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Gareth Bale und Tottenham: Mehr als eine Herzenssache?

20. September 2020 | Spotlight | BY Chris McCarthy

Spotlight | Sieben Jahre nachdem Gareth Bale Tottenham für Real Madrid verließ, steht nun die Wiedervereinigung bevor. Es ist eine spannende Ausgangssituation: Der Waliser will seine Karriere wiederbeleben und hat zudem eine große Verantwortung bei den Spurs…

Die Transformation des Gareth Bale

Atemberaubender Antritt, rohe Dynamik, enge Ballführung und ein tödlicher Abschluss: Ein Strahl mit Links, so präzise und perfekt, als würde er aus einem Videospiel stammen. Der Ball zappelt in den Maschen. Gareth Bale dreht ab, rennt auf den Fanblock der Tottenham Hotspur zu und formt mit Zeigefingern und Daumen ein Herz. Es waren diese Szenen, die den Waliser letztlich zu einem Weltstar machten.

Lange Zeit waren diese Momente und vor allem sein patentierter Jubel einzig und alleine den Fans der Spurs vorbehalten. Bis zum Jahr 2013, als die Transformation des Gareth Bale von einem schmächtigen Linksverteidiger, der sich 2007 für acht Millionen Euro von Southampton anschloss, zu einem der gefürchtetsten Offensiv-Kraftpakete des Planten abgeschlossen war. Trainer Harry Redknapp hatte das Angriffs-Potential in ihm erkannt und ihn zu einem Flügelspieler umgeschult. Es war die Geburtsstunde des aufregendsten walisischen Exports seit Tom Jones.

Bale wurde immer stärker, schneller, physischer, gefährlicher und torhungriger. Sein Einfluss auf die Offensive der Spurs wuchs von Jahr zu Jahr, bis er 2012/2013 regelrecht explodierte und in 33 Ligaspielen 21 Tore sowie neun Vorlagen beisteuerte. Es war eine rasante Entwicklung. Zu rasant für die Spurs, die nach der erstmaligen Qualifikation zur Champions League 2010 in dieser Saison abermals die Königsklasse verpassten. Bale war zu Höherem berufen. Er wechselte für die damalige Weltrekordsumme von 100 Millionen Euro zu Real Madrid.

Sieben Jahre später kommt es zur Wiedervereinigung. In der Zwischenzeit ist viel passiert.

Gareth Bale: Der „Big Game Player“ von Real Madrid

„Er war das fehlende Puzzlestück“, erinnert sich Realtotal-Chefredakteur Nils Kern im Gespräch mit 90PLUS an die Ankunft von Gareth Bale 2013, „nach ihm folgten 16 Titel.“

Zusammen mit Karim Benzema und Cristiano Ronaldo komplettierte Bale die legendäre Angriffsreihe „BBC„, die in der Debütsaison des Neuankömmlings 97 Tore produzierte. „Er hatte immer ordentliche Zahlen“, sagt Kern. Genauer gesagt 105 Tore und 68 Vorlagen in 251 Pflichtspielen. Was Bale aber besonders auszeichnete, war dass er ein „Big Game Player“ war. Das Traumsolo im Copa-Del-Rey-Finale gegen Barcelona 2014 und vor allem die Siegtore in den Champions-League-Finals 2014 gegen Atlético sowie 2018 per Fallrückzieher gegen Liverpool: „Wenn er fit war, dann hat er gegen die großen Teams immer Leistung gebracht“, schwärmt Kern.

Gareth Bale bei Real Madrid: Unvollendet?

Und dennoch blickt man in Madrid mit gemischten Gefühlen auf sieben Jahre Gareth Bale zurück. „Er wurde geholt, um eines Tages Cristiano Ronaldo zu ersetzen, auch in Sachen Marketing“, erklärt Kern und schildert, wieso das scheiterte: „Dazu ist er nicht extrovertiert genug. Darüber hinaus kratzten viele große Verletzungen an seiner Statur. Man sah in ihm einen Kandidaten für den Ballon d’Or, doch in diesem Olymp ist er nie angekommen.“

Auch nicht 2018. Sein Trainer und Kritiker Zinedine Zidane, unter dem sich Bale nicht nur im Finale der Champions League auf der Ersatzbank fand, und jener Cristiano Ronaldo verließen Real. Doch bei Bale blieb die erhoffte Reaktion aus. Unter den nächsten Trainern Julen Lopetegui Agote und Santiago Solari kam ebenfalls zu wenig. „Er konnte nicht aus Ronaldos Schatten hervortreten und seine Rolle übernehmen, auch nicht als Führungsspieler“, berichtet der Chefredakteur von Realtotal und ergänzt: „Es gab mehr Druck durch die Fans. Aus fünf Pfiffen wurden 20, aus 200, 2.000. Für einen Spieler ist das natürlich schwierig. Aber er hat sich hinter der Kritik versteckt und auch nichts dafür getan, dass es besser wird. Er ging nicht die Extrameile.“

(Photo FRANCK FIFE/AFP via Getty Images)

Gareth Bale: „Golf, Wales, Madrid, in that order“

Als Zidane 2019 als Trainer zurückkehrte, erreichte Bales negativer Trend einen Tiefpunkt. Die Chancen nach dem Restart 2020, als der 31-Jährige keine Kritik von den leeren Rängen zu fürchten hatte, ließ er ungenutzt. „Er zeigte nicht mehr, als er musste, für viele grenzte das an Arbeitsverweigerung“, bilanziert Kern. Er beendete die Saison mit lediglich zwei Toren und zwei Vorlagen, genauer gesagt 0,17 Tore und 0,17 Vorlagen pro Spiel: Seine schlechteste Quote überhaupt als Offensivspieler.

