/02 zum neunten Mal die Champions League (bzw. den Europapokal der Landesmeister) gewann, wurde „La Décima“, der zehnte Titel, zur Obsession der „Königlichen“, die zwischenzeitlich zu den „Galaktischen“ wurden. Doch weder die Verpflichtungen von Spielern wie Ronaldo (R9), David Beckham oder Kaká, noch die Verpflichtungen von Trainern wie Vanderlei Luxemburgo, Fabio Capello oder José Mourinho brachten den erwünschten Erfolg. 

In den elf Spielzeiten nach dem neunten Triumph, scheiterte Real viermal im Halbfinale, einmal im Viertelfinale und sechsmal (!) im Achtelfinale (zwischen 2003/04 und 09/10 durchgehend). Doch zur zwölften Saison nach dem letzten Titelgewinn in der „Königsklasse“ übernahm Erfolgstrainer Carlo Ancelotti eine Mannschaft rund um Iker Casillas, Sergio Ramos, Xabi Alonso, Àngel di Maria, Gareth Bale, Karim Benzema und natürlich Cristiano Ronaldo und machte die Zehn voll. 

In der Liga reichte es für die Mannschaft von Carlo Ancelotti jedoch nur zu Platz 3. In der folgenden Saison verbesserte man sich zwar auf Rang 2, doch das Ausscheiden im Achtelfinale der Copa del Rey und im Halbfinale der Champions League führte letztlich dazu, dass der italienische „Mister“ noch vor Saisonende gehen musste. Zur Saison 2015/16 übernahm dann Rafa Benítez, doch den hielt es nur knapp sechs Monate im Amt, ehe auch er gehen musste und Zinedine Zidane übernahm.

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Die „Ära Zidane“

Bei den Fans kam die Ernennung Zidanes, der schon als Spieler zur Vereinslegende avancierte, natürlich gut an. Doch das allein würde natürlich nicht reichen, um im Amt zu bleiben. Das wusste auch Zidane, der unter Ancelotti bereits Co-Trainer war. Und Zidane ließ Taten oder besser Titel folgen. Nicht einmal fünf Monate nach seiner Ernennung als Cheftrainer, konnte er sich bereits Champions League Sieger nennen. In einer extrem nervenaufreibenden Neuauflage des Champions League Finals von 2014 setzte sich Real mit 6:4 im Elfmeterschießen gegen den Lokalrivalen Atlético Madrid durch. Dass man in der Liga erneut den kürzeren zog und nur Zweiter hinter dem FC Barcelona wurde, war angesichts des großen Triumphes kaum noch von Bedeutung. 

Das sollte sich in den folgenden Jahren allerdings ändern – in zweierlei Hinsicht. In der folgenden Saison gelang es seiner Mannschaft, als erste Mannschaft überhaupt seit Einführung der Champions League im Jahr 1991, ihren Titel zu verteidigen. Zudem konnte Zidane in der Spielzeit seinen erster Ligatitel als Trainer feiern, was zu einer mindestens ebenso wichtigen Aufgabe wurde, angesichts der vorherigen nationalen Dominanz des FC Barcelona.

In der Saison 2017/18 vollzog Real dann das große Kunststück und gewann die Champions League zum dritten Mal im Folge. Das lag aber womöglich eher an der Schwäche der Konkurrenz, als an der eigenen Stärke.

Die „Königlichen“ taten sich in dieser Spielzeit unfassbar schwer und liefen in der Liga schlussendlich als Dritter ein, bei 17 (!) Punkten Rückstand auf den FC Barcelona. In der Copa del Rey war ebenfalls im Viertelfinale Schluss, was den Eindruck verstärkte, dass die Mannschaft am Ende ihres Zyklus angekommen war. 

Same, but different

Dieser Eindruck schien im folgenden Sommer Anerkennung zu finden. Zinedine Zidane nahm am Saisonende, nun auch mit dem Status als Trainer-Legende, seinen Hut, im Wissen, dass der Klub und die Mannschaft frischen Wind brauchte. Auch Superstar Cristiano Ronaldo, der abseits des Platzes einige Probleme steuerlicher Natur hatte, nutzte die Gelegenheit und wechselte zu Juventus Turin, um ein neues Kapitel aufzuschlagen. Doch ansonsten blieb der große Umbruch aus. Zwar verpflichtete man Torwart Thibaut Courtois, der sich nicht auf Anhieb gegen Keylor Navas durchsetzen konnte, und Vinicius Junior, der behutsam an die erste Mannschaft herangeführt werden sollte, sowie Mariano Diaz, Alvaro Odriozola und Brahim Diaz, die sich allesamt nicht durchsetzen konnten, doch insgesamt blieb die Stammelf weitestgehend unverändert. 

Das Grundgerüst der Mannschaft bestand weiterhin aus Dani Carvajal, Sergio Ramos, Raphael Varane, Marcelo, Casemiro, Toni Kroos, Luka Modric und Karim Benzema, die natürlich auch die acht Feldspieler mit den meisten Pflichtspielminuten blieben. 