Die Fans und die Presse, bei der der introvertierte 31-Jährige schon immer einen schweren Stand hatte, begannen sich auf sein hohes Gehalt und sein Hobby, dem Golf-Sport, zu fokussieren. „Jedes Wort, jedes Foto, wurde auf die Goldwaage gelegt“, so Kern. Eine Flagge mit der Aufschrift „Golf, Wales, Madrid, in that order“ – Bales Reaktion auf die Kritik der Medien bei einem Auftritt für sein Land – stempelt der Real-Experte als „Fettnäpfchen“ ab, „das war keine geplante Provokation.“ Und dennoch scheint eine Portion Wahrheit dahinter zu stecken. „Ich glaube, jeder weiß, wie froh ich bin, wenn ich mit der Nationalmannschaft unterwegs bin. Es ist schön, an einem Ort zu sein, wo du mehr erwünscht bist und unterstützt wirst”, sagte der Edelreservist der Madrilenen während einer Länderspielreise vergangenen November.

Tottenham auf dem Scheideweg

Erwünscht war und ist Bale bei Tottenham. Und diese Zuneigung beruht auf Gegenseitigkeit. „Gareth liebt die Spurs noch immer”, betonte sein Berater der BBC, als die Gerüchte über eine Wiedervereinigung aufkeimten. Am Samstag wurde die Rückkehr, zunächst per Leihe, mit Tinte besiegelt.

An seiner einstigen Wirkungsstätte hat sich seit seinem Abschied vor sieben Jahren einiges verändert. Unter Maurico Pochettino begann Tottenham 2015 aus dem Schatten des bitteren Rivalen Arsenal hervorzutreten und sich in den Top-Four der Premier League zu etablieren. Vier Mal in Folge qualifizierten sich die Londoner für die Champions League, erreichten 2019 gar das Finale. Doch wie auch in den Jahren zuvor blieb ein Titel aus. Um die hervorragende Entwicklung des Klubs und die einhergehenden neuen Ambitionen zu untermauern, wurde im Norden Londons stattdessen ein Milliarden-schwerer Fußball-Palast aus dem Boden gestampft.

2020/2021 wird im Tottenham Hotspur Stadium allerdings nicht wie geplant die Champions-League-Hymne ertönen. Der Vormarsch der Spurs ist nämlich ins Stocken geraten. Der jahrelang schwer belastete kleine Kader wirkte 2019/2020 endgültig überspielt und ausgesaugt. Pochettino musste gehen. José Mourinho kam und rettete die Spurs mit viel Pragmatismus und der Effizienz von Heung-Min Son und Harry Kane zumindest in die Europa League. Mittlerweile aber ist die Königsklasse der neue Maßstab, hier gilt es 2021 wieder zurückzukehren. Doch es gibt einige Baustellen im Kader und die finanziellen Mittel sind nach dem Stadionbau knapp.

(Photo by Will Oliver/Pool via Getty Images)

Kann Bale Tottenham zurück in die Champions League führen?

Das Gesamtpaket für ein Jahr Gareth Bale soll Tottenham laut The Athletic rund 16 Millionen Euro kosten. Die Leihe reduziert das finanzielle Risiko und stellt den Waliser zugleich unter Zugzwang. Aus persönlicher Sicht und aufgrund der sportlichen Situation der Spurs.

Das statische Offensivspiel unter José Mourinho lechzt nach den frischen Impulsen und der Dynamik eines Bale in Topform. Doch ist der verlorene Sohn mit 31 Jahren noch dazu in der Lage? Nils Kern hat seine Zweifel:„Diese Explosivität, die ihn auszeichnete, hat in der letzten Saison gefehlt. Er hat physisch nachgelassen und ist ein anderer Spieler als 2015/2016. Damals war er körperlich auf einem Level mit Cristiano Ronaldo.“

Nichtsdestotrotz ist sich der Real-Experte sicher, dass Tottenham von der Wiedervereinigung profitieren wird. „Er wird den Spurs helfen, weil er wieder Lust und Freude finden wird wie bei Wales. Dort strahlt er etwas aus, ist eine Führungsperson und ein ganz anderer Spieler als in Madrid.“ Kern gesteht, dass Bale dennoch hart an sich arbeiten muss, gerade unter einem anspruchsvollen Trainer wie Mourinho. Er hofft allerdings, dass ihn die Motivation packt. „Es geht darum, der Welt zu zeigen, dass er nicht der Golfspieler aus Madrid ist, der Millionen abkassiert, sondern, dass er es noch immer drauf hat“, so Kern.

Sollte Bale das zeigen können, dann wäre seine Rückkehr nicht nur auf emotionaler Ebene wertvoll. Nachdem die Spurs ihm eine Weltkarriere ebneten, hat er nun die Möglichkeit, etwas zurückzugeben. In einer Zeit, in der Tottenhams Weg zu einer dauerhaften Präsenz des europäischen Fußballs steinig wird, könnte er mit der Qualität und der Erfahrung eines Mannes, der auf Klubebene alles gewonnen hat, das Team wieder auf Kurs bringen. Der Herzjubel, den die Fans so vermisst haben, wäre um so bedeutsamer…

Chris McCarthy

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(Photo by Michael Regan/Getty Images)

Chris McCarthy

Gründer und der Mann für die Insel. Bei Chris dreht sich alles um die Premier League. Wengerball im Herzen, Kick and Rush in den Genen.


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