Folglich blieb die Dynamik der Mannschaft nahezu die gleiche, abgesehen davon, dass Karim Benzema nach Ronaldos Abgang wesentlich mehr Verantwortung zu schultern hatte. Dieser Aufgabe wurde Benzema zwar durchaus gerecht, doch die Torbeteiligungen von CR7 aufzufangen, gelang ihm logischerweise nicht. Weil Real aber auf die Verpflichtung eines direkten Ronaldo-Nachfolgers verzichtete, fehlte der Mannschaft einiges an Torgefahr und Qualität. Die Folge: Trainer Julen Lopetegui, der in kurioser Art und Weise vom spanischen Verband verpflichtet wurde, musste bereits Ende November gehen. Sein Nachfolger, Ex-Real-Spieler Santiago Solari hielt es ebenfalls nur wenige Monate im Amt, er musste bereits im März wieder gehen. Und so lag es dann doch wieder an Zidane, die Kastanien aus dem Feuer zu holen.

(Rodrigo Jiménez/imago)

Zurück in Zukunft?

Der Franzose übernahm die Mannschaft, die er noch so gut kannte, im März, zu einem Zeitpunkt, an dem Real bereits aus der Champions League ausgeschieden war – im Achtelfinale gegen Ajax Amsterdam. Auch das Ausscheiden im Halbfinale der Copa del Rey gegen den FC Barcelona, das bereits Ende Februar besiegelt war, konnte er nicht mehr verhindern, sodass ihm nur noch die undankbare Aufgabe blieb, Real in der Liga sicher auf Rang 3 zu führen und die Qualifikation für die Champions League zu sichern. Immerhin das gelang. 

Was beim FC Barcelona die Saison 2019/20 war, war bei den „Königlichen“ die Saison 2018/19, die, wie eben beschrieben, titellos endete. Wie bei den Katalanen, sollte auch bei Real ein großer personeller Umbruch folgen. Mit Eden Hazard wurde für 115 Millionen Euro ein Nachfolger für Cristiano Ronaldo (wenn auch mit einem Jahr Verspätung) verpflichtet. Außerdem kamen Luka Jovic, für 63 Millionen Euro als Backup für Benzema, Éder Militão, für 50 Millionen Euro als mittelfristiger Nachfolger für Sergio Ramos, Ferland Mendy, für 48 Millionen Euro als Nachfolger für Marcelo und das brasilianische Duo Rodrygo und Reinier, für 45 bzw. 30 Millionen Euro als Verjüngungskur für die alternde Offensivabteilung. 

Real schien das Problem also erkannt zu haben und war entschlossen zu reagieren, doch der Erfolg blieb überschaubar. In der Champions League war bereits im Achtelfinale gegen Manchester City Schluss, in der Copa musste man im Viertelfinale gegen Real Sociedad die Segel streichen und in der Liga brauchte es erst einen starken Endspurt nach der Corona-Unterbrechung, um sich im Titelkampf gegen ein am Boden liegendes Barça durchzusetzen. Schwerwiegender als das sportliche Abschneiden ist aber sicherlich die Tatsache, dass die kostspieligen Neuzugänge ihren Zweck nur sehr bedingt erfüllten.

Erfolglose Verjüngungskur

Unter den Top-10 nach Pflichtspielminuten fand sich lediglich Ferland Mendy wieder, der eine Art Job-Sharing mit Platzhirsch Marcelo vollzog – Mendy landete auf Platz 10. Ansonsten waren es wieder die üblichen Namen, die sich in dieser Rangliste ganz oben wiederfanden: Courtois, Carvajal, Ramos, Varane, Casemiro, Kroos, Modric und Benzema. Das Grundgerüst hat sich im Vergleich zur Saison 2017/18 also kaum verändert. 

Und auch in der laufenden Saison ist das Bild nicht gravierend anders. Courtois, Varane, Casemiro, Benzema, Modric und Kroos sind weiterhin gesetzt und an der Spitze dieser Liste. Carvajal und Ramos sind einzig und allein aufgrund von Verletzungen nicht mehr in diesem Kreis – beide waren gesetzt, wenn sie zur Verfügung standen. Die einzigen Spieler, die in diese Phalanx eingedrungen sind, sind Ferland Mendy, der eine gute Entwicklung nimmt, und Federico Valverde, in dem viele (zurecht) Reals künftigen Leader sehen. 

Angesichts der enormen Anstrengungen und Aufwendungen jedoch eine schwache Bilanz. Hazard ist seit seiner Ankunft tatsächlich mehr verletzt als fit. Jovic fällt vor allem durch Verfehlungen neben dem Platz auf. Militão ist bisher den Beweis schuldig geblieben, dass er tatsächlich die nötige Qualität für die Startelf besitzt. Und Rodrygo genießt nur bedingt das Vertrauen Zidanes. Dass Real mit Takefusa Kubo und Martin Ödegaard noch zwei große Talente verliehen hat, spricht zwar für die Breite des Kaders, löst die bestehenden Probleme aber maximal in der Theorie. 

Betrachtet man das Altersprofil der in Pflichtspielen eingesetzten Spieler, so fällt auf, dass sieben von 29 Spielern bereits über 30 sind, während nur ein Spieler jünger ist als 20 Jahre. Von den bisher eingesetzten Spielern, die jünger als 25 Jahre sind, haben nur sieben Spieler mehr als 180 Minuten gespielt. Unter den zehn Spielern mit den meisten Einsatzminuten ist nur ein Spieler, der jünger ist als 25, Vinícius Júnior auf Platz 10. 

(Maurice van Steen/imago)

Umbruch in der Sackgasse?

Doch welche Erkenntnis kann aus dieser Betrachtung gewonnen werden? Reals Umbruch ist noch nicht allzu weit fortgeschritten. Im Schatten der vermeintlichen ersten Elf stehen zwar einige talentierte Youngster, doch sie sind noch ein gutes Stück davon entfernt, sich tatsächlich durchzusetzen. Vinícius und Valverde werden zwar immer wichtiger, aber solange die Platzhirsche nicht weichen, wird sich die Dynamik der Mannschaft nicht maßgeblich ändern. Positiv ist, dass Varane, Mendy, Carvajal, Casemiro und Asensio, der langsam wieder Fahrt aufnimmt (im Gegensatz zu Isco), allesamt noch zwischen 25 und 29 Jahre alt sind. Doch auch sie sind natürlich noch ein Stück weit Teil der alten Ära. 

Ein möglicher Knackpunkt könnte die Trainerposition sein. Zinedine Zidane scheint den jüngeren Spielern nicht wirklich zu vertrauen. Er setzt auf seine etablierten Kräfte und geht nur selten Risiken ein. Er scheint weiterhin eher der „Man-Manager“ zu sein. Wie einst Ancelotti, doch eine wirkliche spielerische Weiterentwicklung ist unter ihm kaum zu erkennen. Der Fokus schien zumeist darauf zu liegen, die individuellen Fähigkeiten seiner Spieler bestmöglich in Szene zu setzen. Und das scheint auch weiterhin der Fall zu sein. 

Bei allem Respekt vor seiner Leistung und seinen Erfolgen, aber die Frage, ob er tatsächlich der beste Trainer ist, um einen Umbruch zu moderieren, scheint offener denn je zu sein. Es ist auch nicht auszuschließen, dass ihm gerade das Schicksal ereilt, dem Pep Guardiola einst beim FC Barcelona unbedingt entgehen wollte. Auch das gilt es zu beobachten.

Fazit

Der FC Barcelona hat in dieser Saison einen echten Sprung gemacht, was den eigenen Umbruch anbetrifft. Die Katalanen haben gezwungener Maßen aus der Not eine Tugend gemacht und scheinen nun davon zu profitieren. Für sie muss es nun darum gehen, diesen Fortschritt zu konservieren und darauf auszubauen, um den Sprung in eine nachhaltige Entwicklung zu überführen. Spiele wie das Achtelfinal-Hinspiel der Champions League gegen Paris Saint-Germain zeigen, dass man noch ein gutes Stück von der absoluten europäischen Elite entfernt ist. Doch das sollte auch nicht der Anspruch dieser Spielzeit sein. Barça ist auf einem guten Weg, um seine Identität wiederzufinden und die Weichen für die Zukunft zu stellen. Nun muss sich auch das Umfeld wieder beruhigen und sich wieder darauf besinnen, ein gutes Klima für den Erfolg zu schaffen. Ein Sieg im „Clasico“, der einen echten Reifetest darstellt, würde sicherlich dabei helfen.

Der Umbruch Real Madrids steht gerade etwas still. Die alten Platzhirsche machen nur langsam und äußerst widerwillig Platz und lassen so kaum einen Wandel zu. Die immer wieder aufblitzende Qualität verzerrt das Gesamtbild, das die Notwendigkeit eines radikaleren Umbruchs offenbar nur unzureichend wiedergibt. Zinedine Zidane scheint dem Umbruch, trotz seiner zweifelsohne großen Erfolge, ein wenig im Wege zu stehen. Doch es ist auch unbestreitbar, dass sein Kader ihm den Umbruch auch nicht gerade aufdrängt. Der kommende Sommer wäre eine nächste Möglichkeit, den Umbruch weiter voranzutreiben. Die Personalien Sergio Ramos und Luka Modric sind dabei ein Schlüssel, die Entscheidungen weiterhin offen. Im kommenden „Clasico“ werden die „Königlichen“ auf jeden Fall noch mit dem „alten“ Gesicht antreten. Dabei hoffen sie, nicht zu alt auszusehen. Sie müssen ihren Umbruch zukünftig aber entschlossener vorantreiben, wollen sie diesem Schicksal auch entgehen. 

Christoph Albers

(David Ramirez/imago)

Christoph Albers

Cruyff-Jünger und Taktik-Liebhaber. Mag präzise Schnittstellen-Pässe, schwarze Leder-Fußballschuhe, Retro-Trikots und hat einen unerklärlichen Hang zu Fußball-Finanzen. Seit 2016 bei 90PLUS.


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